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SPIEGEL ONLINE

Festnahme des katalanischen Politikers "Deutschland muss Puigdemont ausliefern"

Was geschieht mit Carles Puigdemont? Der Strafrechtler Martin Heger ist überzeugt: Deutschland hat keine andere Wahl, als den katalanischen Politiker der spanischen Justiz zu überstellen. Aber die Frage ist, weshalb.
Zur Person

Martin Heger, 49, ist einer der führenden deutschen Strafprozessrechtler. Der Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Europäisches Strafrecht und Neuere Rechtsgeschichte an der Berliner Humboldt-Universität hat sich eingehend mit dem Fall Puigdemont beschäftigt.

SPIEGEL ONLINE: Professor Heger, deutsche Strafverfolger haben Carles Puigdemont am Sonntag verhaftet. Grundlage hierfür war ein von Spanien ausgestellter Haftbefehl. Wird Deutschland Puigdemont nun nach Spanien ausliefern?

Professor Martin Heger: Die Rechtslage ist im Prinzip einfach: Wenn ein EU-Haftbefehl vorliegt, wird dieser auch vollstreckt, sofern die Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Konkret müssen ein oder mehrere Delikte des Angeklagten im anfragenden Mitgliedstaat mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht sein. Zudem muss eines dieser Delikte auch in Deutschland strafbar sein. Puigdemont werden unter anderem Rebellion, Unterschlagung öffentlicher Gelder und Auflehnung gegen die Staatsgewalt vorgeworfen. Klar ist: die Unterschlagung öffentlicher Gelder ist auch bei uns strafbar. Also steht fest: Deutschland muss Puigdemont ausliefern. Und zwar im Regelfall binnen 60 Tagen.

SPIEGEL ONLINE: Ist denn überhaupt bewiesen, dass Puigdemont öffentliche Gelder veruntreut hat?

Heger: Darauf kommt es nicht an. Beim Europäischen Haftbefehl prüfen die hiesigen Justizbehörden nur, ob die formalen Voraussetzungen erfüllt sind, ob die in Frage kommende Handlung auch bei uns strafbar ist und ob der Gesuchte wegen ihr angeklagt ist. Nicht geprüft wird, ob die Handlung tatsächlich nach spanischem Recht strafbar war. Das wird die spanische Justiz entscheiden, sofern sie den Haftbefehl nicht zurückzieht.

SPIEGEL ONLINE: Aber genau das hat der spanische Richter schon einmal getan: als Puigdemont in Belgien war. Wie es heißt, wollten die belgische Justiz ihn nicht, zumindest nicht wegen "Rebellion" ausliefern - denn im belgischen Strafrecht gibt es keinen solchen Passus.

Heger: In unserem Strafgesetzbuch gibt es den Paragrafen 81, den "Hochverrat gegen den Bund". Dieser ähnelt der "Rebelión" nach spanischem Recht. Die deutschen Justizbehörden werden die beiden Paragrafen genau vergleichen. Wenn sie zum Schluss kommen, dass es der gleiche Tatbestand ist, werden sie Puigdemont auch deswegen ausliefern.

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Fotostrecke: Demos für Puigdemont eskalieren

Foto: Emilio Morenatti/ dpa

SPIEGEL ONLINE: Und wenn nicht? Sowohl der deutsche Hochverrat als auch die spanische "Rebelión" sehen den Einsatz von Gewalt vor. Puigdemont hat aber nie zur Gewalt aufgerufen.

Heger: In diesem Fall dürfte Puigdemont in Spanien nur wegen Unterschlagung öffentlicher Gelder der Prozess gemacht werden. Es sei denn, Deutschland verzichtet darauf, an der beidseitigen Strafbarkeit festzuhalten.

SPIEGEL ONLINE: Die spanische Justiz hat bisher große Härte im Umgang mit den Anführern der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung gezeigt. Nicht nur Anhänger der Separatisten halten sie für politisch beeinflusst. Wie können die deutschen Behörden dafür sorgen, dass Puigdemont ein faires Verfahren kriegt?

Heger: Der deutschen Justiz steht keine Prüfung zu, ob das in Spanien vorgesehene Strafverfahren fair ist oder nicht. Das Prinzip hinter dem EU-Haftbefehl ist, dass die Staaten einander vertrauen, dass die Verfahren rechtsstaatlich sind. Carles Puigdemont wäre aber nicht ohne Rechtsschutz. Sollte das Verfahren nicht fair sein, könnte er wegen Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention vor den Europäischen Gerichtshof ziehen.

SPIEGEL ONLINE: Und was geschieht, wenn Deutschland Puigdemont nicht ausliefert?

Heger: Dann ist er ein freier Mann. Er könnte innerhalb der EU reisen, wohin er will. Oder er könnte auch in Deutschland bleiben.