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Von Heimtücke und Schmeichelei:
"Das kann einem nur in Wien passieren"

Rezension von Elisabeth Malleier
 



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Über der Stadt liegt ein brauner Schleier. Das Umschlagbild des im Czernin-Verlag herausgekommenen Büchleins mag auf seinen Inhalt verweisen, oder auch nicht. Erzählt wird darin von der fehlenden Selbstverständlichkeit, heute Jüdin oder Jude zu sein in Wien. Drei Frauen und fünfzehn Männer melden sich zu Wort. Alle AutorInnen haben einen Wien-Bezug, sie leben dort, sind dort geboren und/oder aufgewachsen, wurden aus Wien vertrieben oder haben Eltern, die aus Wien vertrieben wurden.

Sie erzählen Geschichten, die ihnen in dieser Stadt passiert sind und von den Reaktionen ihrer Umwelt auf ihre jüdische Herkunft. Da gibt es die junge Frau, die von einem Lehrer zu hören bekommt, daß Juden stinken, während er sich nach ihrem Parfüm erkundigt, eine andere wird, mit einem Blick auf ihren Chaj-Anhänger gefragt, ob sie denn tatsächlich eine „waschechte Wienerin" sei, ein dritter kriegt anonym per e-mail zu lesen, dass er sicher „ein Jud" sei, der die Österreicher „so frech" belehrt und Hitler habe leider auch bei ihm ein Ausnahme gemacht. Neben unverhohlen gezeigtem Antisemitismus – es wird von einem Kellner erzählt der keine Juden bedienen will, von einer Tante der christlichen Freundin, die einem Juden nicht die Hand geben will, von einem Mann, der einer jungen Frau ins Gesicht spuckt, nachdem er sie vorher gefragt hat, ob sie Jüdin sei – kommen auch subtilere Ablehnungen zum Ausdruck.

So etwa die Erfahrung einer aus Wien vertriebenen Frau, die zur Anerkennung ihres Medizinstudiums nach dem Holocaust in Wien die Nostrifikationsprüfung ( Anm. d. Red.: Anerkennungsprüfung einer nicht-österreichischen Universitätsausbildung) ablegen mußte und, wie so viele RückkehrerInnen und Überlebende, mit jener „Mischung aus Heimtücke und Schmeichelei" konfrontiert wurde, der gemeinhin als Wiener Charme gilt. Manche Geschichten erhalten während des Erzählens eine Eigendynamik, verselbständigen sich sozusagen. Phantasie und Wirklichkeit sind, wie im Leben, oft nicht auseinander zu halten. Es ist ein schwankender Boden auf dem sich die Erzählenden bewegen. Manchmal tun sich Abgründe dort auf, wo sie keine Phantasie sich ausmalen könnte. Lange hat die Herausgeberin gezögert, in jener Abendrunde aus der schließlich die Pläne zum Buch entstanden, von ihrem Therapeuten zu erzählen. Er war Mitglied der Waffen-SS gewesen. Ein anderer erzählt davon, mit welchen Strategien er als Kind nach einem antisemitischen Vorfall bei einem Schikurs seine Eltern beruhigte.

Neben bekannteren Autoren wie Robert Schindel, Carl Djerassi und Doron Rabinovici kommen auch weniger prominente Personen, hauptsächlich aus dem Wissenschafts- und Kulturbereich, zu Wort, darunter auch ein Vater-Tochterpaar. Die Tochter, Ruth Jolanda Weinberger, trägt das Erbe ihrer Urgrossmutter, nach der sie benannt ist und die in Auschwitz ermordet wurde. Ihre Diplomarbeit schrieb sie über die Shoah. Bei Aufenthalten in den USA und in Israel versucht sie herauszufinden, was jüdisch-sein jenseits einer Geschichte der Zerstörung im Holocaust bedeuten kann. Rubina Möhring erzählt von ihrer Vision einer Strafanstalt für Medientäter anlässlich der Diskussionen zum Paragraphen 56. Doron Rabinovici beschreibt in seiner Parodie auf die Wiener Kulturszene die Dankbarkeit von PolitikerInnen und Publikum gegenüber einem vertriebenen jüdischen Autor, dessen Werk verschollen ist und das man daher anlässlich seiner Ehrung nicht zu lesen braucht. Stephen Laufers Erzählung gibt Einblick in die komplexe Emigra- tionsgeschichte seiner Familie. Seine Großeltern emigrierten in den Dreißigerjahren nach Johannesburg, der Sohn engagierte sich als weißer Kommunist im südafrikanischen Apartheid- staat, lebte später in der DDR und starb schließlich in Italien, sein Sohn, Stephen Laufer wiederum emigrierte aus Südafrika nach Europa, um nicht in die Armee des Apartheidstaates dienen zu müssen. 

Schindel erzählt gekonnt vom Zerrissensein zwischen seiner Liebe zu Wien und dem Wissen, immer auf der Hut sein zu müssen. Schindel, 1944 in Oberösterreich geboren, überlebte - im Gegensatz zu seinen Eltern – als jüdisches Baby jene Zeit von der Irena Klepfisz, 1941 in Warschau geboren, schreibt:

during the war
germans were known
to pick up infants
/by their feet
swing them through the air
and smash their heads
against plaster walls.

Somehow
I managed
to escape that fate.
(A few Words in the Mother Tongue. Oregon 1990).

haGalil onLine 05-02-2002











 

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