Bodo Zeuner/Jochen Gester/Michael Fichter/Joachim
Kreis/Richard Stöss:
Gewerkschaften und Rechtsextremismus
Anregungen für die Bildungsarbeit und die politische Selbstverständigung
der deutschen Gewerkschaften, Westfälisches Dampfboot 2007 (einsprüche
19)
Euro 14,90
Bestellen?
|
Anregungen für die Bildungsarbeit und die politische
Selbstverständigung:
"Gewerkschaften
und Rechtsextremismus"
Von
Clemens Heni
Die fünf Autoren
nehmen sich mit dem leicht und ohne größere wissenschaftliche Ambitionen
geschriebenen Bändchen "Gewerkschaften und Rechtsextremismus" ein sehr
wichtiges und aktuelles Thema vor. Alle fünf Autoren sind Politologen,
gleich zwei davon waren bzw. sind Professoren für Politikwissenschaft an der
Freien Universität Berlin (Zeuner und Stöss), ein weiterer ebenda
wissenschaftlicher Angestellter (Fichter). Das wird der Bedeutung des
größten und bekanntesten politikwissenschaftlichen Instituts in der
Bundesrepublik, dem Otto-Suhr-Insitut (OSI), durchaus gerecht.[1]
Empirisch basiert das
Buch auf Erhebungen von vier der Autoren über die Einstellungen von
Gewerkschaftsmitgliedern bzw. Funktionären zu Rechtsextremismus. Von 6,6
Mio. Gewerkschaftsmitgliedern in Deutschland haben weniger als 10% ein
"geschlossenes gewerkschaftliches Überzeugungssystem" (S. 8). Verglichen mit
Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern haben z. B. in der Mittelschicht 18%
(gegenüber 7%) der Gewerkschafter eine klar erkennbare rechtsextreme
Einstellung (S. 53). Das ist bemerkenswert. Bei der Unterschicht sind es
wenig überraschende 33% der Nicht-Mitglieder im Vergleich zu 28% der
gewerkschaftlich organisierten (S. 52).
Insgesamt zeigt sich,
dass die Gewerkschaften mit 19% Prozent Rechtsextremen dem Prozentsatz der
nicht organisierten mit 20% entsprechen, Gewerkschafter also auch im Fall
Rechtsextremismus ein "Spiegelbild" der Gesellschaft in Deutschland sind. Im
Osten ist lediglich zu konstatieren, dass insgesamt mit 27% deutlich mehr
Rechtsextreme zu verzeichnen sind (18% im Westen), und Gewerkschaften etwas
weniger rechtsextrem eingestellt sind als die unorganisierten (22,5% zu
28,1%) (S. 32f.). Wer sich die Hetzkampagne gegen als "Heuschrecken"
vorgestellte Unternehmer bzw. Finanzspekulanten durch den ehemaligen
SPD-Vorsitzenden und Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz
Müntefering vergegenwärtigt (S. 13)[2],
Parolen von Gewerkschafter sieht, welche sich gegen "Verrat am Vaterland"
wenden (S. 99), oder gar die IG Metall-Zeitschrift anschaut, welche 2005 in
antisemitisch-antiamerikanischer Diktion gegen "Die Aussauger", welche in
Form einer Stechmücke mit langem Rüssel und US-Hut dargestellt sind,
agitiert (S. 84) und dieses Cover auch auf scharfe Kritik hin vom
Verantwortlichen und IG Metall Vorsitzenden Jürgen Peters verteidigt wurde[3],
oder schließlich den DGB-Vorsitzenden Michael Sommer von "vaterlandslosen
Gesellen" daher reden hört bzw. seine 'Hoffnung' vernimmt, dass Deutschland
weiterhin "Exportweltmeister" bleiben möge (S. 86f.), ist ob solcher
empirischer Umfragewerte unter Gewerkschaftern kaum verwundert. Ob daran das
von eben jenem Jürgen Peters ausgerufene "Mainstreaming" einer
"Europäisierung der IG Metall" von November 2006, welches als probates
Mittel gegen nationale Überheblichkeit und Rechtsextremismus angeführt wird
(S. 88), etwas ändern wird, ist unwahrscheinlich.
Die Autoren gehen
mehrfach kritisch auf das Gerede von 'amerikanischem Kapitalismus' versus
'europäischem Sozialstaatsmodell' ein und verwahren sich gegen
Antiamerikanismus, ja erwähnen zu Recht den New Deal der1930er Jahre, der
Arbeiterrechte gestärkt hat (S. 85) und lehnen die NPD-Propaganda gegen
Globalisierung ab (S. 64). Sie fordern wieder mehr gesamtgesellschaftliches
Engagement der Gewerkschaften, ja plädieren für eine Politisierung der
Gewerkschaften, eine politische Bildung im alltäglichen gewerkschaftlichen
Tun und beziehen sich auf einige ihrer Ansicht nach positiven,
antinationalistische Beispiele gewerkschaftlicher Organisierung- und
Aufklärungsarbeit (S. 103-105). Die relevanteste der
gesamtgesellschaftlichen Perspektiven, welche von den fünf Politologen
hochgehalten wird, ist jedoch neben den hehren Tönen gegen Nazis bereits
deutscher Mainstream: "Während sein [des Nationalstaats, C.H.]
Repressionspotential im Zuge neuer Kriege und des sogenannten 'Kampfes gegen
den Terror' nach innen und außen oft sogar noch weiter aufgerüstet wird,
gibt er sozialintegrative Aufgaben preis, die dem Schutz der lohnabhängigen
Bevölkerungsmehrheit zugute kamen und auch die Bewegungsfreiheit von
Unternehmen beschränkt haben" (S. 63). Ohne den bösen Kampf der Amerikaner
und ihrer Alliierten, der demnach angeblich von Deutschland gar unterstützt
wird, gäbe es bessere Arbeitsbedingungen und mehr Geld für
"sozialintegrative Aufgaben".
Wow! Das ist eine
tollkühne und gewiss typisch deutsche Begründung gegen den War on Terror.
Diese im Kern islamophile Verweigerungshaltung den wirklich großen Problemen
des 21. Jahrhunderts gegenüber ist eine gewerkschaftliche Meisterleistung.
Chapeau, die Herren. Besser könnte das kein rhetorisch gewandter NPD-Redner
machen. Oder natürlich die nationalbolschewistische junge Welt, die Linke
(PDS/WSAG), die Autonomen, die Antiimperialisten, Grüne, Frauen/Lesben,
Anti-Hartz-IV-Protestler, Friedensratschläge, militante Gruppen oder auch
weite Teile der SPD vom antizionistischen Rand der CDU à la Norbert Blüm
nicht zu schweigen. Wenn ich mich erinnere welcher Hass mir entgegenschlug,
von super linken NachwuchswissenschaftlerInnen mit dem besten Gewissen, die
selbstverständlich seit Jahrzehnten Anti-Nazi-Arbeit machen und in linken
Buchläden in Berlin arbeiten oder in Göttinger Antifazusammenhängen
steck(t)en, als ich in gewerkschaftlichem Rahmen im Sommer 2002 eher
zufällig ein kleines, süßes Muffin-Küchlein mit noch kleinerer US-Fahne
dabei hatte und auf meinem Tisch stellte, oder im gleichen Kontext von
derselben Runde, nach ein paar Bier allerdings, wie selbstverständlich
Michel Friedman als "ekliger Typ" diffamiert und sein am selben Tag
ausgestrahltes TV-Interview mit Israels Ministerpräsident Ariel Scharon
gezielt gemieden wurde, von wenigen Ausnahmen abgesehen, und das alles mit
einem Tonfall und einem Duktus, der später im Jahr 2002 nur noch von Jürgen
W. Möllemann getoppt wurde, dann wird vieles klarer bezüglich Gewerkschaften
und Deutschland heute. Wenn ich dann auch noch sehe wie im Rahmen der
Hans-Böckler-Stiftung bzw. ihrer DoktorandInnen antizionistische 'Kollegen',
nicht nur aber auch weil sie Migranten sind, in Schutz genommen wurden und
der Antisemitismus solcher Typen nur von wiederum wenigen erkannt und scharf
kritisiert wurde, wenn ich all diese kleinen persönlichen Erlebnisse mit
Gewerkschaftern die letzten Jahre seit 2002 revue passieren lassen, wird das
Bild noch klarer.
Schließlich noch ein
Beispiel: ein großes gewerkschaftliches Bildungswerk, das DGB-Bildungswerk
München, hat erst nach heftigen Protesten eine Veranstaltung mit ihrem
langjährigen und sehr stark im Bildungsprogramm als Referent, mit vielen
Einzelveranstaltungen involvierten Kollegen Heinz Vestner abgesagt. Und er
wird als Referent weiter beschäftigt, obwohl seine antizionistischen Tiraden
seit Jahren bekannt ist.[4]
Dass so eine Ankündigung für eine Veranstaltung überhaupt gedruckt und für
die Veranstaltung geworben wurde, ist bereits skandalös.[5]
Typisch gewerkschaftlich wird die Sache dadurch, dass sich der Referent eben
als Linker, der gegen Nazis und Rechtsextremismus ist, gezeigt habe. Für das
Herbst/Winter-Programm 2007/2008 hat das DGB-Bildungswerk München Vestner
wiederum als häufigen Referenten engagiert, z. B. mit Seminaren über die
US-Außenpolitik seit "1776" und der amerikanischen "Jagd nach Profit", womit
also, wenn das Seminar mit der Gründung der USA beginnt (!) das 'Wesen' der
Amerikaner gemeint ist![6]
Komplementär dazu jauchzt der Lieblingsreferent dieses großen
gewerkschaftlichen Bildungswerkes wiederum wenn er den Namen Chavez hört und
dessen Ruf nach einem "Sozialismus des 21. Jahrhunderts"[7]
laut hinaus schreit oder proklamiert: "Daumendrücken ist angesagt" bezüglich
"Erwacht Lateinamerika", denn ist Chavez nicht ein toller Hecht und
Nachfolger Bolivars?[8]
Nach den Kriterien der fünf Autoren des hier rezensierten Buches zu
urteilen, wäre Vestner eher nicht in das Raster 'rechtsextrem' gefallen.
Doch was heißt das in einer Zeit, wo gerade linke, 'progressive', 'liberale'
Antisemiten zurecht ins Blickfeld geraten?
Das Raster (S. 30-31)
der Politologen ist viel zu grobmaschig und altbacken, demnach sei
Rechtsextremismus gekennzeichnet durch 1.) "Befürwortung einer
rechtsautoritären Diktatur, 2.) "Chauvinismus", 3.)
"Ausländerfeindlichkeit", 4.) "Antisemitismus", 5.) "Sozialdarwinismus" und
6.) "Verharmlosung des Nationalsozialismus". Weder bei der Kategorie 4) noch
jener von 6) taucht das Beispiel des Antizionismus auf. Antisemitismus zeigt
sich jedoch heute häufig als Antizionismus, der Antisemitismus mit reinem
Herzen, wie er schon von Jean Améry 1969 ("der ehrbare Antisemitismus") oder
von Vladimir Jankélévitch 1970 ("Verzeihen?") dechiffriert wurde. Der Hass
auf Israel, die Schuldprojektion der Deutschen, nach der z. B. und gerade
die Israelis einen "Holocaust an den Palästinensern" verüben würden oder der
Anti-Terrorschutzwall das gleiche sei wie die Berliner Mauer oder die
Behandlung der Palästinenser im Westjordanland jener im Warschauer Ghetto
ähnele, sind doch ubiquitär. All diese antisemitischen Reflexe sind Alltag
bei deutschen Kirchen, Politikern aller Parteien, den Medien, der
Wissenschaft und der Gesellschaft insgesamt, auch den Gewerkschaften
natürlich. Allein das Jahr 2007 bietet für jede dieser Kategorien
abschreckende Beispiele. Jedoch: als Kategorie für Rechtextremismus taucht
Antizionismus gar nicht auf bei den Autoren dieses Bandes.
Was jedoch den Autoren
sehr wichtig ist als Beitrag im Kampf gegen Rechtsextremismus ist das linke
Ressentiment gegen Krieg und jenes gegen den Kampf gegen den islamischen
Faschismus, den 'heiligen Krieg', der keineswegs nur Israel, vielmehr den
Westen, die Moderne, zuerst natürlich die USA, bekämpfen und zerstören
möchte. Dem Djihad werden sich deutsche Gewerkschafter offenbar so wenig in
den Weg stellen wie sie bislang so bewusst inaktiv (wenn nicht klammheimlich
feixend) waren gegen den antijüdischen Boykottaufruf ihrer britischen
Kollegen von der University and College Union (UCU).[9]
Das Thema muss also lauten: "Gewerkschaften und Antisemitismus". Gegen Nazis
sind doch ziemlich viele, wenn auch nicht alle, wie der Bürgermeister und
FDPler aus Mügeln nachdrücklich zeigt und auch vom bayerischen
Ministerpräsidenten der Zukunft, Günter Beckstein, mit der Parole "Ich bin
stolz ein Deutscher zu sein" sekundiert wird, gerade jetzt. Doch so wichtig
es ist solche Konservativen und Reaktionären zu bekämpfen, so wichtig und
absolut untypisch, weil nicht links-identitär ist es, den Antizionismus der
Deutschen ins Visier zu nehmen und darum auch nicht zum
siebenhundertdreiundsechzigsten Mal einen großen Bogen machen wie die
Autoren dieses hier rezensierten Büchleins. Sie wollen nur ihre typisch
linke OSI-Identität wahren und nicht lernen, dass manchmal, in historischen
Momenten, Krieg die einzige Chance ist bzw. war im Kampf gegen den
Faschismus bzw. Nationalsozialismus. Wer sich dessen bewusst ist, dass einer
der Gründer des Konservativismus im 20. Jahrhundert in den USA, Peter
Viereck war, der gegen seinen Nazi-Vater rebellierte und konservativ wurde,
Freiheit erhaltend, sowie später, in hohem Alter, nach 9/11, auch den neo-
(oder neo-neo-?) konservativen Kampf gegen den neuen Faschismus, den grünen,
befürwortete, erkennt die von deutschen und sonstigen Linken gezielt völlig
verdeckte Dimension im amerikanischen Konservativismus. Dieser zeigt sich in
der Person Vierecks als Aufstand gegen einen Nazi-Vater (sein Vater war
Hitler-Verehrer seit den 1920er Jahren), später mit der Waffe in der Hand im
Zweiten Weltkrieg gegen die Deutschen. Solche Antifaschisten jedoch geben
für einen ganz normalen deutschen Gewerkschafter kein Vorbild ab. Schade
eigentlich.
Anmerkungen:
[1]
http://de.wikipedia.org/wiki/Otto-Suhr-Institut
[2]
http://www.kritiknetz.de/muentefering_konkret.pdf
[3]
http://www.rp-online.de/public/article/aktuelles/88736
[4]
http://www.hagalil.com/archiv/2007/06/dgb.htm
[5] Die
Ankündigung ist so krass, dass ich sie hier im Wortlaut und komplett
zitiere: Veranstaltung mit Dr. Heinz Vestner im DGB-Haus, 18.07.07, Raum
006, 5€: "Frieden in Nahost? Als 1993 die Oslo-Verträge unterzeichnet waren,
begannen hierzulande alle zu jubeln über den damit angeblich einsetzenden
"Friedensprozess" im Nahen Osten. Daraus ist bekanntlich nichts geworden -
trotz 'road map' und 'Fischer-Plan'. Die Israelis haben kaltblütig ihre
Siedlungspolitik fortgesetzt, eine bis zu 8 m hohe Mauer gegen die
Palästinenser errichtet und den Libanon - wiedermal - angegriffen. Dieses
'Spiel' läuft seit 1948. Ist es da ein Wunder, dass
Palästinenserorganisationen wie Hamas und Hisbollah immer mehr Zulauf haben?
Wer Gewalt sät, wird immer Gewalt ernten. Wieso eigentlich ist die
Todesursache Arafats bis heute 'unbekannt'?" Bereits am 06.03.-2007 hatte
Vestner im DGB-Bildungswerk eine Veranstaltung zu Hugo Chavez, dem
Duz-Freund des iranischen Holocaustleugners und die Zerstörung Israels
planenden Ahmadinedschad, damit angepriesen, dass gefragt wurde: "Was also
ist dran an diesem Kerl [Chavez, C.H.]? Ne ganze Menge nämlich", siehe
http://www.dgb-bildungswerk-bayern.de/pdf/Muenchen/internet_07_1k.pdf ,
S. 46.
[6]
http://www.dgb-bildungswerk-bayern.de/muenchen/progr_07_2.pdf , S. 48.
[7] Ebd.:
58.
[8] Ebd.:
46.
[9]
http://www.jungle-world.com/seiten/2007/33/10425.php
hagalil.com
05-07-07 |