Mirjam Pressler:
Golem stiller Bruder
Berltz Verlag 2007
Euro 16,90
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Mirjam Presser:
Die Zeit
der schlafenden Hunde
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Jüdischer Fantasy-Roman:
Golem stiller Bruder
Von Andrea Livnat
Mirjam Pressler, eine der wichtigsten deutschen Jugendbuchautorinnen,
hat erneut einen Roman mit jüdischem Thema vorgelegt. "Golem stiller Bruder"
ist ein Fantasy-Roman, der trotz einiger Schwächen seinen Lesern die
Dialektik des Lebens, und des jüdischen Lebens im Besonderen, zeigt.
Mirjam Pressler, die selbst Jüdin ist, was allerdings für sie, wie sie
selbst sagt, keine Bedeutung spielt, kehrt in ihren Romanen immer wieder
zu jüdischen Themen zurück. Pressler ist im Übrigen auch die wichtigste
Übersetzerin für hebräische Kinder- und Jugendliteratur, aber auch von
hebräischen Romanen für große Leser. "Golem stiller Bruder" ist eine
Mischung aus Fantasy- und Entwicklungsroman mit historischem Hintergrund
im jüdischen Prag an der Wende zum 17. Jahrhundert.
Seit ihrem Debüt mit "Bitterschokolade" von 1981, das ganze
Generationen von Jugendlichen beeinflusst hat, wie man getrost sagen
kann, ist immer wieder die zerrüttete Kindheit zentrales Thema von
Presslers Romanen. Auch in "Golem stiller Bruder" kreist die Geschichte
um zwei Waisen, die Geschwister Jankel und Rochel, die sich, nachdem die
Mutter gestorben und der Vater nicht mehr nach Hause gekommen und
schließlich die Tante krank geworden, nach einem neuen Zuhause umsehen
müssen. Die Tante schickt sie nach Prag zu ihrem Onkel, wohin sie sich
in einem langen beschwerlichen Fußmarsch aufmachen.
Der Onkel ist einer der bedeutendsten Gelehrten des aschkenasischen
Judentums: der MaHaRaL, der Hohe Rabbi Löw. Um ihn ranken sich
zahlreiche Legenden, darunter am besten bekannt die Erschaffung eines
künstlichen Menschen aus Lehm, der Golem.
Jankel muss sich alleine in der neuen Umgebung zurecht finden. Seine
kleine Schwester kommt bei einer anderen Verwandten unter und lebt sich
dort gut ein. Für Jankel ist das weniger einfach, was nicht nur mit dem
unheimlichen Mitbewohner in der Dachstube zu tun hat. Erst langsam
versteht Jankel, dass der Golem, den alle Josef nennen, dazu erschaffen
wurde, den Juden zu helfen und er beginnt eine seltsame Zuneigung für
den Lehmmenschen zu empfinden.
Jankel beginnt, in einer Backstube zu arbeiten, wo er auch Schmulik
kennenlernt, der sein bester Freund wird. Gemeinsam verkaufen sie die
Backwaren auf dem Markt, wo sie auch immer wieder Zeugen der Hetzreden
des Mönchs Thaddäus werden, der zum Mord aller Juden aufruft.
Das Leben in der Judenstadt Prags ist generell kein unbeschwertes, so
dass auch der Roman an sich eher düster und unheimlich ist. Erst am Ende
wird sich für den Leser ein Kreis schließen, der trotz der schrecklichen
Ereignisse, die mit der Vernichtung des Golems enden, einen positiven
Eindruck hinterlässt.
Jankel wird aus seinem Dilemma einen Ausweg finden: "Es ist wahr, ich
stand dazwischen, allein, und nie zuvor hatte ich dieses Dazwischen so
stark empfunden. Ich stand zwischen Morina und Prag, zwischen dem Rabbi,
dem Mann des Studiums, und Mendel, dem Mann der Arbeit, ich stand auch
zwischen meiner Kindheit, die vorbei war, und dem Leben als Mann, das
ich noch nicht gefunden hatte, ich stand zwischen dem Gestern und dem
Morgen und wusste nicht, wie ich das Heute überstehen sollte."
Und er wird sich dazu mit tiefgreifenden Einsichten auseinandersetzen
müssen: "Wer gibt uns das Recht, das Leben von Menschen gegeneinander
aufzurechnen?" - "Das Böse ist in uns. Josef war die Versuchung, doch
wir haben nicht erkannt, ob es eine Versuchung zum Guten oder zum Bösen
war."
Die Empfehlung des Verlages für Jugendliche ab 12 Jahren scheint mir
nicht recht passend, zu komplex sind die Ereignisse um Judenverfolgung
und Ritualmordbeschuldigungen, die eine zentrale Rolle im Buch
einnehmen.
Während Mirjam Pressler die unterschiedlichen Versionen der
Golem-Legende meisterhaft in den Roman eingearbeitet hat, bleiben andere
Aspekte leider ein wenig auf der Strecke.
Die Erzählung wirkt oft sehr unruhig, unausgewogen, dem Protagonisten
Jankel geht es die meiste Zeit nicht gut, er ist ständig übermüdet, das
wirkt oft überzogen.
Von "Pogrom" hat man im 17. Jahrhundert noch nicht gesprochen und ich
bezweifele, dass der Hohe Rabbi Löw den Daumen nach oben gestreckt hat als
Zeichen der Zustimmung.
Auch das Ende hat gewisse Schwächen, Jankel wählt einen für meine
Begriffe überraschenden Weg, der nicht wirklich zu ihm passt. Vor allem
aber fehlt eine Abschiedsszene mit dem Rabbi Löw, der eine so bedeutende
Rolle in Jankels Leben gespielt hat.
Dennoch, "Golem stiller Bruder" ist ein wichtiges Buch, das Jugendliche
hoffentlich begeistern wird, trotzdem, oder besser gerade weil es sich
nicht dem allgemeinen Harry-Potter-Trend anschließt, sondern seinen
Lesern Mystik und Fantasy in einer ganz anderen, tieferen Weise
näherbringt.
Legendäre Wahrheiten:
Die Prager Golemsage
"Golems" scheinen in unserer Gesellschaft allgegenwärtig -
vom Computer bis hin zu Robotern und anderen künstlichen Intelligenzen
aller Art. Der "klassische jüdische Golem" wird üblicherweise mit Prag
und dem Maharal identifiziert...
Chaim Frank:
Die
Geschichte der Juden in der ehemaligen Tschechoslovakei
hagalil.com
20-09-07 |