Tunis - Zwei von drei Tunesiern wissen noch nicht, welcher Partei sie bei den auf 23. Oktober verschobenen Wahlen zur Konstituierenden Nationalversammlung ihre Stimme geben sollen.

Die Ergebnisse des auch in Frankreich tätigen Marketinginstitutes "3C Etudes" wurden am Donnerstag in Tunis veröffentlicht. Von den verbleibenden 33 Prozent, die schon wissen, wen sie wählen wollen, fallen demnach 14,3 Prozent auf die Islamisten-Partei Ennahda, was "Wiedererweckung" bedeutet.

Die Partei war Anfang der 1990er-Jahre von Präsident Zine El-Abidine Ben Ali verboten worden, nachdem sie bei den Wahlen 1989 17 Prozent der Stimmen erzielt hatte. 30.000 Mitglieder der Islamisten wurden damals eingesperrt, Parteichef Rached Ghannouchi wurde in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt. Er kehrte erst Anfang dieses Jahres aus London zurück.

Parteienlandschaft blüht auf

Seit Ben Alis Flucht ins saudiarabische Exil Mitte Jänner wurden in Tunesien beinah hundert neue Parteien gegründet. Für die säkular ausgerichtete Demokratische Fortschrittspartei (PDP) von Ahmed Nejib Chebbi wollen laut Umfrage 4,7 Prozent der Befragten votieren, für das Demokratische Forum der Arbeit und Freien (FDTL) 1,6 und für die Kommunistische Arbeiterpartei (PCOT) 0,8 Prozent.

Die Islamisten-Partei hat die säkular orientierten Gruppen vor möglichen Ausgrenzungsversuchen gewarnt. Jede künftige tunesische Regierung, der Ennahda nicht angehören würde, wäre "sehr schwach" , erklärte Parteichef Ghannouchi. Sie seien die größte Partei des Landes und würden die "moderate islamische Strömung vertreten" .

Ennahda ist aus der nationalen Reformkommission ausgetreten, die den Übergang des Landes zu demokratischen Strukturen steuern soll. Das Gremium besitze keine Legitimität, so der Parteichef, der nicht für das Präsidentenamt kandidieren will. Streitigkeiten gab es vor allem bei Fragen zur Parteienfinanzierung und zur Haltung gegenüber Israel: Die Islamisten verlangen die Verankerung des Verbots jeder Normalisierung der Beziehungen mit dem jüdischen Staat in dem Pakt, der die Grundlage der künftigen Verfassung bilden soll. (AFP/DER STANDARD, Printausgabe, 8.7.2011)