Die aktuellen Probleme in der arabischen Welt und die der Massenmigration in die westlichen Demokratien erfordern solide Entscheidungsgrundlagen für die Politik. Dabei kommt die Analyse der Realitäten vor Ort zu kurz. Der Satz des kanadischen Premiers Trudeau ("Diversität ist unsere Stärke") bringt das globale Credo der Migrations-Optimisten auf den Punkt; die Mexiko-Mauer und der Einreisestopp Donald Trumps das der Pessimisten. In diesem Glaubenskrieg werden kaum Fakten gehört. Aber: Was wissen wir wirklich über den Terror und seine Sympathisanten?

Darüber sprechen weder Trudeau noch Trump – und ihre jeweiligen Bewunderer in Österreich.

Es ist jedenfalls schade, dass das Potenzial bereits existierender verlässlicher Umfragen in der muslimischen Welt nicht genügend wahrgenommen wird. Mindestens zwei davon sind völlig frei im Internet erhältlich und laden zu weiteren statistischen Berechnungen ein. Ein wahres Eldorado für Sozialwissenschafter auch der jüngeren Generation! Die Quellen sind:

· Der Arab Opinion Index des Arab Center for Research and Policy Studies in Doha, Qatar (18.311 Befragte in zwölf arabischen Staaten; plus repräsentative Umfrage unter 5466 syrischen Flüchtlingen in 377 Flüchtlingslagern in Jordanien, Libanon, Türkei und in Nordsyrien.)

· Die Arab-Barometer-Umfrage, Welle III. Die Feldforschung fand von 2012 bis 2014 in zwölf Ländern statt; ihre Koordination erfolgte durch das jordanische Center for Strategic Studies (CSS).

· Schließlich ist noch der Pew Spring 2015 Survey des Pew-Instituts in Washington zu erwähnen (gemeinsam mit lokalen Partnern 45.435 Interviews in 40 Staaten der Welt; Erhebungszeitraum 25. März bis 27. Mai 2015).

Wer stellt sich also angesichts des Terrors der vergangenen Jahre hinter den "Islamischen Staat" (IS)? Eine verschwindende Minderheit? Oder bedeutende Segmente muslimischer Gesellschaften? Oder gar, wie Pessimisten befürchten, die Mehrheit? Aus den Umfragen ist zu erkennen, dass es von einem (Libanon) bis zu 20 Prozent (Mauretanien) der Befragten sind. Die Abweichungen sind auch in großen muslimischen Ländern beträchtlich: Saudi-Arabien zwei Prozent, Indonesien vier Prozent, Türkei 7,5 Prozent, Algerien und Ägypten jeweils neun Prozent, Pakistan elf Prozent, Nigeria 14 Prozent. Die IS-Unterstützung in der gesamten muslimischen Welt (bevölkerungsgewichteter Prozentsatz) beträgt immerhin 8,3 Prozent.

Das Arab Center for Research and Policy Studies kam weiter zu dem Schluss, dass insgesamt 18 Prozent der syrischen Flüchtlinge in der Region mit dem IS sympathisieren, und insgesamt 30 Prozent von ihnen einen islamischen Gottesstaat wollen.

Bei der vom CSS in Jordanien koordinierten Arab-Barometer-Umfrage wurde auch gefragt, ob die Einmischung der USA in der Region bewaffnete Operationen gegen die USA in jedem Teil der Welt rechtfertigten. Das sind genau jene Daten, die Gegner und Befürworter des Trump-Einreisestopps eigentlich kennen müssten, wenn sie vernünftig über diesen diskutieren wollen. Tatsache ist: Es ergab sich summa summarum – bevölkerungsgewichtet – eine 52-Prozent-Mehrheit für den Terror gegen Amerika. In Algerien befürworten 77 Prozent der Bevölkerung den Terror gegen die USA, in den besetzten Gebieten 61, in Kuwait, Marokko, Sudan und im Irak mehr als die Hälfte, in Jordanien 50 und im Libanon, Ägypten, Tunesien, Libyen und Jemen jeweils unter 50 Prozent.

Pro Terrorismus

Welche Schlüsse können und sollen wir aus dieser Analyse ziehen? Die bittere Antwort ist, dass der Terror und viele andere Fragen die Gesellschaften in der muslimischen Welt zutiefst spalten. Auch die besten AMS- und Integrationskurse können gesellschaftliche Prägungen, insbesondere im Bereich Gender und Familie, nicht von heute auf morgen ändern. Werte-Welten trennen das konservative Afghanistan und Ägypten vom liberalen Kasachstan und Albanien. Einreisestopps, Flüchtlingsobergrenzen etc. bestrafen die Terrorsympathisanten, aber auch diejenigen, die einen liberalen, toleranten und gewaltlosen Islam leben wollen. Einfache Konsequenzen gibt es nicht.

Offene Gesellschaft

Umso wichtiger sind: die Unterstützung hochqualitativer Sozialwissenschaften in der Region sowie der verstärkte Informationsaustausch der staatlichen Stellen mit den Regierungen und Sicherheitsagenturen, die Partner des Westens sind, aber auch mit den säkularen zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Region. Die Kräfte der offenen Gesellschaft in der Region sollten bei uns künftig verstärkt zu Wort kommen, damit die "Luftraumhoheit" der Deutung dessen, was "Islam" ist, bei uns nicht den Islamisten überlassen wird. (Arno Tausch, 22.3.2017)