22. - 25. Mai 2003 in Berlin:
Dritte Bet Debora Konferenz
Über Macht und Verantwortung aus der Sicht jüdischer Frauen...
Gudrun Wilhelmy
Macht und Verantwortung ein spannendes Thema nicht nur aus weiblicher oder
weiblich-jüdischer Sicht lockte in diesem Jahr ein breitgefächertes europäisches
Publikum zur dritten Bet Debora-Konferenz europäischer Rabbinerinnen,
Politikerinnen in jüdischen Gemeinden, Aktivistinnen und Gelehrte nach Berlin,
neben Teilnehmerinnen aus den USA und auch Israel.
Berta Falkenberg – erste gewählte Frau in der Repräsentantenversammlung
Mit der Einweihung einer Gedenktafel für das Ehepaar Berta und Hermann
Falkenberg an deren ehmaligen Wohnhaus Ecke Lottum- und Christinenstraße im
Prenzlauer Berg, hatte man mit Berta Falkenberg eine Frau geehrt, die bereits in
den 20er Jahren als erste Frau in der damaligen Repräsentantenversammlung und
Vorsitzende des Jüdischen Frauenbundes in Berlin den Mangel weiblicher
Machtstrukturen in der jüdischen Gemeinde zu Berlin in Worten beschrieb und
kritisierte, als seien sie im Jahre 2003 geschrieben. Dies brachte auch Cynthia
Kain, stellvertretende Vorsitzende der aufgelösten Repräsentanten-Versammlung
der jüdischen Gemeinde zu Berlin als Schlusszitat ihrer Rede deutlich zum
Ausdruck. Ihre Vorrednerin, Charlotte Knobloch, hatte eine lange, vielleicht
etwas zu lange Rede vorbereitet, die subtil den Diskurs zwischen Macht und
Verantwortung als eine gemeindepolitisch aktive Frau und Vizepräsidentin des
Zentralrates der Juden in Deutschland vortrug.
Frauen, das war vielen klar und darüber herrschte Konsens, haben ihre Probleme
mit Macht und Machtausübung. Verblüffenderweise auch diese beiden Referentinnen,
für viele personifizierte weibliche Repräsentantinnen von Macht und damit
öffentlicher und innerjüdischer Kritik ausgesetzt, eine Begleiterscheinung der
Macht, mit der es dann zu leben gilt.
Charlotte Knobloch – eine hörenswerte Rede über Macht und Verantwortung
Charlotte Knobloch zog die Zuhörerinnen und wenigen Zuhörer schnell in ihren
Bann. Ihr Beitrag begann mit dem Verweis, daß Wissensdurst einen von Juden hoch
geschätzten Wert darstelle, aus dem heraus Anregung zum Mitdenken und zum
eigenen Urteile erwachse, und damit auch zu Macht beiträgt, ohne die wir als
Gemeinschaft nicht bestehen könnten.
Im historischen Kontext gesehen war Macht, die Juden zugeschrieben wurde, mehr
ein reines Phantasieprodukt der nichtjüdischen Umgebungsgesellschaft. Für Juden
und für Frauen stellte und stellt sich die Frage nach Macht eher umgekehrt: "Wie
schaffe ich es, nicht von der Ohnmacht überwältigt zu werden?" Die Schoah war,
aus diesem Blickwinkel betrachtet, eine totale Entmachtung von Juden in Europa.
Macht entsteht immer nur aus dem Zusammenwirken von Gruppenzusammenhängen und
übt zugleich einen fast unwiderstehlichen Sog auf Menschen aus, führte Charlotte
Knobloch aus. Aus diesem Blickwinkel betrachtet gehen die meisten gewählten
Repräsentanten eher den Weg einer Lösung durch Kompromisse, die leichter zu
erreichen sind ohne gegen unüberbrückbare Widerstände anzukämpfen, als Lösungen,
die nur über Machtkämpfe ausgetragen werden können. Heraus kommen dabei machbare
Lösungen, aber nicht die besten und auch keine visionären.
Macht ist ein Geschenk auf Zeit
Einig sah sie sich mit Cynthia Kain, die diesen Punkt in ihrer Rede besonders
herausstellte: Gemeindepolitik zu machen, ist für beide ein Schritt,
Verantwortung zu übernehmen und nicht Macht auszuüben. Hier spalten sich
Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung und es ist ein gewöhnungsbedürftiger
Schritt, sich selbst als mit Macht ausgestattete Person zu sehen. Hier liegt
sicherlich einer der wesentlichen Unterschiede zwischen der eigenen weiblichen
Sicht als gewählte Repräsentantinnen und der von Männern in vergleichbaren
Positionen. Mit der Übernahme von Verantwortung sieht Charlotte Knobloch
Beharrlichkeit in fortgesetztem Bemühen für die Erreichung selbstgesetzter Ziele
als Vorraussetzung zur Ausübung von Macht und Übernahme von Verantwortung. Aus
jüdisch-ethischer Sicht gehören Macht und Verantwortung zusammen, denn Macht
ohne Verantwortung gerät zu Machtmissbrauch. Den Vorgang, einem Menschen durch
Wahl oder auch auf andere Weise Macht zu übertragen, wertete Charlotte Knobloch
als eine hoch zu schätzende Geste des Vertrauens und sieht in einer Demokratie
daher Macht als ein Geschenk auf Zeit.
Machtinhaberinnen und Machtinhaber
Die Menschen, die wir an der Macht sehen und wie sie uns dort von Medien
präsentiert werden, zeigen dort nur zehn Prozent dessen, womit ihre Position
ausgefüllt ist. Die restlichen 90 % seien unspektakuläre Arbeit und eher
Grabenkampf hinter der Fassade der Macht. Daher riet Charlotte Knobloch zum Ende
ihrer mit Beifall bedachten Rede, Frauen sollten Macht ergreifen, wenn sich die
Chance bietet. Und diese Chance bietet sich nicht oft.
Cynthia Kain – Lernen von den Vorgängerinnen
Cynthia Kain bedankte sich bei Charlotte Knobloch, weil sie aus deren Rede
aufgrund des Erfahrungsvorsprunges so viel gelernt habe. Auch sie stellte als
Motiv für ihre Aktivitäten Verantwortung übernehmen zu wollen und zu sollen, die
sie dies von zu Hause mitbekommen habe, allen anderen voran. Sie verwies auf das
Netzwerk jüdischer Frauen, deren Initiatorinnen sie unterstützt habe und in
dessen Rahmen sie sich bemühen will, Frauen für ein Engagement in der
Gemeindepolitik zu gewinnen und zu unterstützen. Daß in Berlin, einstiger
Hochburg frauenemanzipatorischer Aktivitäten, nur vier Frauen in der
Repräsentanten-Versammlung vertreten sind, ist eine eher erschütternde
Feststellung. Eine jüngere Kongress-Besucherin sagte nach der Konferenz in einem
persönlichen Gespräch, daß ihre Generation fehle und dies sei typisch.
Frauenemanzipation mit den Schlagworten von damals sei nicht ansprechend für die
jüngere Generation. Meine Frage, ob denn alle Probleme, die in den 70er und 80er
ausgesprochen worden wären, nun vom Tisch seien, ließ sie unbeantwortet.
Verantwortung als gelebte Praxis
Cynthia Kain hatte bis zu ihrer gestrigen Rede Macht nicht positiv für sich
selbst besetzen können. Sie zog es vor von Verantwortung als gelebte Praxis zu
sprechen und sah Macht eher als eine Chance, den eigenen Willen auch gegenüber
anderen durchzusetzen, unabhängig davon worauf Macht beruhe. Ein interessanter
Aspekt, den sie leider nicht vertiefte. Für sie persönlich stünde im
Vordergrund, Visionen in die Tat umzusetzen oder zumindest den Versuch zu wagen.
Sie erlebe Frauen oft als Einzelkämpferinnen und sie wisse sehr wohl, dass es
nicht einfach sein wird, Frauen von der Notwendigkeit gemeindepolitischer
Einflußnahme durch Frauen zu überzeugen. Dies hält sie nicht ab, den Versuch –
einen notwendigen und historisch überfälligen – zunächst als Einzelkämpferin zu
unternehmen.
Dr. Ute Weinmann, Senatsstelle für Wirtschaft, Arbeit und Frauenangelegenheiten
Das Berlin in Politik und Administration mit einem politschen Konzeptes Gender
mainstreaming gezielt durchsetzten will und auf welche Weise, stellte. Dr. Ute
Weinmann vom Senat von Berlin, Wirtschaft, Arbeit und Frauen-Angelegenheiten in
ihrem kurzen Vortrag vor. Es gibt ein Programm für spezifische Schulungen
männlicher und weiblicher Top-Führungskräfte Gender Mainstreaming positiv in
ihren Unternehmen der nächsten Manager-Ebene zu kommunizieren. Gedacht sei auch
an Untersuchungen, wie Freizeitflächen in Berlin nach Gender spezifischen
Vorstellungen gestaltet sind, was sie nicht näher ausführte. Ich stelle mit die
Fragestellung so vor: Gibt es für Männer teure Fußplätze und für Frauen eine
beschmierte und verdreckte Bank auf dem Spielplatz ihrer Kinder?. Die
Aufforderung auch in der jüdische Gemeinde zu Berlin Schulungen beim
Top-Management und in der Repräsentanz durchzuführen, damit mehr Frauen als
bisher dort Macht und Verantwortung übernehmen, wurde mit fröhlicher Zustimmung
vom Publikum aufgenommen.
kulturelles Rahmenprogramm
Im Rahmen der Eröffnung sang Anne-Lisa Nathan Gebete und Lieder und um mich
herum summten viele Beterinnen der Synagoge Oranienburgerstraße Berlin mit. Das
Stimmvolumen und auch der Klang ihrer Stimme sprach das Publikum unmittelbar an
und man fragt sich, warum Anne-Lisa Nathan - vollkommen zu unrecht - so selten
zu hören ist. Sie fand mit ihrer Stimme wesentliches und konnte es herstellen:
Einklang. Ein Gebet von Bertha Pappenheim, vorgetragen von den beiden
Kongress-Initiatorinnen Lara Dämming und Elisa Klapheck, die zurückhaltend und
unauffällig den Eröffnungsabend leiteten, und ein gemeinsam gesprochenes
Schecheanu gaben der Eröffnung einen Rahmen, in dem sich die religiösen wie auch
die säkularen Frauen wiederfinden konnten.
Das Programm der Konferenz, die bis einschließlich Sonntag dauert, ist sehr
interessant und vielfältig. Spontane Besucherinnen können eine
Tageseintrittskarte am Veranstaltungsort Prenzlauer Allee 227 in Berlin kaufen.
DG /
hagalil.com / 03-05-25
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