Neutralität und Loyalität:
Contra Kopftuch
Das Bundesverfassungsgerichts hat im September ein
Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen an Schulen in Baden-Württemberg für
rechtswidrig erklärt, da es keine hinreichend gesetzliche Grundlage dafür gebe.
Gleichzeitig überließ es den Ländern, entsprechende Gesetze zu schaffen...
Von Judith Kessler
Das Bundesverfassungsgericht hat Kruzifixe und
Ordenstrachten in staatlichen Schulen untersagt - islamische Kopftücher sind
erlaubt. Was für die einen gilt, sollte jedoch auch für die anderen gelten -
ähnlich wie in Frankreich, wo das Gesetz zur Trennung von Staat und Kirche den
Beschäftigten im öffentlichen Dienst bereits seit 1905 verbietet, in Ausübung
ihrer Funktion Zeichen ihrer religiösen Zugehörigkeit zu tragen. Was die Muslima
zu hause, im Kaffeehaus, in der Religionsschule oder in der Moschee trägt, ist
ihre Sache (oder die ihrer Väter und Brüder). Der Parteigänger kann seine
Abzeichen anlegen, der Jude seine Tfillim und der Transvestit seine Strapse. Das
Grundgesetz garantiert die "Freiheit des religiösen und weltanschaulichen
Bekenntnisses". Schön. Aber darf ein Lehrer in Bomberjacke und Springerstiefeln
vor seine Klasse treten, weil "ihm so ist"? Wie der (fiktive) Lehrer, zwingt die
(ganz reale) Lehrerin im Kopftuch ihren Schülern eine bestimmte Geisteshaltung
als vorbildhaft und nachahmenswert auf - ihre Verhüllung hat zweifellos
"appellativen Charakter" (anders als der "Scheitel" der orthodoxen Jüdin, der
als solcher nicht zu erkennen ist).
"Diener des Staates" sollte jedoch nur werden,
wer damit "leben" kann, dass in diesem Fall die Gebote des Staates – sprich:
Neutralität und Loyalität – über seinem persönlichen Bekenntnis stehen. Denn
dieses Bekenntnis muss dort seine Beschränkung erfahren, wo es das Bekenntnis
anderer – hier der sowohl schutzbefohlenen als auch abhängigen Schüler/Eltern –
tangiert (die können sich der Schule nicht entziehen und sich die Lehrer nicht
aussuchen). Anders verhält es sich bei religionsgebundenen und damit privaten
Schulen. Wenn Eltern ihre Kinder in eine solche Schule schicken, nehmen sie
bewusst und freiwillig in Kauf, dass diese mit Religionsspezifika und -inhalten
konfrontiert werden.
Was für Inhalte aber stehen hinter dem moslemischen
Kopftuch? Es gibt viele hehre und harmlose Motive, es zu tragen - Glaube,
Gewohnheit, Mode, Tradition, Abgrenzung usw. Der Koran selbst verpflichtet die
Frauen jedenfalls nicht dazu. Auch steckt hinter den wenigsten Kopftüchern ein
fundamentalistischer oder islamistischer Geist. Aber hinter jedem Islamisten
steckt das "Kopftuch" - und das ist das Problem (Metin Kaplan/Köln: "Islam und
Demokratie sind unvereinbar"). Es geht eben nicht nur um ein mögliches neues
Selbstbewusstsein oder irgendeinen Fetzen Stoff (auch das "Palästinensertuch"
hat seine Neutralität verloren). Es geht, spätestens seit Ajatollah Chomeni um
das Kopftuch als politisches Symbol, als Wahrzeichen einer totalitären
Ideologie, der Scharia, und einer weltweiten Re-Islamisierung. Es geht vor allem
um einen Islamismus, der mit dem Koran nichts zu tun hat, der Frauen auf ihre
Sexualität reduziert, und offen zugibt, den Staat abschaffen, Israel und die
Juden – als Protagonisten und Motoren des "Westens" – vernichten, und die
Weltherrschaft erringen zu wollen (liberale Gutmenschen, geschminkte
Kopftuchträgerinnen und Frauen im Tallit wären seine ersten Opfer). Um dies zu
erreichen, muss sich der Islam ausbreiten, müssen neue Anhänger gewonnen werden.
Dieses Missionarstum gegenüber "Ungläubige" ist eines des wesentlichen
Unterschiede zum Judentum. Insofern ist der beliebte Vergleich zwischen Kopftuch
und Kippa einer zwischen Äpfel und Birnen. Tatsächlich schreibt auch der Tanach
Juden keine Kopfbedeckung vor, sie hat sich erst im Laufe der Zeit wie der
„Scheitel" als Minhag – nicht als Mizwa – durchgesetzt. Dies gilt jedoch -
anders als beim islamischen Kopftuch - weder für den öffentlichen Raum, noch
steht eine fundamentalistische menschenverachtende Ideologie dahinter und – wie
gesagt - schon gar kein Missionswille, wie ihn der Islam ausdrücklich formuliert
und wie er gerade von Lehrern respektive Lehrerinnen durchgesetzt wird.
Was macht nun die Lehrerin Fereshta Ludin, die Klägerin im Kopftuch-Streit? Sie
unterrichtet zur Zeit an einer Schule des Berliner Islam Kolleg, das der
militanten islamischen Gemeinschaft Milli Görüs nahe steht, die auch ihre Jahre
währende Klage gegen den deutschen Staat unterstützt haben soll. Ludin wird
vorgeworfen, deutsche Frauen als "unrein" bezeichnet und sich bislang nie
negativ zur Rechtspraxis islamischer "Gottesstaaten" - als da sind
Auspeitschungen, Abtrennen von Gliedern, Steinigungen usw. – geäußert zu haben.
Kaum denkbar, dass diese Geisteshaltung nicht in irgendeiner Weise in ihren
Unterricht einfließen würde. Auch ohne Frau Ludins Hilfe ist der Kopftuchzwang
schon jetzt meist an weitere Sanktionen gekoppelt: Mädchen dürfen nicht am
Sportunterricht oder an Klassenfahrten teilnehmen - jeder Lehrer in Neukölln
kann ein Lied davon singen. Wo ist die Grenze? Das "islamische Kopftuch" ist nur
ein Oberbegriff, zu dem Tschador und Burka gehören (wir erinnern die Bilder aus
Afghanistan) - sie alle sind nach der aktuellen Rechtssprechung erlaubt. Warum
gestatten wir – gnädig pluralistisch wie wir sind - Hindu-Frauen nicht, sich
nach altem Brauch zusammen mit dem Leichnam ihres Mannes verbrennen zu lassen?
Die Witwenverbrennung ist zwar in ihrem Mutterland Indien seit langem verboten,
aber das ist das Kopftuch in der Türkei schließlich auch, und das schon seit
Kemal Atatürk....
In Deutschland gibt es noch immer genug Ärger
mit dem christlichen Fundamentalismus, wir müssen nicht auch noch den
islamischen unterstützen. Muslimische Frauenrechtlerinnen haben bereits am
Anfang des 20. Jahrhunderts den Schleier abgeworfen. Heute müssen ihre
Enkelinnen vielerorts wieder um Leib und Leben fürchten, wenn sie sich für
Demokratie und Frauenemanzipation einsetzen. Die gläubige Muslima Schirin Ebadi,
die für ihr Engagement vor wenigen Tagen den Friedensnobelpreis bekam, setzt das
Kopftuch ab, kaum befindet sie sich außerhalb des Zugriffs der iranischen
Mullahs. Dieses für Lehrerinnen nun zu fordern und zuzulassen ist kein Zeichen
der Toleranz sondern der Ignoranz, und ein Schlag ins Gesicht jener Mehrheit
unter den 3,2 Millionen Moslems in Deutschland, die (noch) unverschleiert ist.
Das Kopftuch in Koran und Sunna
Die muslimischen Verfechter der Kopf- oder
Körperver-hüllung stützen sich auf fünf Koranverse. Aus ihnen lässt sich jedoch
kein Kopftuch-Zwang ableiten: Im ersten Vers 33:53 heißt es: "…wenn ihr sie [die
Frauen des Propheten] um einen Gegenstand bittet, bittet sie hinter einen
Vorhang [Hijab]". Bezweckt ist hier der Schutz der Privatsphäre des Propheten
Mohammed; das Wort Hijab meint kein Kleidungsstück, und es bezieht sich nur auf
die Frauen des Propheten – genau wie der zweite Vers 33:32-33: "O Frauen des
Propheten… sitzet still in euren Häusern…" Auch hier ist keine Rede von einem
Schleier, sondern im übertragene Sinne vom „Verstecken" der Frau vor der
Öffentlichkeit. Im dritten Vers 24:30-31 heißt es: "…sprich zu den gläubigen
Frauen, dass sie ihre Blicke niederschlagen, und ihre Scham [Furug, d.h.
Körperfalten] hüten und nicht ihre Reize [Zinat] zur Schau stellen… und dass sie
ihren Schleier [Khimar] über ihren Busen schlagen". Einzig in dieser Sure ist
ein Schleier erwähnt, er soll jedoch die Brust bedecken (die Kleider im frühen
Arabien waren tief ausgeschnitten), nicht den Kopf – die Sure ist eine
Aufforderung zu dezentem Verhalten, ähnlich wie der vierte Vers 33:59: "O
Prophet, sag deinen Gattinnen und deinen Töchtern und den Frauen der Gläubigen,
sie sollen etwas von ihrem Überwurf [djilbab] über sich herunter ziehen. Das
bewirkt eher, dass sie erkannt und nicht belästigt werden". Hintergrund dieses
Verses ist, dass man verhindern wollte, dass freie Frauen (wenn sie nachts im
Freien ihre Notdurft verrichteten) mit Sklavinnen – die gleich gekleidet, aber
Freiwild waren – verwechselt wurden. Dass es bei diesen Regeln um Macht und eine
Beschränkung der Sexualität, nicht aber um Religion geht, zeigt noch deutlicher
der letzte Vers 24:60: "…für diejenigen Frauen, die alt geworden sind und nicht
mehr darauf rechnen können, zu heiraten, ist es kein Vergehen wenn sie ihre
Kleider ablegen". Soweit der Koran. Die Sunna (Überlieferung von Aussagen und
Taten des Propheten als Privatperson) hat seine (moderate) Botschaft später
jedoch in andere Bahnen gelenkt. Als Hauptquelle der repressiven Scharia wurde
sie lange nach Mohammads Tod entwickelt und seit dem 10. Jahrhundert nicht mehr
verändert. Dementsprechend sieht ihr Frauenbild. In der Sunna wird die Frau zur
Aurah. Aurah bedeutet Mangel, und bezieht sich hier auf die Geschlechtsteile.
Während Aurah beim Mann den Teil zwischen Nabel und Knie meint, ist bei der Frau
der ganze Körper Aurah. Al-Ahwazi (798/1169) schreibt: "Die Frau selbst ist eine
Aurah, weil man sich für sie schämt, wenn sie sich zeigt, genau wie man sich
schämt, wenn die Aurah zum Schein kommt..." Die Frau ist nicht nur Sexobjekt,
sondern: "Die Frau als ganzes ist böse" (Charour 353). Sie muss – falls sie
schön ist – ihr Gesicht verschleiern, um al-Fitna (Unruhe stiften) zu vermeiden
(offenbar gerät der Mann angesichts weiblicher Schönheit außer Kontrolle). Hinzu
kommt ihr „Mangel an Vernunft" (Buchari 293) und die Unfähigkeit,"sich eine
richtige Meinung zu bilden", weswegen "sie weder Imam noch Quadi werden darf"
(al-Manawi 7393). zit. nach R. Ghadban
Erstveröffentlichung in: Jüdisches Berlin,
Nr. 11 / 2003
Zeitungen
Juden und jüdisches Leben in Berlin
IW /
hagalil.com / 2003-11-12
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