Langes Sündenregister Malikis

Die Politik des irakischen Regierungschefs Maliki stürzt den Irak zusehends in Chaos. Die Sunniten ziehen sich vermehrt aus dem politischen Prozess zurück, während die Kurden auf Landgewinne setzen.

Inga Rogg, Istanbul
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Der irakische Regierungschef Maliki während eines Interviews in Bagdad. (Bild: Keystone / AP)

Der irakische Regierungschef Maliki während eines Interviews in Bagdad. (Bild: Keystone / AP)

Das politische Sündenregister des irakischen Regierungschefs Nuri al-Maliki ist so lang, dass er in jeder funktionierenden Demokratie längst den Hut hätte nehmen müssen. Maliki hat sämtliche Koalitionsvereinbarungen gebrochen, die ihm vor drei Jahren die Wiederwahl ermöglichten. Den Rechtsstaat, den er den Irakern versprach, hat er ausgehöhlt, indem er die Sicherheitskräfte unter seine persönliche Kontrolle brachte und sich die Justiz weitgehend gefügig machte. Zudem hat er zahlreiche unabhängige Institutionen wie die Zentralbank oder die Antikorruptionsbehörde unterminiert. Derweil verschlechtert sich die Sicherheitslage im Land immer mehr.

Sunniten in der Zwickmühle

In der ersten Juliwoche sind mindestens 180 Personen Anschlägen und Morden zum Opfer gefallen. Nach Angaben der Website iraqbodycount.org, die als zuverlässig gilt, wurden 229 Zivilisten getötet. In der ersten Jahreshälfte zählte die gleiche Organisation 3175 zivile Todesopfer. Die Uno-Vertretung im Irak, nach deren Angaben in den ersten sechs Monaten des Jahres 3285 Zivilisten Opfer der politischen Gewalt wurden, hat mehrmals von einem Abgleiten des Landes in einen neuen Bürgerkrieg gewarnt und die irakischen Fraktionen zu einem ernsthaften politischen Dialog aufgerufen, um das Problem mit den Wurzeln zu beseitigen.

Ein Grossteil der Gewalt geht auf das Konto der Kaida im Irak. Deren «Islamischer Staat im Irak» hat sich unlängst mit den syrischen Extremisten der Nusra-Front vereint. Dass sunnitische Extremisten aus dem Irak in Syrien kämpfen, steht ausser Frage. Dass es der Kaida gleichzeitig gelungen ist, ihre Angriffe auszuweiten, deutet darauf hin, dass zumindest Teile der Sunniten ihren Widerstand gegen die Extremisten aufgegeben haben.

Zwar ist das Land weit von den Verhältnissen der Jahre 2005 bis 2007 entfernt, als jeden Monat Tausende dem Terror zum Opfer fielen. Zuletzt war die Gewalt im Jahr 2008, das allgemein als Wendepunkt gilt, so hoch wie jetzt. Damals hatte sich die Mehrheit der Sunniten für die Teilnahme am politischen Prozess entschieden und sich 2009 an den Wahlen in die Provinzräte und 2010 an den Parlamentswahlen beteiligt. Als Ende Juni in den beiden mehrheitlich sunnitischen Provinzen Anbar und Ninive (Mossul) die Provinzräte erneut bestellt wurden, blieben viele Wähler zu Hause. Zwar war die Wahlbeteiligung in Anbar mit 50 Prozent relativ hoch, in Ninive sank sie jedoch von 60 auf 38 Prozent.

Arabisch-kurdischer Konflikt

Monatelang hatten die Sunniten weitgehend friedlich gegen die schiitisch dominierte Regierung protestiert. Ende April lösten Polizei und Armee jedoch in Hawiya bei Kirkuk ein Protestcamp gewaltsam auf. Mindestens 51 Protestierende wurden getötet, anschliessend kam es in der Region zu schweren Kämpfen. Sunnitische Stammesvertreter drohten, eigene Milizen zu bilden. Für viele Sunniten war Hawiya ein Wendepunkt. Die niedrige Wahlbeteiligung in Ninive hat erneut die Kurden, die Teile der Provinz ihrem Teilstaat zuschlagen wollen, zur stärksten Fraktion gemacht. Das Nachsehen hatte der Gouverneur Athil Nujaifi, dessen Bündnis mehr als die Hälfte der bisherigen Sitze verlor.

Ebenfalls verschärft hat sich der arabisch-kurdische Konflikt in der umstrittenen Region südlich von Kirkuk. Dort hat sich unlängst eine kurdische Brigade von der irakischen Armee abgespalten und den Peschmerga, den Soldaten des kurdischen Teilstaats, angeschlossen. Einziger Lichtblick für Maliki ist, dass in Anbar seine sunnitischen Verbündeten mit gut 13 Prozent einen Achtungserfolg erzielten. Insgesamt ist seine Politik gegenüber den Sunniten indes gescheitert.

Suche nach Verbündeten

Ein kühler Wind bläst Maliki auch aus dem eigenen schiitischen Lager entgegen. Radikale Gruppen wie Asaib al-Hak, die von Iran unterstützt werden und ebenfalls Kämpfer nach Syrien schicken, sorgen mit Morden unter den Sunniten in Bagdad für Angst und Schrecken. Dass die Lage sich bisher nicht weiter zugespitzt hat, liegt vor allem am mässigenden Einfluss von Grossayatollah Ali Sistani, dem höchsten schiitischen Geistlichen im Irak, sowie daran, dass sich die Bewegung um den Prediger Moktada as-Sadr für den politischen Prozess und gegen die Gewalt entschieden hat. Dabei hat Sadr mit dem Islamic Supreme Council of Iraq (Isci) jüngst eine «strategische Allianz» gebildet.

Die ersten Früchte dieses Bündnisses sind die neuen Provinzregierungen in Bagdad, Diyala und Basra. Sowohl in Bagdad wie in Diyala spannten sie dabei mit Malikis sunnitischen Gegnern zusammen. Wie schon 2009 könnten die diesjährigen Provinzwahlen ein Indiz für die Parlamentswahlen im nächsten Jahr sein.

Angesichts dessen hat Maliki einen Kurswechsel vollzogen und sich erstmals seit langem mit dem mächtigen kurdischen Regionalpräsidenten Masud Barzani getroffen. In irakischen wie kurdischen Medien wird spekuliert, Barzani könnte den seit Monaten kranken Jalal Talabani als irakischen Präsidenten ablösen. Das alles kann man als Zeichen werten, dass politische Deals im Irak weiterhin möglich sind. Den Preis für den Schacher zahlt einmal mehr die Zivilbevölkerung.

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