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Gaddafi und sein Clan: Öl, Jetset und Gewalt

Foto: STR/ REUTERS

Libyens Revolutionsführer Gaddafi Der Wüsten-Neurotiker

Von Ängsten geplagt, kritikunfähig, vertraut nur engsten Beratern - so beschreiben US-Diplomaten den 68-jährigen libyschen Diktator. Auf eines habe er sich allerdings immer gut verstanden: die eigene Macht zu sichern. Nun stemmt sich Muammar al-Gaddafi mit letzter Kraft gegen die Revolte.

Hamburg - Für seine Machtergreifung hat Muammar al-Gaddafi eine einfache Erklärung. Dass er 1969 König Idris vom Thron putschte, erläuterte er einmal so: "Gott war mit der Revolution." Doch jetzt, vier Jahrzehnte später, lehnen sich Regimekritiker gegen ihn auf - und Gaddafi beantwortet das mit unerbittlicher Härte. Eine neue Revolte will der ewige Revolutionsführer mit allen Mitteln verhindern.

Soldaten feuern offenbar aus Flugzeugen und mit Maschinengewehren auf Demonstranten. Hunderte Menschen sind in den vergangenen Tagen gestorben. Das Parlament brannte. Es sind die schwersten Unruhen in Gaddafis 42-jähriger Herrschaftszeit.

Libyen

Kritische Stimmen wusste er schon immer brutal zu unterdrücken. Politische Parteien sind verboten, Demonstrationen ebenfalls. Wer sein Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit ausüben möchte, muss mit der Todesstrafe rechnen. ist eines der repressivsten Regime der Welt.

Im Zentrum der Macht steht Gaddafi. Seit 1979 ist er zwar offiziell kein Staatschef mehr, sogenannte Volkskonferenzen sollen der Theorie nach im Sinne des Volkes regieren. Doch tatsächlich ist Gaddafi Herrscher geblieben - und feiert das mit einem ausschweifenden Personenkult. In ganz Libyen hängen überlebensgroße Bilder von ihm: mit dunkler Sonnebrille oder im bunten Phantasiegewand.

Zum 40. Jahrestag der Revolution ließ er für Hunderte Millionen Dollar ein bombastisches Fest inszenieren - inklusive Reitershow, Militärmärschen, Feuerwerken und Exekutionsszenen.

Wenn Gaddafi reist, gleicht sein Hofstaat einem Zirkus: Zelt, Pferde, schöne Frauen hat er im Gepäck. Immer dabei ist seine langjährige ukrainische Krankenschwester Galina K., sie wird als "üppige Blondine" beschrieben. Auch beim Rom-Besuch im Sommer 2010 wollte er nicht auf das Damenprogramm verzichten: Vor Hunderten Models erteilte er eine Lehrstunde über den Islam.

"Hundert Prozent krank im Kopf"

Es sind solche und ähnliche Details, die weltweit Spott auslösen. Auch der neueste Kurzauftritt Gaddafis im Staatsfernsehen löst Befremden aus: Aus einem alten Auto heraus, mit einem Regenschirm in der Hand, murmelt er in ein Mikrofon, dass er sich noch in Tripolis befinde. 22 Sekunden dauert diese eigenartige Szene.

Der frühere ägyptische Präsident Anwar al-Sadat urteilte einmal über Gaddafi: "Hundert Prozent krank im Kopf." Der US-Geheimdienst CIA gelangte 1982 zu der Erkenntnis: "Nach unserer Einschätzung leidet er an einer schweren Persönlichkeitsstörung."

US-Diplomaten beschreiben den heute 68-jährigen Gaddafi als einen neurotischen, von Ängsten geplagten Mann, der nur seinen engsten Beratern vertraut und mit Kritik nicht gut umgehen könne. Vor allem eines aber konnte er immer gut: seine Macht sichern.

Das gelinge ihm durch "gewieftes Ausbalancieren von Interessen", so der amerikanische Botschafter Gene Cretz. Besonders deutlich ist das in den vergangenen Jahren geworden, seit Gaddafi sich westlichen Staaten angenähert hat.

Gaddafi

, der einst terroristische Gruppen in der ganzen Welt unterstützte und damit auf die Liste der "Sponsoren des internationalen Terrorismus" gelangte, vollzog 2003 eine außenpolitische Kehrtwende. Damals verzichtete er auf sein Programm für Massenvernichtungswaffen, entschädigte Opfer des Attentats von Lockerbie - allerdings wohl weniger aus Überzeugung denn aus politischem Kalkül.

Korruption, Vetternwirtschaft und Arbeitslosigkeit

Denn damit wurden erst die Sanktionen der Uno und der EU - später auch der USA - gegen Libyen aufgehoben. Gaddafi fand wieder Abnehmer für sein Öl, seither hat sich das Land zu einem der wichtigsten Erdöllieferanten für Europa entwickelt. Die Einnahmen sind in die Höhe geschnellt, Gaddafi kauft sich damit die Loyalität von Teilen der Gesellschaft, etwa der wichtigen Stämme. 2007 kündigte er zudem Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst um bis zu 80 Prozent an. Ende Januar wurde als hektische Reaktion auf die Proteste im Land bekanntgegeben, dass Libyen einen Entwicklungsfonds in Höhe in Höhe von 14 Milliarden Euro auflegen werde.

Doch das libysche Gesundheitswesen ist in einem desolaten Zustand; Korruption und Vetternwirtschaft lähmen das Land. Wie in den Nachbarländern sind viele Jugendliche arbeitslos. Fast die Hälfte der sechs Millionen Einwohner des Landes ist unter 25 Jahre alt. "Die Menschen sind enttäuscht, dass es nach der außenpolitischen Öffnung keinen innenpolitischen Wandel gegeben hat", sagt Isabelle Werenfels von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Zunehmend bröckelt die Machtbasis von Gaddafi, der sich bislang auf seinen Familienclan, die Armee, den Sicherheitsapparat und die Stämme gestützt hat. Gaddafi selbst gehört einem Berberstamm an, er wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Er absolvierte eine militärische Ausbildung und gründete den "Bund der freien Offiziere", mit dem er putschte.

Noch scheinen Teile der Armee hinter ihm zu stehen. Allerdings sollen in der Hafenstadt Bengasi ganze Militäreinheiten desertiert sein. Die Vertreter wichtiger Stämme haben sich nun von ihm distanziert - ein bemerkenswertes Signal. Auch der libysche Botschafter bei der Arabischen Liga legte sein Amt nieder und protestierte damit gegen die Schüsse auf Demonstranten.

Die Führung will die Proteste bekämpfen - "bis zum letzten Mann"

Gaddafi schickte in der Nacht zum Montag seinen Sohn Saif al-Islam vor, der seinerseits einen bizarren Auftritt hatte. Saif al-Islam wurden bislang die besten Chancen als Nachfolger Gaddafis eingeräumt. "Doch auch ihn hat Gaddafi immer wieder zurückgepfiffen", erklärt Libyen-Expertin Werenfels. "Er spielt alle gegeneinander aus."

Saif al-Islam

So wurde Mitte Januar als Chef der Gaddafi-Stiftung entmachtet. Der 38-Jährige gilt als Reformer, der das Land politisch und wirtschaftlich öffnen will. Er ist Architekt, Ingenieur und Ökonom, hat an der London School of Economics promoviert. 2006 sagte er, "das demokratische System, von dem wir träumten, gibt es in der Realität nicht". Das existierende System "missbraucht den Begriff der Demokratie".

Seine Rede im Fernsehen überraschte daher. Zwar kündigte Saif al-Islam Veränderungen an, um "ein neues Libyen zu schaffen". Aber das Regime, bekräftigte er, werde sich gegen die Revolte verteidigen - "bis zum letzten Mann, zur letzten Frau, zur letzten Kugel". Die Armee sei loyal und bestens bewaffnet. Als Schuldige für die Aufstände identifizierte er: Islamisten, Medien, Verbrecher, Betrunkene und Drogensüchtige - und natürlich Ausländer.

Dabei galt Saif al-Islam bislang als moderat - im Gegensatz zu Bruder Mutassim, der ebenfalls um die Nachfolge des Vaters konkurriert. Er ist Nationaler Sicherheitsberater, kommandiert eine eigene Brigade und gilt als Hardliner. Ebenso verankert im Sicherheitsapparat ist ein weiterer Bruder, Khamis, der eine Brigade kommandiert, die als hervorragend trainiert und ausgestattet gilt.

Von den übrigen Brüdern - Gaddafi hat sieben Söhne und eine Tochter - machte besonders Hannibal auf sich aufmerksam. In Rom soll er betrunken Flaschen auf Polizisten geworfen haben, in Paris raste er über die Champs-Elysées - mit Tempo 140 auf der falschen Straßenseite. Ein französisches Gericht verurteilte ihn zu vier Monaten Gefängnis auf Bewährung, weil er seine Geliebte und spätere Ehefrau Alina schlug. Eben jene Alina war auch mit ihm in Genf, als zwei Bedienstete sich bei der Schweizer Polizei beklagten, sie würden körperlich misshandelt, was Gaddafi junior bestreitet. Die Affäre wuchs sich zur diplomatischen Krise aus und gipfelte darin, dass Gaddafi zum Dschihad gegen die Schweiz aufrief.

Doch die Diskussion um die Nachfolge Gaddafis könnte sich auch schnell erledigen. Die Proteste weiten sich immer mehr aus, das Parlamentsgebäude in Tripolis und Polizeiwachen wurden angezündet. Libyen-Expertin Werenfels möchte zwar keine Prognose wagen, wann genau es so weit ist, aber sie ist sich sicher: "Das Gaddafi-Regime wird das nicht überleben."