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DENKER Entlarvende Briefe

aus DER SPIEGEL 40/2002

Der Philosoph Norbert Elias, 1990 gestorben, hat schon zu Lebzeiten die Nachdenker polarisiert. Jetzt, zwölf Jahre nach seinem Tod, ist er die Hauptfigur in einem bizarren Streit: Der hannoversche Soziologe Michael Hinz wirft in dem soeben erschienenen umfangreichen Werk »Der Zivilisationsprozeß: Mythos oder Realität« dem Heidelberger Ethnologen Hans Peter Duerr vieles vor - etwa, Elias, den Schöpfer der Zivilisationstheorie, »zu diffamieren«. Duerrs Verhalten sei getragen von »Feindseligkeit, Hass und totalem Vernichtungswillen«. Dahinter, mutmaßt Hinz, stecke eine »affektive Kränkung« - soll heißen: Duerr sei eingeschnappt. So habe der sich einst bemüht, »persönlichen Zugang zu Elias zu bekommen« - aber vergeblich. »Völliger Unsinn!«, kontert Duerr im Gespräch: Hinz berufe sich auf einen Briefwechsel zwischen ihm, Duerr, und Elias, der im Marbacher Literaturarchiv liegt: »Keine einzige Behauptung von Hinz findet sich in dem Briefwechsel wieder.« Im Gegenzug legt Duerr zwei Briefe von Elias vor: einen vom März 1988, in dem er sich bei Duerr für die Zusendung seines Buches über den Zivilisationsprozess bedankt ("Ich finde es interessant, anregend, klug wie immer von Ihnen"); und einen Brief an den Suhrkamp-Verlag vom Juni 1989, in dem Elias darüber wettert, dass die »Propaganda« von Duerr im selben Haus wie seine Werke erscheinen dürfe. Duerr: »Elias hat sich um den Kontakt mit mir bemüht und ist später gegen mich vorgegangen, nicht umgekehrt«; Hinz stelle die Geschichte auf den Kopf. Fest steht: Im zivilisierten Verhalten, auf das sich die Menschheit laut Elias zubewegt, müssen sich die Groß-Denker noch üben.

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