Rechtspopulisten, Neo-Linke, Separatisten, EU-Gegner: Nicht nur in Griechenland, nein, in ganz Europa sind radikale Parteien erstarkt. Wir zeigen die 39 erfolgreichsten.

Populismus und Extremismus haben sich in Europa etabliert. In der überwiegenden Mehrheit der EU-Staaten haben sich an den Rändern der Demokratie politische Kräfte gesammelt, die eine Kritik an hergebrachten Strukturen und Konsensen institutionalisiert und zu ihrem Markenkern erhoben haben. Womit genau hat man es hier aber zu tun?

1 — Populismus oder Extremismus?

Wir unterscheiden hier in unserer Übersicht zwischen populistischen und extremistischen Parteien. Die beiden Begriffe sind miteinander verwandt, aber eben nicht eins zu setzen. Populismus, das ist ein schwammiger, oft raunend verwendeter Begriff. Im Gegensatz zu anderen -ismen wohnt ihm kein weltanschaulicher Kern inne, seine Konturen sind unscharf und je nach politischer Ausrichtung bedient er sich bei anderen Ideen und Großentwürfen. Im Kern steht jedoch immer: das Volk. Eine homogene Einheit, zu deren Sprachrohr sich der Populismus aufschwingt, deren vermeintlichen "Willen" er zu vertreten sucht. Dieses Volk wird zumeist in zwei Richtungen von "den Anderen" abgegrenzt. Nach oben, gegen die Elite, die Herrschenden und zu den Seiten, gegen Andersdenkende.

Der Extremismus überschneidet sich mit dem Populismus, vor allem was das Antielitäre und die Heroisierung der Vox populi angeht. Und sie können sich wechselseitig beieinander bedienen. Der Extremismus unterscheidet sich jedoch dadurch, dass er eine soziale Ordnung entwirft, welche der hergebrachten Gesellschaft entgegensteht, das System nicht bloß irritieren und reformieren, sondern abschaffen will und sein brachiales, oft militarisiertes Politikverständnis als Gegenentwurf zu den üblichen Gesellschafts- und Verhandlungsstrukturen begreift.

Überdies wird zwischen ‚linken‘ und ‚rechten‘ Populismen und Extremismen unterschieden. Im Extrem steht hier die sozialistische Umwälzung der nationalen Revolution gegenüber. Linker Populismus idealisiert die sozialstaatliche Fürsorge, der rechte Appel au peuple richtet sich gegen Einwanderer, Ausländer und kulturelle Pluralität.

2 — 24 Länder, 39 Parteien



3 — Historische Trends

Der Wurzelgrund des modernen westeuropäischen Populismus liegt in den 1980er Jahren. Als sich die Globalisierung Bahn brach, die Industrienationen zu Wissensgesellschaften wurden, sich Lebensstile pluralisierten und die Erosion traditioneller Wertemuster und Vergemeinschaftungen rapide voranschritt, feierten die Freiheitlichen in Österreich und der Front National Mitte der 1980er Jahre die ersten spektakulären Wahlerfolge. Sie reüssierten, weil sie einen Gegenentwurf anboten: zurück zu Familie, Volk, Scholle. Dies war der Auftakt zu einer Entwicklung, die in den neunziger Jahren weiter voranschritt, als mit Vlams Blok in Belgien, der italienischen Lega Nord, der dänischen Folkeparti sowie später der List Pim Fortuyn in den Niederlanden populistische Parteien aufkamen und die politischen Systeme durcheinanderwirbelte.

Diesen ersten Wahlerfolgen folgte alsbald die Phase der Etablierung. Der Rechtspopulismus wurde salonfähig. Die etablierten bürgerlichen Parteien gingen gar Koalitionen mit den Schmuddelkindern ein. In Italien holte der Populist Silvio Berlusconi 1994 die Lega Nord in sein Wahlbündnis, in Österreich koalierte die ÖVP 1999 mit der auf fast 27 Prozent angewachsenen FPÖ. In jüngerer Zeit tolerierte die dänische Folkeparti zwischen 2001 und 2011 eine bürgerliche Minderheitsregierung und in den Niederlanden tat selbiges der Populist Geert Wilders anderthalb Jahre mit dem Kabinett Mark Ruttes. Deutlich hervor tritt bei Populisten in Regierungsverantwortung indes das für diese Parteien typische Paradox, dass man nun als Teil des Establishments weiter gegen "die da oben" wettern muss, um seinen Markenkern zu wahren. Die Konfrontation der großen Vereinfacher mit der komplexen Realität führt dazu, dass sie zu schizophrenen Taktiken, wie dem Kurs einer "Opposition in der Regierung" (Lega Nord) greifen oder, wie im Falle der FPÖ, bei der nächsten Wahl vom enttäuschten Demos für ihre Korrumpierbarkeit abgestraft werden.

4 — Der heutige Populismus

Die heutigen Erscheinungsformen extremistischer und insbesondere populistischer Strömungen sind zunehmend divers. Wo die Herolde des Populismus, Jean-Marie Le Pen und Jörg Haider, jahrzehntelang offenen Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus pflegten und sich genüsslich am extremen Rand bewegten, sind ihre Parteien heute dabei, sich zu "entteufeln". Über die Besetzung der vermeintlich populären Themen Islam, Zuwanderung, EU-Kritik, kulturelle Identität, soll die Wählerschicht über die extremen Enklaven hinaus erweitert werden. In Frankreich führte dies dazu, dass sich jüngst knapp die Hälfte der Franzosen vorstellen konnte, Front National zu wählen.

Auch der Erfolg einer neuen Linken in Südeuropa, die in einer erodierenden Parteienlandschaft zersplitterte Gruppen unter dem Dach antielitärer und populärer Emotionen vereint, ist ein bislang ungekanntes Phänomen. Ob Tsipras, Varoufakis und Iglesias nun gefährliche Demagogen sind oder doch nur Mitte-links-Politik in einem neuen Gewand verkörpern, wird sich erst noch zeigen müssen.

Beobachten lässt sich außerdem, dass die traditionellen Grenzen zwischen rechts und links zunehmend verwischen. Dazu trägt die Antipose als einendes Moment bei. Beppe Grillos Movimento 5 Stelle, das traditionell eher linke Forderungen bedient, scheute so – ebenso wie Tsipras in Griechenland – nicht davor, im Europäischen Parlament mit Ausländerfeinden zusammenzuarbeiten. Politische Kommentatoren warfen Grillo daraufhin gar vor, Mussolinis Weg vom Sozialismus zum Faschismus zu beschreiten.

Richtet man den Blick nach Osteuropa, ist vor allen Ungarn ein besorgniserregendes Beispiel für die Verrohung der politischen Kultur durch den Einfluss Rechtsextremer. Hier, wo der Neofaschismus von beinahe 20 Prozent der Wähler goutiert wird, flossen die Positionen der Extremisten rasch in die Politik der regierenden Fidesz-Partei ein. Inmitten der Europäischen Union konnte so von Ministerpräsident Orbán die Pressefreiheit faktisch außer Kraft gesetzt werden und der Roma-Hass zur Staatspolitik avancieren.