"Wir haben versagt, die Träume der Revolution mit Leben zu erfüllen. Unsere Jugend ist dabei, ihre Hoffnung zu verlieren", rief er in das Auditorium, das ihn am Ende seiner Rede mit stehenden Ovationen feierte. Im Rund des Bardo-Palastes saßen 195 der 217 Parlamentarier Tunesiens, am Ende der charismatischen Ruckrede wählten sie mit überwältigender Mehrheit Youssef Chahed zum neuen Regierungschef Tunesiens und sprachen seinem Kabinett der Nationalen Einheit das Vertrauen aus. "Wir sind alle verantwortlich, wir alle müssen Opfer bringen", sagte der Gefeierte und warb dafür, "das Interesse des Vaterlandes über alle ideologischen Differenzen zu stellen".

Der neue Premier machte schnell deutlich, um was es ihm in seiner Amtszeit gehen wird. Er nannte die in den vergangenen fünf Jahren massiv betriebene Expansion im öffentlichen Dienst um weitere 110.000 Angestellte einen katastrophalen Rückschlag für die tunesische Volkswirtschaft. "Als absolute Priorität" versprach er den Kampf gegen Korruption und Terrorismus.

Unter seinen Landsleuten gilt er als integer. Tunesiens Zeitungen lobten seinen Auftritt als erfrischend, zeitgemäß und inspirierend.

Youssef Chahed ist mit seinen 40 Jahren der jüngste Regierungschef in der Geschichte Tunesiens. Geboren wurde der Vater einer Tochter im September 1975 in Tunis. Dort studierte er Agrarwissenschaften, ein Fach, in dem er 2003 in Frankreich mit dem Thema Auswirkung der Liberalisierung von Agrarmärkten promovierte. Er spricht Arabisch, Französisch, Englisch und Italienisch, arbeitete anschließend als Gastprofessor an Universitäten in Paris, Tokio und São Paulo.

Nach dem Arabischen Frühling 2011 und dem Sturz des Diktators Ben Ali kehrte er in seine Heimat zurück und ging in die Politik. Sie liegt dem begabten Redner im Blut, seine Großmutter Radhia Haddad war eine bekannte tunesische Feministin und politische Pionierin. Bereits in den Fünfzigerjahren war sie eine der ersten weiblichen Abgeordneten des tunesischen Parlaments, ein Mandat, was sie vier Legislaturperioden innehatte.  

2012 gründete Chahed die sozialliberale Partei Al Joumhouri. Ein Jahr später schloss er sich der von Béji Caïd Essebsi, dem 89-jährigen Präsidenten Tunesiens, gegründeten säkularen Sammlungspartei Nidaa Tounes an, deren Vorstand er angehört. Nach deren Sieg bei der ersten regulären demokratischen Parlamentswahl in Tunesien 2014 wurde Chahed im Kabinett seines Vorgänger Habib Essid Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, zuständig für Fischerei.

Nach einer Kabinettsumbildung wurde er im Januar 2016 Leiter des neu geschaffenen Ministeriums für lokale Angelegenheiten. Am Montag übergab Essid in einer Feierstunde die Amtsvollmachten an seinen um eine Generation jüngeren Nachfolger.

Dieser ist nun der siebente Regierungschef seit 2011. In seinem 40-köpfigen Kabinett sitzen Parteimitglieder – von Nidaa Tounes bis zur islamistischen Ennahda-Partei – sowie Unabhängige. Einige Mitglieder der Vorgängerregierung – darunter Innen-, Verteidigungs- und Außenminister – durften bleiben. Ansonsten aber gab es einschneidende Veränderungen. Fünf Regierungsmitglieder sind jünger als 35 Jahre, acht sind Frauen, und mit Lamia Zribi führt eine von ihnen jetzt sogar das Finanzministerium. Großmutter Radhia Haddad hätte sich gefreut.