Obwohl Präsident Ali Abdullah Salih zu Beginn des Berichtsjahres circa 600 inhaftierten Rebellen eine Amnestie gewährte, konnte der Krieg zwischen den Rebellen der al-Shabab al-Mou'min und dem jemenitischen Militär nicht beendet werden. Zusammenstöße in der Region Sada waren das gesamte Jahr über zu verzeichnen. Die Angaben in Bezug auf die Intensität, Opferzahlen und das Ausmaß der Auseinandersetzungen waren allerdings vage. Jemen ist der ärmste Staat der arabischen Halbinsel und insbesondere die nördlichste Region Sada nahe der saudischen Grenze ist von mangelnder Infrastruktur und Armut geprägt. 1990 wurde im Jemen im Zuge der Vereinigung von Nord- und Südjemen der Parteienpluralismus eingeführt. Seitdem stellt der Allgemeine Volkskongress unter Präsident Ali Abdullah Salih die Regierung. Nach dem Gewinn des Bürgerkrieges im Jahre 1994 konnten Salih und seine Partei ihre zentrale Rolle in der Regierung festigen. In der aktuellen Diskussion um den internationalen, islamistischen Terrorismus geriet Jemen wegen der schwachen Durchsetzungsfähigkeit des Zentralstaates sowohl gegenüber den militarisierten jemenitischen Stämmen als auch gegenüber militanten Islamisten und deren Operationen auf jemenitischem Gebiet zunehmend in die Kritik. Im Nordjemen stellen die Stämme mit ihren bewaffneten Milizen einen erheblichen militärischen Einflussfaktor dar. Die Identität der Stämme basiert auf der Vorstellung von Abstammungsgemeinschaften sowie den ihnen eigenen Formen von Repräsentation und Rechtsprechung. In den letzten 30 Jahren führten die politische und wirtschaftliche Marginalisierung der Stämme seitens des Zentralstaates einerseits sowie die vielen inneren bewaffneten Auseinandersetzungen im Jemen andererseits zu einer verstärkten Militarisierung der Stammesgruppen. Im vereinigten Jemen sind die unterschiedlichen Stämme personell in Parteien und Staatsapparat vertreten. Aber auf der lokalen, infrastrukturell kaum angebundenen Ebene werden die staatlichen Institutionen oftmals als Symbol der Machtausübung der fernen politischen Eliten wahrgenommen. Insbesondere seit den Anschlägen des 11. September 2001 in den USA gelten die schwer kontrollierbaren Stammesgebiete als potentielles Rückzugsgebiet für militante Islamisten. Seither erhielt die jemenitische Regierung Militärhilfe von den USA und ging verstärkt gegen Verdächtige vor, was wiederholt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Stammesangehörigen und Polizeieinheiten führte. Das Spektrum der politischen Parteien und Gruppierungen besteht im Jemen neben dem Allgemeinen Volkskongress vor allem aus der islamischen Opposition, organisiert in der größten Oppositionspartei, der sunnitischen Islah (Reform) sowie der zaiditischen Al-Haqq (Die Wahrheit). In dieser sind vor allem die Sadah organisiert, die innerhalb der Zaidiyah, einer hauptsächlich im Nordjemen verbreiteten schiitischen Glaubensrichtung, den Anspruch auf eine bestimmte Abstammungslinie vom Propheten Muhammad erheben. Daraus leiteten Angehörige der Sadah traditionell das Recht auf einen weltlichen Herrschaftsanspruch in Form des Imamats ab, das historisch im Nordjemen erst im Bürgerkrieg 1962 abgeschafft wurde. In diesem Kontext steht der Vorwurf gegen den Rebellenführer Hussein al-Huthi, sich auf religiöse Rechte zu berufen, als er 2004 die Abführung der religiösen Almosensteuer (Zakat) an den Staat mit Waffengewalt zu verhindern versuchte. Die Regierung warf Huthi, der von 1994 bis 1997 Parlamentsmitglied für die Al-Haqq war, vor, die Restauration des Imamats anzustreben, was dieser allerdings zurückwies. Die Bewegung der al-Shabab al-Mou'min (Gläubige Jugend) unter der Führung von Huthi gilt als zaiditische Bewegung mit antiisraelischem und antiamerikanischem Hintergrund und Rückhalt bei den zaiditischen Stämmen Nordjemens. Die Regierung warf Huthi zu Beginn des Krieges 2004 ebenfalls die Gründung von staatlich nicht genehmigten religiösen Schulen in mehreren nordjemenitischen Distrikten seit 1997 vor, aus deren Umfeld vermutlich die Kämpfer der al-Shabab al-Mou'min stammten. Die Regierung hat im Nachhinein bestätigt, diese Schulen inoffiziell finanziell unterstützt zu haben, um den Einfluss des in Saudi-Arabien verbreiteten Wahhabismus im Nordjemen zu beschränken. Wahhabitische Einrichtungen im Jemen waren in den letzten Jahren zunehmend in die Kritik geraten, da in ihrem Umfeld Al-Qaida-Sympathisanten vermutet wurden. Dem Beginn der Kampfhandlungen 2004 sollen mehrere hundert Verhaftungen von meist jugendlichen Anhängern der al-Shabab al-Mou'min vorausgegangen sein, die in Moscheen antiamerikanische Parolen riefen. Der bisherige Verlauf des Krieges verzeichnete zwei Phasen mit größeren Auseinandersetzungen: Nach anfänglichen Erfolgen verschanzten sich die etwa 3.000 mit Maschinenpistolen und Raketenwerfern ausgerüsteten Rebellen von Ende Juni bis Ende September 2004 in Höhlen der Marran-Berge nahe der saudischen Grenze. Die Armee riegelte alle Zugänge dorthin ab, unterband sämtliche Telefonverbindungen in die Region und setzte Panzer, Artillerie und Kampfflugzeuge gegen die Rebellen ein. Ein auf Drängen von Opposition und Menschenrechtsorganisationen, welche die Auswirkungen der Blockade auf die Versorgung der Zivilbevölkerung in der Region kritisierten, gebildetes Verhandlungskomitee erreichte kein Ende der Kämpfe. Anfang August kam es trotz eines einwöchigen Waffenstillstands erneut zu heftigen Auseinandersetzungen, in deren Verlauf die Armee in einem großangelegten Angriff die Kontrolle über die Bergregion erlangte. In den folgenden Wochen durchkämmte sie auf der Suche nach führenden Mitgliedern der al-Shabab al-Mou'min die als Rückzugsorte der Rebellen verdächtigten Dörfer. Huthi wurde nach offiziellen Angaben am 10. September von der Armee getötet. Die Kampfhandlungen dauerten noch an, bis sich der zweithöchste Anführer der Rebellen, Abdullah al-Razami, am 21. September ergab. Polizei und Armee verhafteten Hunderte von Menschen, die der Unterstützung oder Verbindung mit Huthi und der al-Shabab al-Mou'min verdächtigt wurden. Die Angaben über die Zahl der Todesopfer für 2004 liegen zwischen 600 und über 1.000. Nach dem Tod Hussein al-Huthis übernahm dessen Vater Badr al-Din al-Huthi die geistige Führung der al-Shabab al-Mou'min und versuchte sukzessiv eine breitere Rebellenkoalition zu formen. Als Gründe für die erneuten Angriffe der Rebellen 2005 nannte der Vater Huthis laut Zeitungsberichten die andauernde Gefangenhaltung der als Unterstützer Huthis verhafteten Personen sowie die allgemein repressive Situation in den zerstörten Gebieten von Sada. Angekündigte Gespräche zwischen dem Präsidenten und dem Vater Huthis in der Hauptstadt Sana fanden nicht statt, so dass Letzterer nach Sada zurückkehrte, um dort die etwa 2.000 Rebellen anzuführen. Anlass der zweiten Runde der Auseinandersetzungen war der Tod von vier mutmaßlichen Unterstützern der Rebellen, die am 19. März bei Auseinandersetzungen mit der Polizei auf einem Waffenmarkt in Sada ums Leben kamen. Zeitungsberichten zufolge attackierten die Rebellen Polizeiposten mit Granaten, zerstörten mehrere Panzer und verübten ein Attentat auf den Polizeichef von Sada, bei dem dieser allerdings nicht verletzt wurde. Der Angriff der Rebellen auf ein Militärlager in der Region Nishur führte schließlich Ende März 2005 zu Auseinandersetzungen mit der Armee. Ihren Höhepunkt erreichten die Kämpfe am 30. März, als etwa 150 Menschen bei einem Zusammenstoss starben. Die Regierungstruppen setzten wie im Vorjahr schwere Waffen und später auch Spezialeinheiten ein, um gegen die befestigten Positionen der Aufständischen in Razamat und Nishur vorzugehen. Stammeskämpfer, die die Regierung unterstützten, kaperten Waffentransporte der Aufständischen. Gleichzeitig führte die Regierung Hausdurchsuchungen und Massenverhaftungen durch. Bis zur Verkündigung des Endes der Kampfhandlungen nach Einnahme der Rebellenpositionen durch Präsident Salih Mitte April sollen insgesamt etwa 800 Menschen getötet und ebenso viele verhaftet worden sein. Anlässlich des 43. Jahrestags des Sturzes der Monarchie am 26. September erließ Präsident Salih eine Amnestie für die gefangenen mutmaßlichen Unterstützer der Rebellion und kündigte eine Kompensation der Familie Hamid al-Din an, die bis zur so genannten Septemberrevolution regiert hatte. Dass mit diesem Schritt das Konfliktpotential nicht beseitigt wurde, zeigte sich als Ende November erneut mehrere Dutzend Menschen bei Auseinandersetzungen zwischen Rebellen und Regierungseinheiten starben. Die Umsetzung der Amnestie scheint Anfang März 2006 mit der Entlassung von rund 630 Gefangenen erfolgt zu sein, die während der Unruhen in den Jahren 2004 und 2005 ohne bestimmte Anklage in Haft genommen worden waren. Menschenrechtsorganisationen kritisierten allerdings eine mangelnde Transparenz, die es unmöglich machte die Zahl der Freigelassenen von unabhängiger Seite zu bestätigen. Obwohl die Gewalt 2006 keine Höhepunkte wie in den beiden Jahren zuvor aufwies, hielten die Auseinandersetzungen an. Im gesamten Jahresverlauf gab es immer wieder kurze aber intensive Kämpfe in der Sada-Region zwischen Regierungstruppen und Rebellen der al-Shabab al-Mou'min. Berichten zufolge waren im Januar etwa 20.000 Soldaten in der Sada-Region stationiert, um das Gebiet zu kontrollieren und weitere Rebellionen zu verhindern. Die Regierung plante darüber hinaus, in Sada einen dauerhaften Militärstützpunkt einzurichten. Verlässliche Zahlen zu Opfern der Auseinandersetzungen liegen kaum vor. Eine eher hohe Schätzung sprach von bis zu 450 getöteten Soldaten und bis zu 900 getöteten Rebellen pro Monat. Trotz der Stationierung des Militärs in der Sada-Region konnte eine fortwährende Aufrüstung der Rebellen nicht verhindert werden. Die Regierung war bisher nicht in der Lage die Lieferwege des Waffenschmuggels in die Rebellengebiete aufzudecken. Zwar vermutete sie - ohne bislang Belege dafür erbracht zu haben - unter anderem den Iran als externen Unterstützer der Rebellen. Anderseits ist klar, dass die Aufständischen auch aus dem Jemen unterstützt werden. Darauf deutet der Ausbruch von zwei wichtigen Anführern der Rebellen aus einem Hochsicherheitsgefängnis im Januar hin. Die Regierung fuhr im Umgang mit den Rebellen eine Doppelstrategie: Einerseits besteht seit 2004 ein Verhandlungskomitee unter der Leitung des Gouverneurs von Sada, Yahya al-Shami, das nicht nur ursprünglich von Präsident Salih eingesetzt wurde, sondern dessen Arbeit zumindest verbal immer noch von der Regierung unterstützt wird. Parallel zu diesen Verhandlungen laufen allerdings Einsätze der jemenitischen Armee, bei denen auch regelmäßig schwere Waffen zum Einsatz kommen. Diese Widesprüche spiegeln sich um Beispiel auch in Presseangaben aus dem September in denen einerseits Stammesangehörige über willkürliche Verhaftungen und Misshandlungen klagten, Angehörige der lokalen Verwaltung andererseits das friedliche Zusammenleben und die Fortschritte im Friedensprozess lobten.
Christian Sülau
Weiterführende Literatur und Informationsquellen:
Glosemeyer, Iris: Jemen. Mehr als ein Rückzugsgebiet für al-Qa´ida, (Deutsches Orient Institut, Focus Nr. 10), Hamburg 2003
Glosemeyer, Iris: Local Conflict, Global Spin. An Uprising in the Yemeni Highlands, in: Middle East Report 34 (2004), S. 44-46
International Crisis Group: Yemen. Coping with Terrorism and Violence in a Fragile State, 2004: http://www.icg.org
Ortlieb, Lars C.: Der Machtkampf der beiden Ali. Gescheiterte Vereinigung und Krieg im Jemen 1994 (Arbeitspapier der Forschungsstelle Kriege, Rüstung und Entwicklung; Universität Hamburg), Hamburg 1997
Stiftl, Ludwig: Politischer Islam und Pluralismus. Theoretische und empirische Studie am Beispiel des Jemens, Berlin 1998