Aus Teheran berichtet Ulrike Putz
2. Teil: Die Sicherheitskräfte agieren brutal, weil sie die Lage nicht mehr im Griff haben
Gesicherte Zahlen über Verletzte, über Tote gibt es nicht. Es dürften Hunderte sein, die seit Ausbruch der Gewalt am Samstag verwundet wurden. In der hochmodernen Tagesklinik an der Vali-Asr-Straße gibt ein sichtlich eingeschüchterter Chefkrankenpfleger nur widerwillig Auskunft. Acht Verletzte hätten sich allein in der vergangenen Stunde ins Hospital geschleppt, sagt er. Die Ärzte arbeiteten in Doppelschichten, vor allem die Chirurgen seien im Dauereinsatz, um Brüche zu behandeln.
Irgendwann gerät auch die Menschentraube, in der ich stehe, ins Visier der Gardisten. Mit hassverzerrten Gesichtern kommen sie kettenschwingend auf uns zu, drohen, uns mit ihren Crossbikes zu rammen. Rechts und links werden Flüchtende niedergeknüppelt. "Macht, dass Ihr wegkommt", schreien die Männer auf Arabisch.
Nach Berichten des Senders "Voice of America" sollen bis zu 5000 libanesische Kämpfer der Hisbollah-Miliz dem Regime beim Showdown zur Hand gehen.
Wer die Szenen erlebt, die sich in Teheran abspielen, muss zu einem Schluss kommen: Die Sicherheitskräfte sind auch deshalb so brutal, weil sie die Lage nicht mehr im Griff haben. Es wirkt, als hätten sie große Teile des Volkes gegen sich. Wer sich nicht auf die Straße traut, unterstützt den Protest mit praktischer Hilfe. Frauen reichen Wasserflaschen aus den Häusern, vor allem aber öffnen sie Flüchtenden die Türen.
"Ich habe ein paar Demonstranten im Keller versteckt", ruft eine Frau vom Balkon herab. Sekunden später brauche auch ich einen Unterschlupf. Eine Einheit zu Fuß nimmt in einer Seitenstraße die Verfolgung auf. Alles rennt, dann öffnet sich eine Haustür. "Schnell, schnell, rein mit Euch", sagt ein Mann, fünf, sechs Menschen flüchten sich in sein Apartment im Erdgeschoss. Sofort alle Lichter aus, in die Ecken hocken, weg von einem möglichen Splitterregen. Jetzt bloß kein Mucks. "Sofort rauskommen", brüllen die Männer draußen. Irgendwo gehen Scheiben zu Bruch, Stiefel treten gegen Türen. Schüsse hallen, ob Farbpistolen oder Tränengas ist nicht auszumachen. Nur das graue Perserkätzchen unserer Retter hat keine Angst: Es turnt über den Billardtisch, der mitten im Wohnzimmer steht.
Es dauert bange zehn Minuten, dann ziehen die Gardisten weiter. Ein Gespräch im Flüsterton kommt in Gang: Wie es der Zufall will, haben meine Gastgeber 15 Jahre lang in Frankfurt gelebt. "Schreib alles, was Du siehst. Schreib, dass die Menschen es satt haben", sagt Nadia. Sie ist sich sicher, dass der Aufstand Erfolg haben könnte, wenn er nur endlich besser organisiert wäre.
"Die Leute protestieren jetzt wegen Mussawi, aber sie wollen das ganze System wegschieben", sagt ihr Bruder A. J. über den Krieg vor seiner Haustür. Beide geben nur ihre Spitznamen an, sie haben Angst, erkannt zu werden.
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Die Teheraner zahlen einen hohen Preis für ihre Solidarität. "Scheißleben", kommentiert A. J. die Unruhen. "Vor 15 Jahren sind wir nach Teheran zurückgekehrt, bis vor zwei, drei Tagen haben wir es nie bereut", sagt der 33-Jährige. Jetzt könnten sie gleich nach Afghanistan gehen, zu den Taliban, witzelt er.
Am Montag um vier Uhr nachmittags soll der Versuch gemacht werden, den Protest in geordnete Bahnen zu lenken, Mussawis Leute haben zu einer zentralen Protestkundgebung aufgerufen. Nadia vermutet, dass es am Dienstag einen Generalstreik geben soll. Ihr Bruder wiegelt ab: Das werde alles nichts bringen. "Das geht noch ein paar Tage so weiter, dann wird scharf geschossen, und die Sache ist beendet", sagt er.
Nach einer Stunde ist es Zeit zu gehen. Der Abschied ist herzlich aber beklommen.
"Bete für uns", sagt Nadia. "Wir werden es brauchen."
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