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Guttenbergs Dissertation

Immer mehr abgekupferte Stellen

Verteidigungsminister Guttenberg hat in seiner Dissertation offenbar in weitaus größerem Maße bei verschiedenen Autoren abgeschrieben als bislang bekannt. FAZ.NET dokumentiert die wichtigsten Stellen.

Von Oliver Georgi

In Bedrängnis: Verteidigungsminister zu GuttenbergIn Bedrängnis: Verteidigungsminister zu Guttenberg

17. Februar 2011 

Dass in der Wissenschaft bei Seminararbeiten und Dissertationen freimütig abgekupfert wird, ist im Zeitalter des Internets längst eine Binse - doch was jetzt nach den Plagiatsvorwürfen gegen Guttenberg geschieht, dürfte einmalig in der deutschen Wissenschaftsgeschichte sein: Immer mehr Stellen tauchen auf, die Guttenberg bei anderen Autoren abgeschrieben haben soll - recherchiert gemeinsam von zahlreichen Internetnutzern. (siehe auch: Vorwürfe gegen Guttenberg: Die Stunde der Plagiatssucher) Eine regelrechte „Schwarmintelligenz“ hat sich formiert, um die 475 Seiten umfassende Dissertation von Guttenberg weiter auf verdächtige Stellen zu durchforsten und listet diese im Internet fein säuberlich auf. Titel des Blogs, der nach eigenen Angaben eine „kollaborative Dokumentation der Plagiate“ betreibt: „Eine kritische Auseinandersetzung mit Karl-Theodor Freiherr zu Guttenbergs Dissertation“.

Die Zahl der verdächtigen Stellen steigt so fast stündlich an. Neben der abgeschriebenen Einleitung aus einem F.A.Z.-Artikel der Politikwissenschaftlerin Barbara Zehnpfennig (siehe auch: Guttenberg-Dissertation: Anfang bei F.A.Z. abgeschrieben) und den zuvor durch den Bremer Wissenschaftler Andreas Fischer-Lescano angeführten Passagen führt der Blog mittlerweile mindestens zehn weitere Stellen auf, bei denen Guttenberg sich mit fremden Federn schmückt.

So bediente sich Guttenberg in der Einleitung offenbar nicht nur bei der F.A.Z., sondern auch bei einem Vortrag von Professor Ludger Kühnhardt, dem Direktor des Zentrums für Europäische Integrationsforschung (ZEI). Auf Seite 16 der Dissertation findet sich eine längere Passage, die nahezu deckungsgleich mit Kühnhardts Text ist - ohne jegliche Quellenangabe.

So heißt es bei Kühnhardt:

„Als der Konvent am 28. Februar 2002 seine Beratungen aufnahm, war dies von allgemeiner Skepsis begleitet. Die Erwartungen wurden von allen Beteiligten heruntergespielt. Nur in Amerika schien Vertrauen in das neue Werk der Europäer zu bestehen. Dort wurde der Verfassungskonvent von Philadelphia verglichen, der 1787 die bis heute bestehende amerikanische Verfassung erarbeitet hat.“

Bei Guttenberg lautet die Stelle so:

„Als der europäische Verfassungskonvent seine Beratungen aufnahm, war dies von allgemein verbreiteter Skepsis begleitet. Die Erwartungen wurden von allen Beleiligten heruntergespielt. Bezeichnenderweise schien (zumindest in der Anfangsphase des Konvents) nur in den USA Vertrauen in das neue Werk der Europäer zu bestehen. Dort wurde der Verfassungskonvent in den Medien wie in der polititschen Debatte zuweilen ungeniert mit dem Konvent von Philadelphia verglichen.“

Damit aber nicht genug: Auch aus einer Stellungnahme Kühnhardts vor dem Ausschuss zum Stand der Arbeit des EU-Verfassungskonvents vom 21. Mai 2003 in Berlin „zitiert“ Guttenbgerg freimütig - ohne Quellenangabe:

Die Stelle bei Kühnhardt:

„Legitimität für die europäische Integration und für die Politik insgesamt erwächst natürlich aus Prozessen, aber mindestens ebenso stark aus der inneren Annahme der inhaltlichen Ergebnisse durch die Unionsbürger.“

Die Stelle bei Guttenberg, minimal gekürzt:

„Legitimität für die europäische Integration und für die Politik insgesamt erwächst aus Prozessen, aber mindestens ebenso stark aus der inneren Annahme der inhaltlichen Ergebnisse des Konvents durch die Unionsbürger.“

Auch die „Anleihen“ bei der Journalistin Sonja Volkmann-Schluck gehen weit über das hinaus, was Fischer-Lescano genannt hatte: Auf Seite 118/119 findet sich bei Guttenberg eine lange Passage, die ohne Quellennennung ebenfalls fast im Wortlaut einem Vortrag Volkmann-Schlucks aus dem Jahr 2001 entspricht.

Etwas mehr abgewandelt, aber gleichwohl klar als identische Textpassage zu erkennen, ist eine Stelle auf Seite 130, die auffallende Ähnlichkeit mit einer Passage aus einem Aufsatz des Innsbrucker Rechtsprofessors Waldemar Hummer aus dem Jahr 2003 hat.

Bedient hat sich Guttenberg offenbar auch bei der Habilitationsschrift des Göttinger Jura-Professors Thomas Schmitz, die 2001 erschien - ohne Quellennennung.

In ihr heißt es:

„Mittlerweile ist ein Streit um die Verfassung der Europäischen Union entbrannt, bei dem es nicht nur um Begriffe geht: Es geht auch allgemein um die politische und staatstheoretische Bedeutung des Primärrechts der Union auf der einen und des nationalen Verfassungsrechts auf der anderen Seite, und damit auch um die Bedeutung der Institutionen Union und Staat.“

Bei Guttenberg findet sich die Stelle auf Seite 154, nur leicht abgewandelt:

„Im ,Streit um die Verfassung der Europäischen Union' ging es allerdings nicht nur um Begrifflichkeiten: Er dreht sich bis heute auch allgemein um die politische und staatstheoretische Bedeutung des Primärrechts der Union auf der einen und des nationalen Verfassungsrechts auf der anderen Seite, und damit auch um die Bedeutung der Institutionen Union und Staat.“

Und so listet der Blog noch diverse weitere Autoren auf, die ohne Quellen bei Guttenberg auftauchen - etwa den Historiker Hagen Schulze, dessen Aufsatz „Die Identität Europas und die Wiederkehr der Antike“ aus dem Jahr 1999, der sich auf Seite 192/193 bei Guttenberg findet. Auch der 2002 erschienene Aufsatz „Europa zwischen rechtlich-konstitutioneller Konkordanz und politisch-kultureller Vielfalt“ des Eichstätters Sozialpolitikers Stefan Schieren ist bei Guttenberg auf Seite 311 „verarbeitet“.

Auch aus einem Papier des früheren Präsidenten der Stanford-Univerisät, Gerhard Casper, finden sich Abschnitte bei Guttenberg. Casper hielt den Vortrag am 28. September 2001 zum 50. Geburtstag des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe.

Er schreibt:

„Am Ende des Verfassungskonvents von Philadelphia im Jahre 1787 wurde Benjamin Franklin von einer Mrs. Powel gefragt: ,Was haben wir denn nun, Doktor, eine Republik oder eine Monarchie?' Franklins Antwort war: ,Eine Republik, wenn ihr sie bewahren könnt' (,A republic if you can keep it'). Die Aufgabe ist eine Daueraufgabe - überall und für jeden. Im Falle Amerikas hat es einen Bürgerkrieg gebraucht, und dann noch viele Jahrzehnte, um eine integrierte Republik zu erreichen.“

Guttenberg schreibt in seiner Dissertation auf Seite 348f., abermals ohne jede Quellenangabe oder Anführungszeichen:

„Am Ende des Verfassungskonvents von Philadelphia im Jahre 1787 wurde Benjamin Franklin von einer Mrs. Powel gefragt: ,Was haben wir denn nun, Doktor, eine Republik oder eine Monarchie?' Franklins Antwort war: ,Eine Republik, wenn ihr sie bewahren könnt' (,A republic if you can keep it'). Die Aufgabe ist eine Daueraufgabe - überall und für jeden. Im Falle Amerikas hat es einen Bürgerkrieg gebraucht, und dann noch viele Jahrzehnte, um eine integrierte Republik zu erreichen.“

Die Liste umfasst derzeit 23 Positionen, doch sie dürfte weiter wachsen. Schon jetzt haben die Blogger angekündigt, dass sie weiter auf die Suche nach verdächtigen Stellen gehen wollen.

„Blog zur kollaborativen Aufdeckung der Plagiate”

© reuters

Text: FAZ.NET
Bildmaterial: AFP, dapd, dpa, Duncker & Humblot / Stefan Schieren, Duncker & Humblot / Universität Tübingen, Duncker & Humblot / Zentrum für Europäische Integrationsforschung, Duncker & Humblot, F.A.Z., Duncker & Humblot, NZZ, Duncker & Humblot/CAP, reuters, Universität Bayreuth

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