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Hamburger SPD

Sicheren Schrittes über gut getarnte Gräben

Olaf Scholz hat das Amt des Hamburger Bürgermeisters schon so gut wie in der Tasche. Und so tritt er auch auf. Alles an dem SPD-Wahlkampf ist Olaf Scholz, die Form, der Inhalt. Dabei sehen selbst die Genossen ihre Partei vor der Wahl überbewertet.

Von Frank Pergande, Hamburg

Olaf Scholz auf Wahlkampftour in HamburgOlaf Scholz auf Wahlkampftour in Hamburg

17. Februar 2011 

Es werde so manches über ihn geschrieben, beginnt Olaf Scholz seine kleine Rede. Es werde auch manchmal etwas Falsches geschrieben. Dass er in Altona aufgewachsen sei zum Beispiel. Er lebe zwar seit zwei Jahrzehnten in Altona, aber aufgewachsen sei er im Stadtbezirk Wandsbek, genauer gesagt in Rahlstedt. Das erzählt Scholz, geboren übrigens in Osnabrück, gleich zu Beginn seines Wahlkampfauftritts im „Quarree“, einem riesigen Einkaufszentrum im Herzen von Wandsbek.

„Olaf Scholz im Gespräch“ heißt seine Art Wahlkampf: eine kleine Bühne, ein paar Stühle davor, aber eine Lautsprecheranlage, die viel weiter dringt. Die Stühle sind rasch besetzt. Bald schon bleiben Passanten stehen. Oben auf der Galerie. Viele sind tatsächlich gekommen, um Scholz zu erleben. Aber auch wer eigentlich nur durch die Geschäfte bummeln wollte, bleibt stehen, hört zu, fragt vielleicht sogar etwas – am Ende fast zwei Stunden lang.

Bislang war er nur der Mann hinter einem anderen

Er wolle einen sozialen Zusammenhalt in Hamburg wie er es früher als Kind erlebt hat, sagt Scholz. Was banal klingt, erfreut die Herzen der Umstehenden, der Wandsbeker, die Scholz, den wohl künftigen Bürgermeister ihrer Stadt, nun auch als einen der Ihren ansehen dürfen. Solche Worte sind nebenbei aber auch ein Hieb auf den amtierenden Bürgermeister von der CDU. Christoph Ahlhaus kommt aus Heidelberg und kann – so schwingt das mit – deshalb auch gar nicht wissen, wie schön es früher in Hamburg war. Deshalb, so geht der unausgesprochene Subtext weiter, leistet er seinen Teil dafür, dass die soziale Spaltung der Stadt immer tiefer werde. Und deshalb müsse er abgewählt werden.

Scholz steht da, die Ruhe selbst, ernst, nur hin und wieder lächelnd, nie herzhaft lachend. Er ist nicht sehr groß. Man sieht ihn fast nur im dunklen Anzug, mit weißem Hemd und roter Krawatte. Für den großen Auftritt ist er nicht gemacht und er mag ihn auch nicht. Aber in Hamburg ist das eher von Vorteil. Scholz, 52 Jahre alt, steht zum ersten Mal in seiner langen politischen Karriere wirklich auf der Bühne ganz vorn. Bislang war er nur der Mann hinter einem anderen. Er war, wenn auch nur für fünf Monate lang, Innensenator in Hamburg unter Bürgermeister Ortwin Runde in der Zeit von Rot-Grün. Er war Generalsekretär unter dem SPD-Vorsitzenden und Kanzler Gerhard Schröder. Es war die Zeit der Agenda-Politik. Er war Arbeitsminister im ersten Kabinett von Kanzlerin Merkel – und nahm dort einige der Schröder-Reformen zurück. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Bundespartei und stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Bundestag. Er ist ein Mann des Apparats - durchsetzungsstark, aber nicht mitreißend. Er hat Humor, aber einen feinen, gern das Zynische streifend. Lange Debatten sind nicht seine Sache, er weiß im Grunde genommen alles schon immer vorher. Mit solchen Eigenschaften wird man nicht Volkstribun.

Scholz wollte eigentlich in der Bundespolitik bleiben

Seine Reden sind ihm sichtlich eine Anstrengung. Aus der Schröder-Zeit haftet ihm sogar noch das böse Wort vom „Scholzomat“ an, der immer die gleichen Sätze spricht, zumeist sehr lange, und der den Willen des Vorsitzenden exekutiert, egal welche Kollateralschäden das hinterlässt. Aber er hätte sich allemal auch den Fraktionsvorsitz im Bundestag zugetraut – und Bürgermeister in Hamburg zu sein sowieso.

Fraktionsvorsitzender wurde Scholz dann nicht, weil der gescheiterte Kanzlerkandidat der SPD, Frank-Walter Steinmeier, die Fraktion übernahm – und nicht, wie wohl von Scholz erwartet, den Parteivorsitz, den dann Siegmar Gabriel bekam. Nach diesen Personalentscheidungen der in die Opposition geschickten SPD war auf einmal klar, dass für Scholz die Karriere in der Bundespolitik an ein vorläufiges Ende gelangt war. Dann aber überschlugen sich die Ereignisse in seiner Heimatstadt Hamburg. Scholz wollte eigentlich in der Bundespolitik bleiben und hatte dafür auch einen ganz privaten Grund: Seine Frau Britta Ernst ist Bürgerschaftsmitglied, gilt dort als Bildungsexpertin und wäre eigentlich auch die richtige Bildungssenatorin. Er in der Bundespolitik, sie in der Landespolitik – das war bislang die Aufgabentrennung.

Der pflichtbewusste Scholz hatte allerdings auch von Berlin aus stets einen Blick auf seinen Landesverband, den er von 2000 bis 2004 auch schon mal führte. Alle wichtigen Entscheidungen in der Partei hatten mit Scholz zu tun. Als die SPD sich auf der Suche nach ihrem Spitzenkandidaten für die Bürgerschaftswahl 2008 bis zur Unkenntlichkeit zerrieben hatte und sogar kriminelle Machenschaften, der Diebstahl von Stimmzetteln, hinzukamen, war es Scholz, der in scheinbar aussichtsloser Lage doch noch einen prominenten Kandidaten fand: Michael Naumann, von dem kaum jemand wusste, dass er ein Parteibuch hatte, der aber als Leiter des Rowohlt-Verlages, als Kulturstaatsminister und später als „Zeit“-Herausgeber einen Namen hatte.

Er gab noch einmal den „Scholzomat“

Als Ingo Egloff, der 2007 nach der Stimmzettel-Affäre eingesetzte Parteivorsitzende, bei der Bundestagswahl scheiterte und daraufhin auch den Vorsitz aufgab, sprang Scholz ein und ist seit 2009 zum zweiten Mal SPD-Vorsitzender in der Hansestadt. Er trat das Amt mit den Worten an, wer Führung bei ihm bestelle, bekomme sie auch. Tatsächlich gelang es ihm in kurzer Zeit, die Partei zu befrieden und die alten Gräben wenigstens zu tarnen. Als die SPD wieder als Machtfaktor wahrgenommen wurde, wartete das politische Hamburg gespannt auf Scholz' Erklärung, ob er Spitzenkandidat werden wolle.

Er gab noch einmal den „Scholzomat“: Seine Partei werde mit einem geeigneten Kandidaten antreten und darüber entscheiden, wenn es entschieden werden müsse. Ein Wahlkampf zwischen Bürgermeister Ole von Beust und Olaf Scholz wäre wahrscheinlich sogar ein Wettkampf mit offenem Ausgang geworden. Hätte sich Scholz darauf eingelassen? Die Frage ist inzwischen gegenstandslos. Im Dezember verließ die GAL die 2008 beschlossene Koalition mit der CDU. Beust war seit einem Vierteljahr nicht mehr Bürgermeister, sein Nachfolger Christoph Ahlhaus ist weit von den Beliebtheitswerten seines Vorgängers entfernt. Noch am Abend des Koalitionsbruchs sagte Scholz, er werde als Bürgermeisterkandidat antreten.

Keine Erhöhung der Elternbeiträge für die Kita

Seitdem ist er der gefühlte Bürgermeister von Hamburg und gibt sich auch so. Alles an dem SPD-Wahlkampf ist Olaf Scholz, die Form, der Inhalt. Hamburg hat sich auf Scholz als neuen Bürgermeister eingestellt. Frank Horch, der bislang mehr oder weniger zum CDU-Lager gezählte Präses der Handelskammer, soll als parteiloser Wirtschaftssenator werden. Der Reeder Erck Rickmers steht auf Platz 13 der Landesliste der SPD und wird damit wohl der neuen Bürgerschaft angehören. Scholz hat angekündigt, dass einige seiner Senatoren von außerhalb kommen werden und dass die Staatsräte (vergleichbar den Staatssekretären), künftig nicht mehr nach der Partei, sondern nach Erfahrung in der Verwaltung besetzt würden.

Sein Senat soll den Hafen wieder mehr unterstützen. Der Wohnungsbau soll vorangetrieben werden, auch gegen die vielen Widerstände dort, wo gebaut werden soll. Die Stadtbahn, eines der schwarz-grünen Vorhaben, will er nicht. Es soll bei der Polizei wieder mehr Einstellungen geben. Scholz' wichtigster Punkt ist, dass die von Schwarz-Grün beschlossene Erhöhung der Elternbeiträge für die Kindertagesstätten zurückgenommen werden soll. Das Geld müsse anderswo im Haushalt eingespart werden. „Das ist das einzige Wahlversprechen, was ich abgebe“, sagt Scholz auch in Wandsbek. Im Übrigen müsse der Haushalt in Ordnung gebracht werden. Noch eine Ankündigung macht er: Werde er gewählt, wolle er so gut arbeiten, dass er auch in vier Jahren wieder gewählt werde. Allerdings werde er sich auch weiter in der Bundespolitik Gehör verschaffen.

Hohe Umfragewerte für die SPD

Scholz ist auf hanseatische Weise zum Star geworden. Das treibt die Umfragewerte für die SPD in die Höhe. Mehr aber noch treiben wohl enttäuschte CDU-Wähler die SPD-Aktie. Derzeit sieht es so aus, als stünde Scholz nur noch vor der Frage, ob er ohne Partner regieren kann oder doch die GAL fragen muss, die er im Wahlkampf immer wieder angegriffen hat. Die Genossen selbst sagen, ihre Partei sei derzeit überbewertet. Noch-Bürgermeister Ahlhaus nennt die SPD eine Flasche lauwarmen Champagner mit Scholz als Korken drauf.

Wenn der Alltag wieder in die Hamburger Politik eingekehrt ist, wird sich zeigen, ob die Hamburger SPD unter Scholz wirklich eine andere geworden ist oder bei einer ersten Gelegenheit die Tarnnetze wieder von den Schützengräben gezogen werden. Scholz ist der bekannteste und erfahrenste Politiker in Hamburg. Die Hamburger Bürgermeister werden an noblen Erscheinungen wie Paul Nevermann, Klaus von Dohnanyi oder eben auch Ole von Beust gemessen. Scholz ist da anders, aber die Hamburger trauen es ihm allemal zu, die Stadt zu führen. Freundlich, interessiert, höflich behandeln sie ihn auch im Wandsbeker „Quarree“. Bei dieser Gelegenheit hat er seine Wirtschaftsfreundlichkeit gezeigt, ohne es selbst bemerkt zu haben. Der italienische Eismann, ein paar Schritte von der Bühne entfernt, macht an diesem Abend im Wahlkampf einen glänzenden Umsatz.

Text: F.A.Z.
Bildmaterial: dpa

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