Badische Zeitung

27 October 2014

Die Ukraine hat ein neues Parlament gewählt, doch von Aufbruch war in Kiew wenig zu spüren.

Als der ukrainische Innenminister Arsen Awakow am Sonntagvormittag seine Stimme im Wahllokal 586 in der Lutheranska Straße im Stadtzentrum Kiews abgab, zeigte er sich siegessicher. "Der Block von Präsident Petro Poroschenko und meine Partei, die Narodni Front, wollen eine Koalition bilden. Schon in zwei oder drei Tagen, werden wir einen Vertrag vorlegen. Wir müssen nach vorne blicken, die vielen Probleme der Ukraine dulden keinen weiteren Aufschub", sagte der Minister. Ähnliche Worte fand sein Parteifreund, Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk, der zusammen mit seiner Frau und seiner jüngsten Tochter wählen gegangen war. "Das Land braucht sofort eine stabile Regierung", erklärte Jazenjuk.

Tatsächlich steckt die Ukraine in der schwersten Krise seit ihrer Unabhängigkeit vor 23 Jahren. Der Krieg im Osten ist nicht beendet, der Gas-Streit mit Russland könnte in den nächsten Monaten zum Zusammenbruch der Wirtschaft führen und die Bevölkerung wird ungeduldig. Viktoria wohnt in einer der anonymen Schlafstädte Kiews. Der Stadtteil, Rayon Dnirpo, hat rund 250 000 Einwohner. Die 42-Jährige hat eine Skihose und Winterjacke angezogen, es sind zwar nur wenige Schritte bis ins Wahllokal, doch überall sei es eiskalt. "Unsere Heizung ist aus, weil Putin auch einen Gaskrieg gegen uns führt", sagt die Verkäuferin. "Ich will ein ruhiges, planbares Leben, wie unsere Nachbarn in Polen," sagt Viktoria. Für sie steht fest, dass nur Poroschenko und Jazenjuk einen europäischen Kurs beibehalten können. "Die letzten Monate waren schon der richtige Anfang, wenn Russland nicht den Krieg in der Ostukraine angefangen hätte, wären wir sogar schon weiter," glaubt sie.

Alexander hingegen ist ungeduldig: "Wenn die Regierung dieses Mal nicht die versprochen Erfolge liefert, wird es ein Unglück geben." Der 43-Jährige ist mit seiner acht Jahre alten Tochter Karolina zur Wahl gegangen. "Die grassierende Korruption ist das schlimmste Übel der Ukraine. Damit verbauen wir uns und unseren Kinder die Zukunft", sagt er.

Die Wahlbeteiligung ist womöglich ein Zeichen, wie sehr Krieg und Dauerkrise an den Nerven der Menschen zehren. Bis zum Nachmittag hatten nur knapp 41 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben, wie die zentrale Wahlkommission mitteilte. In den von prorussischen Separatisten kontrollierten Teilen der Ostukraine fand die Wahl nicht statt. In den übrigen Gebieten der Bezirke Donezk und Lugansk war die Beteiligung der Wahlkommission zufolge mit rund 26 und etwa 24 Prozent besonders niedrig. Selbst die Partei von Präsident Poroschenko rechnete mit einer geringeren Beteiligung als bei der Präsidentenwahl im Mai.

Enttäuscht dürfte man dort auch über erste Prognosen gewesen sein, die weit unter den in Umfragen vorausgesagten 30 Prozent blieben. Allerdings schnitt die mit Poroschenko eng kooperierende Narodni Front von Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk deutlich besser ab als erwartet, so dass das Regierungslager auch künftig den stärksten Block im Parlament bildet.

Obwohl die internationalen Wahlbeobachter der OSZE bereits am Sonntag verkündet haben, die Stimmabgabe nicht zu beanstanden, obwohl 4,6 Millionen Wähler in der Ostukraine und auf der Krim nicht wählen konnten, regte sich im Donbass Kritik. Die Leiterin der OSZE-Wahlbeobachterdelegation Doris Barnett sagte: "Alle, die wegen der Nichtteilnahme bestimmter Gebiete an den Wahlen die Abstimmung für ungültig erklären wollen, versuchen diese Parlamentswahlen zu stören und zu diskreditieren."

In der Tat hat es in verschiedenen Regionen des Landes teilweise massive Störversuche gegeben. So beschossen Unbekannte in der Stadt Kriwoi Rog, in der Region Dnipropetrowsk, ein Auto. Unklar blieb, wer für den Anschlag verantwortlich war.

Ein Problem stellte die Stimmenabgabe der im ganzen Land verteilten Binnenflüchtlinge und der Soldaten dar, die sich im Einsatz in der Ostukraine befinden. Nach letzten Angaben der UNO soll es in der Ukraine 824 000 Menschen geben, die ihre Häuser oder Wohnungen wegen der Kämpfe verlassen mussten. Nur ein Bruchteil dieser Menschen war in der Lage, seine Stimme abzugeben. Alleine in der Stadt Kiew leben über 85 000 registrierte Flüchtlinge. In der lokalen Wahlkommission des Stadtteils Dnipro sind unter 190 000 registrierten Wählern aber nur 753 Flüchtlinge. "Die meisten dieser Menschen haben zurzeit andere Probleme, als sich in Wahllisten eintragen zu lassen", meint Bogdan Kutsik, Vorsitzender der lokalen Wahlkommission diese Zahl.