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Justinians Triumph und Belisars Erniedrigung 63 HENNING BÖRM Justinians Triumph und Belisars Erniedrigung. Überlegungen zum Verhältnis zwischen Kaiser und Militär im späten Römischen Reich Es war im Grunde ein ungeheuerlicher Vorgang, der sich vor den Augen der Hauptstadt abspielte, eine Inszenierung von enormer Symbolkraft, die zugleich auf nicht wenige Betrachter provozierend, wenn nicht obszön gewirkt haben dürfte: Ein siegreicher römischer Feldherr, dem nach alter republikanischer Sitte ein Triumph zugestanden worden war, nachdem er eine schon verloren geglaubte Provinz für das Imperium zurück gewonnen hatte, sank inmitten der glanzvollen Zeremonie vor dem Kaiser in den Staub. Jedem Beobachter muss die Botschaft, die damit illustriert werden sollte, unmittelbar verständlich gewesen sein: Sogar der erfolgreichste Heerführer des Reiches unterwarf sich seinem Herrn; diesem allein gehörte der Sieg. Und so wurden also am 23. Oktober 12 n. Chr., als Tiberius, der Adoptivsohn des ersten Princeps, in Rom seinen Triumph über Pannonien und Dalmatien feierte,1 die Machtverhältnisse für jeden Zuschauer schier mit Händen greifbar. Wie Sueton berichtet, hielt Tiberius inmitten der Prozession an, stieg vom Wagen und fiel vor Augustus, der bei der Feier ungewöhnlicherweise den Vorsitz beanspruchte, auf die Knie, bevor er hinauf zum Kapitol zog, um das Opfer zu vollziehen.2 Über fünf Jahrhunderte später, 534, kam es erneut zur Demutsgeste eines siegreichen Feldherrn vor einem Kaiser. Justinians magister militum per Orientem Belisar,3 dem wenige Monate zuvor zur allgemeinen Überraschung die Zerschlagung des VanIch danke den Teilnehmern der Berliner Tagung zum kaiserzeitlichen Triumph im Oktober 2012 – vor allem Lukas de Blois, Matthias Haake, Jan Meister, Peter Franz Mittag und Aloys Winterling – sowie Soi Agelidis, Steffen Diefenbach, Ulrich Gotter, Johannes Hahn, Hartmut Leppin, Mischa Meier, Jan Stenger und Hans-Ulrich Wiemer für Hinweise und Anregungen. Dies gilt selbstverständlich auch für die Redaktion und die anonymen Gutachter des Chiron. 1 Vell. Pat. 2, 121; Ov. Pont. 2, 1f. Die Datierung des Triumphes ist nicht unumstritten, neben 12 ist auch 13 nicht ganz auszuschließen; vgl. Crook 1996: 110; Kienast 1996: 77. Die in den Anmerkungen verwendeten Kurztitel werden am Ende des Beitrags in einer gesonderten Bibliographie aufgelöst. 2 Suet. Tib. 20, 1. 3 Vgl. zu Belisar (Belisarius) PLRE III: 181–224, sowie zuletzt Hughes 2009 (nicht immer auf dem aktuellen Forschungsstand). 64 Henning Börm dalenreiches,4 und damit die Rückeroberung Nordafrikas, gelungen war, präsentierte in einem prächtigen Umzug Beute und Kriegsgefangene den Einwohnern Konstantinopels. Der Zeitzeuge Prokop, abgesehen von kurzen Notizen bei Iordanes5 und Iohannes Malalas6 unsere wichtigste Quelle, nennt die Inszenierung ausdrücklich einen Triumph (ùr›ambo«) und behauptet, dies sei die erste Gelegenheit seit etwa 600 Jahren gewesen, bei der ein Feldherr, der nicht Kaiser war, dieser Ehre teilhaftig geworden sei. Allerdings habe man den Triumph, so Prokop, nicht «in der alten Weise» (tˆ palaiˆ trfip8) abgehalten, sondern der Heermeister sei zu Fuß durch die Stadt zum Hippodrom gezogen. Bemerkenswerterweise wird das, was sich anschloss, vom Geschichtsschreiber hingegen nicht ausdrücklich als eine Abweichung von der Tradition gewertet: Im Hippodrom sei Belisar von den carceres bis zur kaiserlichen Loge gegangen, wo er ebenso wie der von ihm besiegte vandalische rex Gelimer vor Justinian die «Proskynese» vollzogen habe.7 Man darf annehmen, dass die Initiative zu dieser Handlung vom Kaiser, nicht vom magister militum, ausging. Der Hof hatte bei dieser Inszenierung zweifellos nichts dem Zufall überlassen (Prok. Hist. 4, 9, 1–3.12): Belisˇrio« dÍ ´ma Gel›mer› te kaÏ Band›loi« ã« Byzˇntion $fikfimeno« gerân łjiØùh „ dÎ ãn toÖ« ¡nv xrfinoi« ^Rvma›vn strathgoÖ« toÖ« n›ka« t@« meg›sta« kaÏ lfigoy polloÜ $j›a« $nadhsamwnoi« dietetˇxato. xrfino« dÍ $mfÏ ãniaytoŒ« Yjakos›oy« par8x‹kei ódh ãj ƒtoy ã« taÜta t@ gwra o\deÏ« ãlhl÷ùei, ƒti mÎ T›to« te kaÏ Tra=anfi«, kaÏ ƒsoi ¡lloi a\tokrˇtore« strathg‹sante« ãp› ti barbarikÌn öùno« ãn›khsan. tˇ te g@r lˇfyra ãndeikn÷meno« kaÏ t@ toÜ polwmoy $ndrˇpoda ãn mws> pfilei ãpfimpeysen, ¯n dÎ ùr›ambon kaloÜsi ^RvmaÖoi, o\ tˆ palaiˆ mwntoi trfip8, $ll@ pezÕ bad›zvn ãk tá« oåk›a« tá« a\toÜ ¡xri ã« tÌn Åppfidromon k$ntaÜùa ãk balb›dvn aÛùi« õv« eå« tÌn xâron $f›keto oí dÎ Ç ùrfino« Ç bas›leifi« ãstin […]. $fikfimenon dÍ a\tÌn kat@ tÌ basilwv« báma tÎn porfyr›da perielfinte«, prhná pesfinta proskyneÖn #IoystinianÌn basilwa kathnˇgkasan. toÜto dÍ kaÏ Belisˇrio« ãpo›ei ´te Åkwth« basilwv« sŒn a\tˆ gegonØ«. «Belisar traf zusammen mit Gelimer und den Vandalen in Byzantion ein, wo er Ehrungen empfing, wie man sie in früheren Zeiten nur jenen römischen Feldherrn erwies, die die größten und ruhmreichsten Siege errungen hatten. Seitdem aber waren fast 600 Jahre verstrichen, und niemand hatte mehr derartige Auszeichnungen erfahren, außer Titus und Trajan und andere Kaiser, soweit sie bei Feldzügen gegen barbarische Völker Siege errungen hatten. Indem nun Belisar die Beutestücke und Kriegsgefangenen zur Schau stellte, unternahm er eine Pompē mitten durch die Stadt, was die Römer «Triumph» nennen. Dies geschah jedoch nicht nach altem Brauch, sondern er ging zu Fuß von seinem Haus bis zum Hippodrom und dort von den Schranken bis zu der Stelle, wo der Thron des Kaisers sich erhebt […]. Dann nahm man ihm [Gelimer], als er vor 4 Vgl. zum vandalischen Nordafrika den Forschungsüberblick Steinacher 2011 sowie jetzt Steinacher 2013. 5 Iord. Get. 171. Im Folgenden werden Namen in der Regel in der lateinischen Form wiedergegeben; Ausnahmen sind insbesondere Justinian, Justin, Prokop und Belisar, bei denen die im Deutschen übliche Variante beibehalten wird. 6 Mal. 18, 81. 7 Prok. Hist. 4, 9, 12. In der Spätantike war mit «Proskynese» stets ein Fußfall (Prostration) gemeint. Justinians Triumph und Belisars Erniedrigung 65 dem kaiserlichen Bema stand, den Purpur ab und nötigte ihn, vor Kaiser Justinian die Proskynese zu vollziehen. Und dies tat auch Belisar, da er gemeinsam mit ihm als ein Schutzflehender vor den Kaiser gekommen war.» (Übers. Veh, mit Modifikationen.) Die Frage, ob es sich bei dieser Feier tatsächlich um einen (gar den «letzten»?) römischen Triumph handelte, obwohl natürlich kein Opfer auf dem Kapitol erfolgte und obwohl die Zeremonie noch nicht einmal in Rom stattfand, sondern fernab der alten via triumphalis in der neuen Kaiserstadt am Bosporus,8 soll nicht im Zentrum der folgenden Überlegungen stehen. Denn auch wenn man mit Recht betont hat, dass das Ritual im Laufe der Zeit erheblich variiert wurde, käme wohl kaum jemand, der die Siegesfeiern der Republik und des Prinzipats vor Augen hat, darauf, hier von einem Triumph zu sprechen, wenn nicht Prokop diese Interpretation vorgegeben hätte – dies aber wohl durchaus in Einklang mit der seinerzeit gängigen Lesart, die sich in weiteren verstreuten Notizen widerspiegelt, so zum Beispiel Jahrzehnte später bei Iordanes,9 Corippus10 und Agathias.11 Doch akzeptieren nach wie vor die meisten Gelehrten, die sich mit Justinian und der Spätantike befassen, Prokops Bezeichnung der pompa als «Triumph» und die Identifikation von Belisar als triumphator,12 auch wenn jene, die sich auf den römischen Triumph spezialisiert haben,13 hier in der Regel zurückhaltender sind. Mischa Meier hat sich mit der Idee, es habe sich eigentlich um eine Art «kaschierte» Säkularfeier gehandelt,14 nicht durchgesetzt, da die Quellen hierüber schweigen. Entscheidend ist aber letzten Endes nicht so sehr, welche Bezeichnung man den Vorgängen anheften möchte, sondern vielmehr der unbestreitbare Umstand, dass hier in einer Aufsehen erregenden Art und Weise ein kaiserlicher General herausgehoben wurde, nur um anschließend spektakulär erniedrigt zu werden. 8 Zur Route der pompae in Konstantinopel vgl. Mango 2000. Iord. Get. 171. 10 Coripp. In Laud. 2, 105–127. Die Handschriften legen nahe, dass der Name des Autors eher Gorippus, nicht Corippus, lautete (vgl. Riedlberger 2010: 29–33), doch folge ich hier der Konvention. 11 Anth. Graec. 4, 3. 12 Diese Position dominiert insbesondere Handbücher und Lexika. Vgl. z.B. Stanhope 1848: 70; Bury 1889: 387; Hartmann 1897: 218; Baker 1931: 127; Rubin 1960: 629; Ostrogorsky 1963: 46; Jones 1964: 274 («The first triumph which had been celebrated by a subject since the reign of Augustus»); Lippold 1975: 855; Belke 1980: 1843; Martin 1995: 57; Evans 1996: 132f.; Whitby 2002: 54f.; Lilie 2003: 66; Bellen 2003: 302; Gregory 2005: 136; Börm 2007: 39; Demandt 2007: 243; Halsall 2007: 500; O’Donnell 2008: 255; Moorhead 2008: 202; Cameron 2011: 110; Pratsch 2011: 87; Leppin 2011: 156 («Belisar durfte einen Triumph feiern»). Vgl. auch Meier 2002: 287 («Belisar wurde demzufolge äußerlich ein Triumph in altrömischer Tradition gewährt, jedoch ohne die eigentlich konstituierenden Elemente»). 13 Einen aktuellen Überblick zum republikanischen Triumph bietet Hölkeskamp 2006. Vgl. daneben Beard 2007 und Östenberg 2009. 14 Vgl. Meier 2003a: 162–165. 9 66 Henning Börm Meines Wissens ist die Parallele zwischen den Ereignissen von 12 und 534 bislang wenig beachtet worden. Es sei aber auch gar nicht behauptet, dass Justinian hier wissentlich Augustus imitiert hat, auch wenn dies nicht ganz ausgeschlossen ist.15 Denn im Folgenden soll ausgeführt werden, dass es für die Inszenierung von 534 andere, näher liegende Vorbilder gab als das des Augustus. Es sei darum lediglich festgehalten, dass der Fußfall des Tiberius zumindest auf den ersten Blick noch demütigender und überdies zweifellos viel ungehöriger war als der Belisars. Denn während die Proskynese vor dem Kaiser in der Spätantike längst ein fester und in der Regel nicht als anstößig empfundener Bestandteil des Hofzeremoniells geworden war,16 dürfte die Erniedrigung des hochverdienten nobilis Tiberius manch einem republikanisch gesinnten Betrachter geradezu obszön und als Symbol für den Verlust der Freiheit erschienen sein.17 Dennoch ist es vor allem Belisars Fußfall vor dem Kaiser, der mit Recht das Interesse der Forschung geweckt hat. Die Interpretation des Vorgangs liegt dabei grundsätzlich auf der Hand: Der siegreiche Feldherr demonstrierte öffentlich seine Unterordnung unter den Herrscher.18 Aber vielleicht lässt sich doch mehr zu diesem Punkt sagen? Wie ist der so genannte Triumph von 534 zu bewerten, wer stand im Zentrum der Feier, und was sollte sie bezwecken? Und welche Rückschlüsse auf das Verhältnis zwischen Kaiser und Militär im 5. und 6. Jh. lassen sich aus der Inszenierung ziehen, wenn man sie in Beziehung zu anderen Siegesfeiern dieser Zeit setzt? 1. Der Triumph von 534 Zunächst stellt sich also die Frage, wie der «Triumph» über die Vandalen zu interpretieren ist: War er eher ein Zeichen kaiserlicher Stärke oder kaiserlicher Schwäche? Letzteres würde bedeuten, dass der magister militum, der bereits 530 bei Dara einen gefeierten Sieg über die Perser errungen und mit seinem brutalen Vorgehen beim 15 Im 6. Jh. kannte man sich in der Oberschicht mit der ruhmreichen römischen Vergangenheit in der Regel noch recht gut aus und bezog sich gerade unter Justinian häufig auf sie. Vgl. Cameron 2009. 16 Vgl. Kolb 2001: 38–42; Canepa 2009: 63f. Vgl. zum Zeremoniell allgemein Whitby 2001. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang allerdings Prokops Behauptung in der Historia Arcana, dass erst Justinian Proskynese und Fußkuss auch von Senatoren eingefordert habe, desgleichen die Anrede als dominus bzw. despfith« (Prok. An. 30, 21–26). Obwohl unklar ist, ob tatsächliche Änderungen im Zeremoniell die Basis für diese Vorwürfe bieten (vgl. Kolb 2001: 120), belegt die Passage doch in jedem Fall, dass der Verfasser der Historia Arcana annahm, seine Leser würden eine derartige Behandlung hochrangiger Persönlichkeiten als unangemessen und entehrend betrachten. Andernfalls hätten die Attacken keine Wirkung entfalten können. 17 Man mag die Handlung des Tiberius als Ausdruck von pietas interpretieren. Doch dass ein Triumphator inmitten der Zeremonie vor jemandem – und sei es auch sein (Adoptiv-)Vater – auf die Knie fiel, war, soweit ich sehe, nie zuvor vorgekommen und wiederholte sich auch nicht. 18 Vgl. Leppin 2011: 156. Justinians Triumph und Belisars Erniedrigung 67 Nika-Aufstand Anfang 532 dem Kaiser Thron und Leben gerettet hatte,19 nun, nach der Zerschlagung des Vandalenreichs, schier unangreifbar und so gefährlich geworden war, dass Justinian versuchen musste, sich durch außerordentliche Ehrungen seiner Loyalität zu versichern. Sein Selbstbewusstsein hatte Belisar in der Tat unlängst hinreichend demonstriert, als er sich 533 nach der Eroberung Karthagos auf dem Thron Gelimers niedergelassen hatte.20 Dass sich der Kaiser unter diesen Umständen genötigt gesehen haben könnte, seinen Heermeister durch die Gewährung eines Triumphes auszuzeichnen, um Belisar zufrieden zu stellen und vielleicht sogar eine Usurpation zu verhindern, kann darum in der Tat zunächst nicht ganz ausgeschlossen werden. Und doch scheint die Inszenierung im Hippodrom viel eher eine Demonstration kaiserlicher Stärke gewesen zu sein. Zunächst einmal war es offensichtlich Justinians eigene Entscheidung, seinen Heermeister überhaupt prominent an der Feier zu beteiligen. Noch nach dem Sieg, den Belisar 530 in der Schlacht von Dara über die Perser errungen hatte,21 konnte der Kaiser den Erfolg gänzlich für sich selbst in Anspruch nehmen: Das neue Reiterstandbild des triumphator omnium gentium auf dem Augusteum,22 das zugehörige Epigramm,23 das Belisar nicht einmal erwähnt, sondern einzig Justinian dafür preist, «die Meder niedergemacht» zu haben, große Siegesfeiern über Perser und Protobulgaren24 und wohl auch die leider vollständig verlorene offizielle Darstellung des Krieges, die Iohannes Lydus in kaiserlichem Auftrag verfasste25 – all dies war ganz auf den Herrscher zugeschnitten gewesen. Belisar, dessen Stellung nach einer peinlichen Niederlage gegen die Sasaniden bei Callinicum im Jahr 531 erschüttert gewesen war,26 hatte zwar sicherlich durch die Rolle, die er im Nika-Aufstand und im Vandalenkrieg gespielt hatte, inzwischen an Macht gewonnen. Dass ihm große Ehrungen zuteil wurden, ist daher nicht überraschend. Wichtiger aber ist: Justinian war zugleich stark genug, um die Feier in einer ungewöhnlichen Demütigung seines Heermeisters gipfeln zu lassen. Diese war das eigentliche Kernstück der Inszenierung.27 19 Vgl. Greatrex 1997. Die Position, dass Justinian den Aufstand bewusst provoziert habe, um gewaltsam gegen die Opposition vorgehen zu können, vertritt Meier 2003b. 20 Prok. Hist. 3, 20, 21. 21 Vgl. Greatrex – Lieu 2002: 88–91. Vgl. allgemein zum römisch-persischen Krieg dieser Jahre Greatrex 1998. 22 Prok. Aed. 1, 2, 5–12. 23 Anth. Graec. 16, 62. 24 Vgl. Croke 1980; McCormick 1986: 65. 25 Ioh. Lyd. de Mag. 3, 28, 5. 26 Vgl. zur Schlacht und zu Prokops Darstellung, die Belisar nach Kräften exkulpiert, Brodka 2011. 27 Umso erstaunlicher ist, dass der Fußfall Belisars in einigen modernen Darstellungen mit Schweigen übergangen wird; vgl. z.B. McCormick 1986: 66, der die Feier von 534 vielleicht genau aus diesem Grund zugleich als «the most frequently cited and least understood of late antique triumphs» bezeichnet. 68 Henning Börm Bereits Averil Cameron, Mary Beard und insbesondere Mischa Meier haben mit Recht konstatiert, dass sämtliche Quellen zur pompa von 534 mit Ausnahme von Prokop nicht etwa Belisar, sondern Justinian ins Zentrum stellen.28 Dies legt unter anderem auch Prokops eigene Beschreibung des großen Mosaiks im Kaiserpalast nahe, das ihm zufolge zeigte, wie Justinian und Theodora, umgeben vom Senat, die Unterwerfung Gelimers entgegen nahmen.29 Und wenn das berühmte, heute verlorene Goldmedaillon mit der Legende salus et gloria Romanorum tatsächlich, wie zumeist angenommen wird, in den Zusammenhang des Vandalensieges gehören sollte, so stützt auch dies die Annahme, dass Justinian den Sieg für sich allein in Anspruch nahm. Das Münzbild zeigte den von einer Victoria begleiteten Kaiser zu Pferd, nicht zu Fuß, und mit einem Helm, der in dieser Form vor allem von Münzporträts Konstantins des Großen bekannt ist.30 Doch der wichtigste Beleg dafür, dass in Wahrheit nicht Belisar, sondern Justinian der Triumphator des Jahres 534 war, ist eine Information, die Prokop bezeichnenderweise verschweigt, die aber sein Zeitgenosse Iohannes Lydus überliefert hat. Dieser beschreibt den lorus, das Triumphalgewand der spätantiken Augusti, mit den Worten (Ioh. Lyd. de Mag. 2, 2): ta÷thn tÎn stolÎn öùo« ãkrˇthsen ãj ãke›noy toŒ« ^Rvma›vn a\tokrˇtora« $mpwxesùai ƒtan ãpÏ basileÜsin aåxmalØtoi« ùriambe÷svsin. kaÏ toÜto dálon ãn ŁmÖn $pede›xùh ƒte Gel›mera tân Band›lvn kaÏ Lib÷h« basilwa paneùneÏ ùeÌ« aåxmˇlvton tÕ kaù’ Łm»« parest‹sato basile›<. «Seither blieb es aufgrund dieser Sitte allgemeiner Brauch bei den römischen Kaisern, diese Tracht anzulegen, wenn sie über gefangene Könige triumphierten. Dies wurde in unserer Zeit offenbar gemacht, als Gott31 Gelimer, den König der Vandalen und Libyens, zusammen mit seinem ganzen Volk unserem Reich als Gefangenen präsentierte.» Wenn also Justinian, nicht Belisar, den lorus trug und folglich der Triumphator des Jahres 534 war, welche Rolle blieb dann noch für den siegreichen Heermeister, laut Prokop immerhin die Hauptperson der Ereignisse? Löst man sich von Prokops Interpretation der Ereignisse und blickt nur auf den Verlauf der Zeremonie, so drängt sich die Antwort geradezu auf: Belisars Platz war nicht an der Seite des triumphierenden Kaisers, sondern an der Seite Gelimers. Gemeinsam mit dem besiegten Feind unterwarf sich der magister militum vor den Augen 28 Cameron 1985: 138; Meier 2003a: 157f. («So wird relativ schnell deutlich, dass es einen Triumph Belisars faktisch nie gegeben hat, sondern dass vom ersten bis zum letzten Moment Justinian als eigentlicher Urheber des Sieges im Zentrum stand»); Beard 2007: 319. Vgl. auch Mitchell 2007: 141. Wolfram 1990: 256, bestreitet, dass es sich um einen Triumph gehandelt habe, hält aber Belisar für die Hauptfigur der Feier. 29 Prok. Aed. 1, 10, 16f. Da neben Gelimer zugleich auch der Ostgote Vitigis abgebildet war, ist offensichtlich, dass kein konkretes historisches Ereignis dargestellt werden sollte. 30 Vgl. Leppin 2011: Abb. 21. 31 Auch die kaiserliche Kanzlei führte die Rückeroberung von Africa auf Gott zurück; Cod. Iust. 1, 27, 1, 1f. Justinians Triumph und Belisars Erniedrigung 69 der Hauptstadt demütig seinem dominus und demonstrierte damit, dass er wusste, wo sein Platz war.32 Entscheidend ist: Belisars Proskynese wurde eindeutig mit der supplicatio bzw. Åkes›a des Vandalen parallelisiert. Prokop räumt dies ausdrücklich ein: Belisar habe agiert «als ein Schutzflehender des Kaisers» (´te Åkwth« basilwv«, Prok. Hist. 4, 9, 12). Höchst bedeutsam ist dabei der Umstand, dass sein Fußfall gemeinsam mit dem Gelimers (sŒn a\tˆ) erfolgte; denn aus diesem Grund spricht einiges dafür, dass es sich bei Belisars Handlung um mehr gehandelt haben dürfte als um eine «normale» Proskynese: Auch wenn Prokop dies nicht ausdrücklich schreibt, gehörte der Fußfall des Vandalen vor Justinian nämlich höchstwahrscheinlich zu einer calcatio colli, also zu einem Ritual, das bereits Kaiser wie Honorius, Valentinian III. und Anastasius im Rahmen von ebenfalls als «Triumph» bezeichneten Feiern eingesetzt hatten und das auch in der Repräsentationskunst beliebt war.33 Es handelte sich um das symbolische Niedertrampeln der Besiegten, allerdings ohne tatsächlichen Körperkontakt.34 Dafür, dass dies auch 534 Teil der Feier war, spricht, dass laut Corippus nur solche Kaiser den lorus trugen, die eine calcatio colli vollzogen.35 Zumindest Gelimer dürfte diese Erniedrigung demnach mit hoher Wahrscheinlichkeit widerfahren sein. Und fest steht: Indem der siegreiche Heermeister veranlasst wurde, sich gemeinsam mit Gelimer flehend zu Boden fallen zu lassen, wurde er geradezu unausweichlich in dessen Demütigung miteinbezogen. Gestützt wird diese Lesart auch durch einen vergleichenden Blick auf die große Siegesfeier, die Kaiser Anastasius 498 nach der Niederwerfung der «Isaurier» abgehalten hatte.36 Die abgetrennten Köpfe der feindlichen Anführer wurden damals öffentlich in der Hauptstadt präsentiert,37 und die beiden Gefangenen Longinus und Indes zogen später im Rahmen eines ingens spectaculum38 zu Fuß und in Ketten durch Konstantinopel bis ins Hippodrom,39 wo sie sich im Rahmen einer calcatio colli vor der Kaiserloge in den Staub werfen mussten.40 Im Panegyricus des Priscianus von Caesarea heißt es dazu (Prisc. Pan. Anast. 171–173): 32 So auch Pazdernik 2006: 201 («victor and vanquished joined in the act of proskynesis»), der allerdings den besonderen Charakter (siehe unten) der Proskynese Gelimers übersieht. 33 Vgl. Malone 2009. 34 Vgl. McCormick 1986: 57f. (mit Anm. 76). 35 Purpureo terrae resonant fulgente cothurno, loraque puniceis induxit regia vinclis, Parthica Campano dederant quae tergora fuco, quis solet edomitos victor calcare tyrannos Romanus princeps et Barbara colla dormare. Sanguineis praelata rosis, laudata rubore, lectaque pro sacris, tacta mollissima, plantis. Augustus solis hoc cultu conpetit uti, sub quorum est pedibus regum cruor; Coripp. In Laud. 2, 104–112. 36 Vgl. zur Feier Croke 2008. Vgl. zum «Isaurierkrieg» Meier 2009: 75–84; Meier 2012. 37 Allgemein zu Gewalt und zur Darstellung von Gewalt in der Spätantike vgl. Zimmermann 2006. 38 Marc. Com. ad ann. 498. 39 Evagr. HE 3, 35. Vgl. zu Evagrius Leppin 2003. 40 Anth. Graec. 2, 398–406. 70 Henning Börm Ipse locus vobis ostendit iure tropaea, Obtulit et vinctos oculis domitosque tyrannos Ante pedes vestros mediis circensibus actos. «Ebendieser Ort [der Circus] präsentierte Euch [Kaiser Anastasius] mit Recht Trophäen und führte allen die gefesselten und besiegten Usurpatoren vor Augen, die Euch inmitten der Circusspiele vor die Füße geworfen wurden.» Beide, Longinus und Indes, wurden später hingerichtet.41 Und auch Justinian selbst hatte schon mindestens eine entsprechende pompa veranstaltet, als er 530 im Rahmen der bereits erwähnten Siegesfeier einen gefangenen rex der (Proto-)Bulgaren bzw. «Hunnen» im Hippodrom der Bevölkerung präsentierte.42 Sogar die Niederschlagung des Nika-Aufstandes ließ der Kaiser 532 in einem großen «Triumph» feiern, laut Iordanes unter Präsentation derjenigen prominenten Insurgenten, die überlebt hatten: Wahrscheinlich – ausdrücklich belegt ist es nicht – wurde also auch ihre Unterwerfung öffentlich inszeniert.43 Die Parallelen zu den Vorgängen von 534 fallen ins Auge. Überspitzt gesagt, unterschied sich Belisar von Gelimer, Longinus, Indes und dem Bulgaren äußerlich vor allem dadurch, dass er keine Ketten trug und seinen Marsch statt im Kerker vor seinem Haus beginnen durfte. Denn genau wie sie zog auch er durch ganz Konstantinopel, um sich zuletzt vor dem Kaiser in den Staub der Arena zu werfen. Im 5. und 6. Jh. gab es also durchaus noch Siegesfeiern im Imperium Romanum, die von den Quellen als «Triumphe» bezeichnet und mithin in die entsprechende Tradition eingeordnet werden; es handelte sich dabei um pompae, bei denen Beute und Gefangene der hauptstädtischen Bevölkerung präsentiert wurden. Doch nachdem offenbar bereits mit Konstantin I. das Opfer auf dem Kapitol weggefallen und das Ritual damit säkularisiert worden war, hatte es um das Jahr 400 noch eine weitere, entscheidende Änderung gegeben: Der Triumphator – und das heißt: der Kaiser – nahm fortan nicht mehr an der pompa teil, sondern wartete im Circus auf die Ankunft des 41 Die calcatio colli und die Hinrichtung gefangener Anführer waren ein beliebtes, aber nicht konstitutives Element der spätantiken Siegesfeiern. 468 etwa ließ Leo I. den Kopf von Dengizich, Sohn Attilas, durch die Stadt tragen und dann bei Pferderennen präsentieren; vgl. Chron. Pasch. ad ann. 468. 42 kaÏ $pwsteilen ãn Kvnstantinoypfilei ãk tá« aåxmalvs›a« tân Łgoymwnvn a\tân met@ kaÏ ¡llvn pollân, kaÏ ãpfimpeysan a\toŒ« ãn tˆ Åppikˆ (Theoph. AM 6032). – «Und er [der magister militum Mundus] sandte aus der Schar der Gefangenen ihre Anführer mit vielen weiteren Leuten nach Konstantinopel, und er [Justinian] führte sie bei den Pferderennen vor.» Vgl. dazu eingehend Croke 1980. 43 Amputatisque eorum capitibus, ante eos fecit imperium perdere quam haberent. Sociisque eorum qui evaserant a caede proscriptis, veluti grandi hoste prostrato, de manubiis triumphavit (Iord. Rom. 364). – «Und indem er ihre [gemeint sind der Usurpator Hypatius und sein Bruder Pompeius] Köpfe abschlagen ließ, sorgte er [Justinian] dafür, dass sie das Imperium verloren, bevor sie es erlangten. Nachdem ihre Genossen, die dem anschließenden Schlachten entgangen waren, geächtet worden waren, führte er sie, als sei ein großer Feind besiegt worden, mit Beute in einem Triumph vor.» Justinians Triumph und Belisars Erniedrigung 71 Umzugs und wurde damit nun selbst zum Ziel- und Endpunkt der Feier.44 Viel wichtiger als die pompa war nun die Zeremonie im Hippodrom. Sicher spielte dabei eine Rolle, dass die römischen Herrscher ab dieser Zeit nicht mehr selbst als Heerführer agierten. Fast könnte man überdies sagen, die Kaiserloge sei im Ritual nun absichtlich an die Stelle gerückt worden, die einst der Tempel auf dem Kapitol eingenommen hatte. An dieser Dramaturgie wurde auch 534 nichts Grundlegendes geändert. Ganz gleich, ob man den Fußfall Belisars nun als Teil einer calcatio colli oder «nur» als supplicatio deuten möchte: Es ist in jedem Fall anzunehmen, dass die meisten Zuschauer das Schauspiel, das man ihnen bot, im Kontext der kaiserlichen Siegesfeiern der letzten Jahre und Jahrzehnte verstanden – und nicht etwa, wie Prokop suggeriert, als Wiederaufnahme eines jahrhundertealten Rituals mit republikanischen Wurzeln. Wenn die Bevölkerung von Konstantinopel nun Belisar und Gelimer zu Fuß durch die Stadt marschieren sah, um sie als Höhe- und Endpunkt der Feier die Gnade des Kaisers erflehen zu sehen, dann dürfte dies allenfalls bei einer winzigen, antiquarisch interessierten Elite Erinnerungen an triumphierende Feldherrn der Republik evoziert haben. Alle anderen Zuschauer aber verstanden zumindest die Zeremonie im Hippodrom gewiss auf ganz andere Weise: Belisar, den einige seiner eigenen Männer bezichtigt hatten, nach einer «Tyrannis» zu streben,45 wurde nun öffentlich ebenso abgestraft wie Gelimer, den der Kaiser als illegitimen Herrscher und Rebellen betrachtete.46 Als Hintergrund kann vermutet werden, dass man am Hof auf die Berichte über das anstößige Verhalten des magister militum nach der Einnahme Karthagos alarmiert und beunruhigt reagiert hatte. Dies ist der wahrscheinlichste Anlass für das, was bei Prokop als Belisars Hikesie erscheint. Die tatsächlichen Machtverhältnisse zwischen dem ruhmreichen Feldherrn und dem Kaiser wurden so jedem, der vielleicht Zweifel gehegt haben könnte, unmissverständlich vor Augen geführt. Ganz so, wie einst Augustus seinen Adoptivsohn und designierten Nachfolger Tiberius hatte demonstrieren lassen, dass es trotz aller Siege immer noch jemanden gab, dem er sich rückhaltlos unterzuordnen hatte, so zeigte nun Justinian, dass er auch dann der Urheber aller Siege war,47 wenn er die Führung seiner Kriege anderen übertrug. Der Kaiser konnte es sich 44 In Ostrom dürfte diese Entwicklung spätestens unter Theodosius I. eingeleitet worden sein; vgl. die Darstellungen auf der Basis des Theodosius-Obelisken mit den Bemerkungen von Rebenich 1991. Der, soweit ich sehe, letzte Augustus, der in der Triumphalquadriga an der pompa teilnahm, war 416 Honorius; vgl. Prosp. Tir. ad ann. 417; McCormick 1986: 57f. Möglicherweise griff aber 160 Jahre später Tiberius Constantinus diese Tradition wieder auf (siehe unten). Auch die Triumph- bzw. Siegesbögen verschwanden offenbar im 5. Jh.; vgl. McCormick 1986: 79. 45 Ç dÍ fùfino«, oëa ãn megˇl> e\daimon›< fileÖ g›gnesùai, Ÿdainen ódh ã« Belisˇrion, ka›per a\tˆ o\dem›an parwxonta skácin. tân g@r $rxfintvn tinÍ« diwbalon a\tÌn ã« basilwa, tyrann›da a\tˆ o\damfiùen pros‹koysan ãpikaloÜnte« (Prok. Hist. 4, 8, 1f.). – «Doch Missgunst, wie sie in Fällen großen Glückes zu entstehen pflegt, kam bereits gegenüber Belisar auf, obwohl er dazu keinerlei Anlass bot. Denn einige seiner Unterführer warfen ihm beim Kaiser das Streben nach einer Tyrannis vor, die ihm überhaupt nicht zukam.» 46 Vgl. zu Gelimers Darstellung bei Prokop Knaepen 2001. 47 Vgl. zu diesem Element spätrömischer Herrscherideologie Lee 2007: 37–50. 72 Henning Börm erlauben, den Mann, der soeben seine Truppen zum größten römischen Sieg seit Jahrzehnten geführt hatte, wie einen unterworfenen Rebellen zu behandeln; und dieser machte gute Miene zum bösen Spiel und bewies so seine Loyalität. Die Unterschiede zum Vandalen waren dabei zweifellos von Bedeutung, denn Belisar wurde eben nur beinahe wie ein unterworfener Usurpator behandelt. Höchstwahrscheinlich hatte er die Details im Vorfeld mit dem Hof ausgehandelt. Indem man auf Ketten verzichtete und ihn an seinem Haus abholte, ließ man ihm seine Würde; und Prokops Werk beweist, dass die pompa daher die Möglichkeit bot, als Ehrung des Heermeisters ausgelegt zu werden. Doch alles in allem wiegen die Parallelen zwischen Belisar und Gelimer schwerer als die Unterschiede, die zumindest die Zuschauer im Hippodrom kaum wahrgenommen haben werden. Indem Prokop die Aufmerksamkeit des Lesers auf die pompa lenkt und behauptet, Belisar sei in der Tradition republikanischer nobiles durch die Stadt gezogen, lenkt er davon ab, dass die für einen spätantiken Triumph entscheidende Inszenierung erst im Hippodrom erfolgte – auch im Jahr 534. Belisars Fußfall und die wahrscheinliche calcatio colli waren daher keine Zugabe, sondern das Herzstück der Feier. Im Circus bzw. Hippodrom fanden im 5. und 6. Jh. nahezu alle wesentlichen Kommunikationsakte zwischen Herrscher und populus bzw. plebs statt.48 Dies galt auch für Kaiserakklamationen und Siegesfeiern. Bezeichnenderweise erwähnt Malalas49 in seiner knappen Notiz zum Geschehen des Jahres 534 die pompa daher überhaupt nicht, sondern schreibt schlicht: «Als Pferderennen abgehalten wurden, zeigte man die Gefangenen gemeinsam mit der Beute öffentlich vor.» Da also alles darauf hindeutet, dass Belisar 534 vor den Augen der im Hippodrom versammelten Hauptstadt erniedrigt wurde, stellt sich zuletzt die Frage, wieso sich Justinian eine derart exzeptionelle Behandlung eines außergewöhnlich erfolgreichen Heerführers überhaupt erlauben konnte. Hätte er nicht mit Empörung und sogar Widerstand von Seiten der Bevölkerung rechnen müssen? Offenbar nicht. Und diese Beobachtung legt den Schluss nahe, dass der Kaiser davon ausging, dass die Mehrheit der plebs im Zweifelsfall auf seiner Seite stehen würde. Auch Belisar scheint diese Einschätzung geteilt zu haben, da er sich sonst wohl gewehrt oder zumindest verweigert hätte. Fragt man nach möglichen Ursachen hierfür, so liegt eine Verbindung mit der Niederschlagung des Nika-Aufstandes zumindest nahe, auch wenn letzte Gewissheit in diesem Punkt nicht zu gewinnen ist. Es scheint Justinian früh gelungen zu sein, die Verantwortung für das damalige Blutbad zumindest teilweise auf andere abzuschieben. Dies war möglich, weil es im Ja- 48 Vgl. Canepa 2009: 167–174. Zur symbolischen Aufladung der spätantiken Topographie vgl. ferner Bauer 1996 und Brubaker 2001; zur Funktion und Bedeutung von Akklamationen vgl. Wiemer 2004 und Wiemer 2013. Es ist daher kaum ein Zufall, dass auch andere Herrscher im 6. Jh. diesen Ort für ihre Siegesfeiern wählten, so etwa der Merowinger Theudebert I. um 545 in Arelate (Prok. Hist. 7, 33, 5), der Ostgote Totila 550 in Rom (Prok. Hist. 7, 37, 4) und, besonders spektakulär, der Perserkönig Chusro I. 540 in Apamea; vgl. Börm 2006: 311–315. 49 Mal. 18, 81. Justinians Triumph und Belisars Erniedrigung 73 nuar 532 zu einem Usurpationsversuch gekommen war: Diejenigen, die im Hippodrom den Tod fanden, hatten sich dort versammelt, um Flavius Hypatius als neuen Augustus zu akklamieren. Dass es aber das Recht eines Kaisers war, sich gegen einen tyrannus und dessen Anhänger gewaltsam zu verteidigen, wurde in der Spätantike nicht grundsätzlich bestritten.50 Es ist daher gewiss kein Zufall, wenn in der offiziösen Darstellung der Vorgänge, die Marcellinus Comes kurz darauf verfasste, demonstrativ die Usurpation in den Mittelpunkt gerückt wird, nicht die dieser vorangehenden Zirkusunruhen: Hypatius und seine Brüder erscheinen von Anfang an als Drahtzieher und als Verantwortliche für das Blutvergießen.51 Unabhängig davon, ob diese Lesart allgemein akzeptiert wurde, ist zumindest gut vorstellbar, dass sich der Zorn der Menschen (auch) auf Belisar als denjenigen richtete, der gemeinsam mit Mundus die Truppen kommandiert hatte, denen Zehntausende zum Opfer gefallen waren.52 Denn zumindest die Brutalität des Vorgehens konnte man ihm als Befehlshaber durchaus vorwerfen. Belisar an eben jenem Ort in den Staub fallen zu sehen, an dem Männer unter seinem Kommando Tausende getötet hatten, dürfte für viele Zuschauer daher eine Genugtuung gewesen sein. In ihren Augen tat er mutmaßlich nicht so sehr Buße für sein Verhalten in Africa, sondern vor allem für die Ereignisse von 532.53 Da die hier vorgeschlagene Deutung erheblich von der bisher üblichen Lesart der Ereignisse abweicht und daher zunächst überraschen mag, seien die wesentlichen Schritte der Argumentation im Folgenden noch einmal kurz zusammengefasst: 1. Im 5. und 6. Jh. nahm der triumphierende Kaiser nicht mehr selbst an der pompa teil, sondern erwartete den Umzug im Circus bzw. Hippodrom. In der Tradition dieser spätantiken Siegesfeiern stand auch der Triumph von 534. 2. Justinian trug 534 laut Iohannes Lydus das Triumphalgewand, den lorus. Auch andere Zeugnisse stellen den Kaiser in den Mittelpunkt der Feier. Er, nicht Belisar, hat daher als der Triumphator zu gelten. Die einzige Quelle, die etwas anderes behauptet, sind Prokops Historien.54 50 Ammian zum Beispiel wirft Constantius II. lediglich vor, sich seiner Bürgerkriegssiege in ungebührlicher Weise gerühmt zu haben, bezweifelt aber nicht die Rechtmäßigkeit des Vorgehens gegen die Feinde des Kaisers; Amm. 21, 16, 15. Letztlich war es stets der tyrannus, der die Hauptverantwortung für das Blutvergießen trug. Angreifbar machte sich ein Herrscher hingegen immer dann, wenn er Männer belangte oder töten ließ, die den Schritt zur offenen Usurpation (noch) nicht getan hatten. Vgl. hierzu Börm 2010: 168–172. 51 Marc. Com. ad ann. 532. 52 Prok. Hist. 1, 24, 46–54; Chron. Pasch. ad ann. 532. 53 Ein argumentum e silentio ist methodisch zwar stets problematisch, doch vielleicht ist es kein Zufall, dass Prokop nichts davon berichtet, wie die plebs 534 auf Belisars Vorbeimarsch in der pompa reagierte – dass dem Heermeister von der Menge tatsächlich zugejubelt wurde, wie man zunächst annehmen würde, ist daher zumindest nicht gesichert. 54 Evagrius, der in seiner Historia Ecclesiastica (4, 17) ebenfalls Belisar als Triumphator kennzeichnet, folgt an dieser Stelle ausdrücklich Prokop. 74 Henning Börm 3. Den lorus trugen Kaiser laut Corippus nur dann, wenn sie eine calcatio colli vollzogen, eine Demütigung, die Usurpatoren und besiegten Königen vorbehalten war. Da diese Nachricht ebenso wie die Notiz bei Lydus unverdächtig ist, spricht alles dafür, dass Gelimer 534 diese Behandlung widerfuhr. 4. Auffällig ist, dass Prokop dies nicht vermerkt, sondern nur vage von einer erzwungenen Proskynese des vandalischen rex spricht. Er berichtet allerdings ausdrücklich, dass sich Belisar gemeinsam mit Gelimer (sŒn a\tˆ) vor der Kaiserloge in den Staub fallen ließ. 5. Zwischen Gelimer und Belisar scheint in diesem Moment nicht differenziert worden zu sein – wie hätte dies auch geschehen sein sollen? Folglich wurde sehr wahrscheinlich auch Belisar vor den Augen der im Hippodrom versammelten Bevölkerung vom thronenden Kaiser symbolisch in den Staub getreten. Sein Fußfall wurde zwar nicht erzwungen, dennoch handelte es sich in diesem Kontext nicht um eine gewöhnliche Proskynese. Dem neben Gelimer knienden Heermeister widerfuhr vielmehr zumindest äußerlich dieselbe Demütigung wie dem gefangenen rex an seiner Seite. Prokops Darstellung scheint dies bewusst vertuschen zu sollen; wohl aus diesem Grund wird von vornherein verschwiegen, dass eine calcatio colli stattfand. 6. Für diese demütigende Behandlung des magister militum muss es einen Anlass gegeben haben. Hierfür kommt am ehesten der Bericht, Belisar habe sich in Karthago auf den Thron gesetzt, in Frage. Dabei muss man meines Erachtens unterscheiden: Dass Belisar tatsächlich auf dem Vandalenthron Platz genommen hatte, ist sehr wahrscheinlich, denn warum sollte der Augenzeuge Prokop, der den magister militum nach Africa begleitet hatte, etwas Derartiges erfinden? Dass der Heermeister wirklich an Insubordination oder gar Usurpation gedacht hatte, war hingegen wohl nur ein Gerücht – aber eines, das offenbar geeignet war, Justinian zum Handeln zu veranlassen. 7. Dass der Kaiser den siegreichen Feldherrn öffentlich demütigen konnte, ist schließlich ein Indiz dafür, dass er die Bevölkerung Konstantinopels im Zweifelsfall auf seiner Seite wusste. Belisar war fraglos bei vielen Soldaten und auch bei einem Teil der Senatoren beliebt, doch offenbar konnte Justinian davon ausgehen, dass die Mehrheit der Zuschauer eine Erniedrigung des magister militum goutieren würde. Dies ist kaum abschließend zu erklären. Doch mutmaßlich gab die plebs die Schuld an der außerordentlich blutigen Niederschlagung des Nika-Aufstandes zwei Jahre zuvor weniger dem Kaiser als vielmehr Belisar.55 Während Gelimer, dem höchstwahrscheinlich bereits vor seiner Kapitulation entsprechende Zusagen gemacht worden waren, anschließend vom clementia demonstrieren55 Bemerkenswert ist, dass Justinian sehr bald nach der Unterdrückung des Aufstandes eine demonstrativ milde und versöhnliche Haltung eingenommen zu haben scheint; vgl. Meier 2001: 419–423. Justinians Triumph und Belisars Erniedrigung 75 den Justinian mit einer Rente und einem Landgut in Galatien ausgestattet wurde,56 erhielt auch Belisar eine Belohnung für sein Wohlverhalten: Er wurde consul ordinarius für das folgende Jahr und durfte den Amtsantritt am 1. Januar 535 prächtig feiern – diesmal ohne Fußfall. Bemerkenswerterweise nennt Prokop übrigens auch diese pompa, bei der der Heermeister in einer sella curulis durch die Straßen der Hauptstadt getragen wurde und Geld aus der Vandalenbeute unter das Volk streute, ausdrücklich einen «Triumph», und zwar im Unterschied zur vorherigen Feier einen «Triumph nach dem alten Brauch».57 Dass Prokop diese Interpretation vorgibt, belegt aber vor allem, dass ihm vollkommen bewusst war, dass die pompa des Vorjahres eben nicht Belisar, sondern dem Kaiser gewidmet gewesen war. Der angebliche «zweite» Triumph Belisars, in Wahrheit eine konsulare Inaugurationsfeier,58 ein processus consularis, war sozusagen sein erster. 2. Kaiser und Heerführer im spätrömischen Reich Wie sind die Ereignisse einzuordnen? Meines Erachtens war die Feier des Jahres 534, die man bei näherem Hinsehen nicht als Belisars, sondern allein als Justinians Triumph bezeichnen muss (sofern man von einem «Triumph» sprechen möchte), mit ihrer erstaunlichen Pointe ein Zeichen dafür, dass zu diesem Zeitpunkt der kaiserliche Hof und die zivile Administration den militärischen Sektor und die Feldherrn insgesamt unter Kontrolle hatten.59 56 Dieser Akt der Milde war durchaus ungewöhnlich. Weder hatte Valentinian III. 425 den Usurpator Iohannes verschont (Olymp. Frg. 43, 2 [Blockley]) noch Anastasius 498 Indes und Longinus; und Honorius hatte 416 dem Priscus Attalus immerhin die rechte Hand abschlagen lassen; Olymp. Frg. 14 (Blockley). Im Unterschied zu Iohannes, Attalus oder Hypatius hatte Gelimer allerdings auch nicht nach dem Kaisertum gestrebt. 57 #Ol›g8 dÍ œsteron Belisar›8 kaÏ Ç ùr›ambo« kat@ dÎ tÌn palaiÌn nfimon jynetelwsùh. ã« Épˇtoy« g@r proelùfinti oÅ jynwpese fwresùa› te prÌ« tân aåxmalØtvn kaÏ ãn tˆ d›fr8 çxoymwn8 tˆ d‹m8 ®ipteÖn a\t@ dÎ ãkeÖna toÜ Band›lvn polwmoy t@ lˇfyra. tˇ te g@r $rgyrØmata kaÏ zØna« xrys»« kaÏ ¡lloy plo÷toy BandilikoÜ pol÷ ti xráma ãk tá« Belisar›oy Épate›a« Ç dámo« ûrpase, ka› ti tân o\k eåvùfitvn $naneoÜsùai tˆ xrfin8 ödoje (Prok. Hist. 4, 9, 15f.). – «Einige Zeit später konnte Belisar auch einen Triumph nach altem Brauch feiern. Als er nämlich Konsul wurde, durfte er sich von Kriegsgefangenen tragen lassen und von der sella curulis aus Beutestücke aus dem Vandalenkrieg unter die Menge werfen. So konnte das Volk anlässlich von Belisars Konsulat silbernes Geschirr, goldene Gürtel und eine große Menge weiterer vandalischer Schätze an sich nehmen, und eine alte Sitte schien wieder zum Leben erwacht.» (Übers. Veh.) 58 Allgemein zum spätantiken Konsulat vgl. jetzt Sguaitamatti 2012. 59 Obwohl die Trennung der beiden Bereiche nie vollkommen war, zumal seit Diokletian auch solche kaiserlichen Bediensteten, die nicht der kämpfenden Truppe angehörten, nominell als milites galten (vgl. Kelly 2004: 20), erscheint es im Rahmen der vorliegenden Untersuchung vertretbar, für die Spätantike vereinfachend von einer Dichotomie «militärisch» versus «zivil» zu sprechen; vgl. Demandt 2007: 292. Die militia armata war von der militia officialis (und der mi- 76 Henning Börm Dies war keineswegs selbstverständlich, im Gegenteil. Dass die führenden Militärs im Westen des Imperium Romanum bereits seit dem späten 4. Jh. zunehmend an Macht und Handlungsfreiheit gewonnen und schließlich gegenüber den Kaisern eine zunächst unangreifbare und zuletzt beherrschende Stellung eingenommen hatten, ist bekannt.60 Diese Männer ließen sich nicht mehr vom Herrscher absetzen, sondern im Zweifelsfall beseitigten eher sie die Kaiser.61 Für diese Entwicklung gab es eine ganze Reihe von Ursachen, angefangen beim jugendlichen Alter, in dem Herrscher wie Valentinian II., Honorius und Valentinian III. den Thron bestiegen, über die Einrichtung des Postens eines obersten Heermeisters durch Stilicho62 bis hin zu kontingenten Faktoren wie den Niederlagen der Westkaiser Majorian und Anthemius gegen die Vandalen. Zwar versuchte man am weströmischen Hof offensichtlich, wieder an Handlungsfreiheit zu gewinnen, indem man mächtige Militärs wie Bonifatius, Felix und Aëtius gegeneinander ausspielte,63 doch der dauerhafte Erfolg blieb aus. Spätestens mit Ricimer setzte sich um 460 auch protokollarisch der Vorrang der Militärs durch, eine praerogativa partis armatae,64 die in Ostrom unbekannt blieb. Die Westkaiser mussten zunehmend hilflos mit ansehen, wie Heerführer römischer und nichtrömischer Herkunft Bürgerkriege um die Macht ausfochten, die schließlich in der Desintegration des Hesperium Imperium mündeten.65 Die Hauptaufgabe der Kaiser war seit jeher die Gewährleistung der pax Augusta gewesen; bereits Augustus hatte seine überragende Stellung auf den Anspruch zurückgeführt, die Bürgerkriege ausgelöscht zu haben.66 Als die westlichen Augusti in diesem zentralen Punkt langfristig scheiterten, führte dies zu gravierendem Akzeptanzverlust. Im Osten hingegen war es den verstärkt civilitas demonstrierenden Kaisern67 und dem zivilen Apparat längere Zeit gelungen, insbesondere die magistri militum besser unter Kontrolle zu halten. Der Putschversuch des Gainas, der offenbar eine ähnliche Stellung wie Stilicho okkupieren wollte, scheiterte im Jahr 400.68 Die Gründe für dielitia palatina) klar unterschieden. Es gab nun kaum noch Männer, die durch ihre Laufbahn mit beiden Sektoren verbunden waren, und die Machtbalance zwischen den beiden Bereichen war empfindlich. 60 Einen ereignisgeschichtlich orientierten Überblick bieten Henning 1999 und Börm 2013: 39–114. 61 Vgl. hierzu Flaig 2005, Börm 2010 und (zum Tod Valentinians II. 392) Szidat 2012. 62 Vgl. Jones 1964: 175. Endgültig etabliert wurde diese Einrichtung wohl erst mit Constantius III. 63 Vgl. Stickler 2002: 54–58. 64 Sidon. Epist. 1, 9, 2. 65 Vgl. Börm 2013: 114–117. 66 Aug. res gest. 34. 67 Vgl. Diefenbach 2002. 68 Damals scheint es dem Hof gelungen zu sein, die Bevölkerung gegen Gainas und seine Männer zu mobilisieren, wodurch deren Position unhaltbar wurde; Sokr. HE 6, 6; Soz. HE 8, 4. Vgl. Faber 2011. Justinians Triumph und Belisars Erniedrigung 77 sen Erfolg sind schwer zu bestimmen,69 entscheidende Weichenstellungen müssen sich aber unter Theodosius II. (408 bis 450)70 vollzogen haben: Indem die nun unbestrittene Kaiserstadt Konstantinopel, auf halbem Weg zwischen Donau und Euphrat gelegen, durch die Theodosianische Mauer zu einem nahezu unbezwingbaren Bollwerk ausgebaut wurde, stärkte man den dortigen Augustus in entscheidendem Maße, denn ohne die Hauptstadt war die östliche Hälfte des Imperium Romanum kaum zu kontrollieren. Wer Kaiser sein wollte, musste im Besitz der Metropole sein und sich der Zustimmung der Mehrheit der plebs bzw. der Zirkusparteien (Demen) versichern.71 Gelang dies, so war seine Position von außen nur schwer zu erschüttern. Diese Konstellation war es, die umgekehrt innere Unruhen wie den Nika-Aufstand so gefährlich und eine möglichst rasche Versöhnung des Kaisers mit der Bevölkerung erforderlich machte. Schwieriger zu erklären, aber gleichfalls von großer Bedeutung, ist der Umstand, dass die oströmischen Truppen im 5. und 6. Jh. anders als früher augenscheinlich nicht mehr nach Herrschernähe verlangten, sondern bereit waren, principes clausi zu akzeptieren,72 solange die fernen Palastkaiser am Bosporus demonstrativ für das Wohl ihrer Soldaten sorgten.73 Auch die zunehmende Sakralisierung des Kaisertums und eine fortschreitende christliche Durchdringung der spätrömischen Gesellschaft kommen als relevante Faktoren in Frage.74 Vor allem aber dürfte die Anhänglichkeit des Heeres gegenüber der Dynastie – Voraussetzung dafür, dass nun auch Kinder als Herrscher akzeptiert werden konnten, sofern es sich bei ihnen um Söhne eines Augustus handelte – eine wichtige Rolle gespielt haben.75 69 Die Annahme, der zivile Sektor sei im Osten zumindest teilweise deshalb stärker gewesen, weil sich der größte Teil des Militärs 395, als Theodosius I. starb, gemeinsam mit diesem im Westen befunden habe (so Jones 1964: 174), greift sicherlich zu kurz. 70 Grundlegend zu Theodosius II. ist Millar 2006, der allerdings den Grad der Gräzisierung des Reiches zu dieser Zeit meines Erachtens überschätzt; noch Justinian herrschte über ein erkennbar «römisches» Imperium. Dafür, Theodosius als Politiker positiver einzuschätzen, als dies aufgrund der überwiegend feindseligen Überlieferung (z.B. Suda U 145) meist geschieht, plädiert Traina 2009: 31f. 71 Die jüngste umfassende Untersuchung zum Kaiser in Konstantinopel (Pfeilschifter 2013) erschien leider zu spät, um im Rahmen des vorliegenden Beitrags berücksichtigt werden zu können. Dies gilt auch für Kiel-Freytag 2012. 72 Damit sei nicht gesagt, dass dieses faktisch unkriegerische Kaisertum einhellig begrüßt worden wäre: Als ein verbreitetes Element der literarischen Herrscherkritik, zumal in der Historiographie, findet sich im 5. und 6. Jh. wiederholt die (topische) Forderung, die Augusti sollten wieder selbst ins Feld ziehen; vgl. Börm (in Vorbereitung). 73 Zur Effizienz der oströmischen Verwaltung in dieser Zeit vgl. Haldon 2005 und Mitchell 2007: 173–180. Speziell zur Versorgung der Armee vgl. Lee 2007: 85–89. 74 Einen ausgezeichneten, aktuellen und konzisen Überblick, der das spätrömische Kaisertum in seinen antiken Kontext einordnet und auch die Beziehung zwischen Monarchie und Monotheismus thematisiert, bietet Rebenich 2012 (bes. 1171–1188). 75 Zur Bedeutung des dynastischen Prinzips für das römische Kaisertum vgl. Börm (im Druck). Obwohl das Kaisertum auch in der Spätantike aufgrund seiner Ursprünge im Prinzipat 78 Henning Börm Für diese Annahme spricht, dass sich bald nach dem Ende der ValentinianischTheodosianischen Dynastie, um 460, in Gestalt des Heermeisters Flavius Ardaburius Aspar auch in Ostrom eine erhebliche Bedrohung der herrscherlichen Autorität manifestierte. Aspar war es gelungen, sich eine eigene, nur ihm und seiner Familie gegenüber loyale Gefolgschaft unter den Truppen aufzubauen. Doch dieser Machtkampf ging anders aus als im Westen.76 Der Ostkaiser Leo (457 bis 474) hatte offensichtlich seine Lehren aus dem Schicksal Valentinians III. gezogen; dieser hatte sich auf seine Soldaten so wenig verlassen können, dass er sich gezwungen gesehen hatte, den übermächtigen Heermeister Aëtius 454 eigenhändig zu erschlagen.77 Als dessen Gefolgsleute einige Monate später ein Attentat auf den Kaiser verübten, sah die Garde dem Mord tatenlos zu.78 Wohl auch aus diesem Grund gründete Leo um 460 eine neue, nur dem Herrscher persönlich verpflichtete Leibwache, die excubitores. Und als der Konflikt mit Aspar 471 seinen Höhepunkt erreichte und mit der Ermordung und Zerstückelung des Heermeisters durch Leos Männer endete, da verteidigte die neue Garde den Kaiser anschließend loyal und erfolgreich gegen die wütenden Gefolgsleute des Getöteten.79 Nach diesem Erfolg, den Leo allerdings damit erkaufte, dass er unter dem Beinamen Macellarius bzw. Makwllh«, «der Schlächter», in die Geschichte einging,80 riet er angeblich seinem westlichen Kollegen Anthemius dazu, mit dessen magister militum Ricimer analog zu verfahren.81 Dass Anthemius dies misslang, besiegelte das Schicksal des Westkaisertums. Leo hingegen hatte für den Osten entscheidende Weichen gestellt. Denn dem Kaisertum eröffnete der Mord an Aspar neue Handlungsfreiheit. Die Krise der Institution erreichte zwar erst unter Leos Nachfolger Zeno (474 bis 491) ihren Höhepunkt,82 doch die diversen Usurpationsversuche,83 derer sich dieser erwehformal nicht erblich war, war es offensichtlich unmöglich, dem Sohn eines Augustus den Purpur zu verwehren, ohne Gewalt anzuwenden. 76 Die beste moderne Untersuchung zu den Vorgängen ist Croke 2005. Vgl. daneben Mathisen 1991. 77 Der Mord an dem magister militum et patricius Aëtius (vgl. Stickler 2002) fand am 21. oder 22. September 454 im Kaiserpalast in Rom statt (Sidon. carm. 5, 305 und 7, 359; Theoph. AM 5946). Während die meisten Quellen den Eunuchen Heraclius als die treibende Kraft hinter der Tat benennen (Prisk. Frg. 30, 1 [Blockley]), behauptet Prokop (Hist. 3, 4, 24–28), der Senator Petronius Maximus sei der entscheidende Akteur gewesen. Es spricht nichts für die Richtigkeit dieser Angabe. Maximus scheint vielmehr ein Parteigänger des Heermeisters gewesen zu sein. Vgl. Börm 2013: 94–99. 78 Prisk. Frg. 30, 1, 67–69 (Blockley). 79 Die wichtigsten Quellen zu den Ereignissen sind Malalas (14, 40), Marcellinus Comes (ad ann. 471), Evagrius (HE 2, 16) und Iordanes (Rom. 338). Prokop (Hist. 3, 6, 27) berichtet knapp, Leo habe einem Anschlag auf sein Leben zuvorkommen wollen, und bewahrt damit vermutlich die kaiserliche Version der Ereignisse. 80 Suda L 267. 81 Mal. 14, 45. 82 Am Beispiel Zenos lässt sich die Bedeutung der Hauptstadt und der plebs gut ablesen: Als im Gefolge einer Hofintrige sein Schwager Basiliscus (vgl. Brandes 1993) am 9. Januar 475 Justinians Triumph und Belisars Erniedrigung 79 ren musste, belegen vor allem, dass sein Amt ehrgeizigen Männern nach wie vor als erstrebenswert galt – ein auffälliger Unterschied zu den letzten Jahren des weströmischen Kaisertums, als der Purpur dort so unattraktiv geworden war, dass ein Mann wie Orestes 475 lieber seinen jungen Sohn Romulus als Marionette auf den Thron setzte, als selbst Kaiser zu werden.84 Manches spricht dafür, dass der besagte «Isaurierkrieg», den Zenos Nachfolger Anastasius dann führte, mehr darstellte als nur einen Feldzug gegen aufmüpfige Halbbarbaren, nämlich einen Konflikt zwischen dem Hof und der Soldateska, in dem letztere unterlag.85 Fest steht, dass Anastasius diesen Erfolg 498 unter anderem mit der bereits erwähnten Siegesfeier abschloss, die in den Quellen als Triumph bezeichnet wird. Spätestens mit Anastasius (491 bis 518), der eine rein zivile Karriere absolviert hatte, setzte sich also der Primat des Hofes86 und des «zivilen» Sektors erneut durch.87 Zwar blieb auch unter diesem Augustus und seinen Nachfolgern die Position des Herrschers bis zu einem gewissen Grad stets prekär, doch war diese grundsätzliche Angreifbarkeit bereits von Anfang an ein Charakteristikum des römischen Kaisertums gewesen. Entscheidend war daher, dass nun eine relative Stabilisierung gelungen war. Bezeichnenderweise versuchte der rebellische Heermeister Vitalian darum offenbar nicht, selbst Kaiser zu werden; vielleicht ist es ihm, wie Mischa Meier argumentiert hat, in seinem Konflikt mit dem Kaiser tatsächlich nur um (theologische) Sachfragen gegangen.88 Wenn dies aber nicht der Grund gewesen sein sollte, so bleibt eigentlich nur die Erklärung, dass Vitalian ganz einfach nicht an die Möglichkeit glaubte, er könne sich erfolgreich von seinen Truppen ausrufen lassen: Der Kaiser wurde eben nicht mehr vom Heer gemacht, sondern in der Hauptstadt, wenn auch unter Beteiligung der Soldaten. Wenn Priscianus89 und Prokop von Gaza90 in ihren Reden auf Anastasius die Loyalität der Generäle gegenüber dem Kaiser betonten, dann war dies kein reines Wunschdenken, sondern entsprach – mit Abstrichen – der Realität. Was für ein Unterschied zu den Verhältnissen im 3. und 4. Jh.! den Thron usurpierte, floh der Kaiser aus Konstantinopel. Im Sommer 476 gelang es ihm dann, durch Verrat – ein Teil der plebs stand auf seiner Seite – wieder in die Stadt zu gelangen, womit die Herrschaft des Basiliscus zusammenbrach; vgl. zu Zeno Lippold 1972. 83 Vgl. allgemein zum Phänomen der Usurpation in der Spätantike Szidat 2010. Obwohl der systematische Untersuchungszeitraum mit dem Ende des weströmischen Kaisertums endet, sind zahlreiche Beobachtungen erhellend, gerade auch deshalb, weil sie teils den Kontrast zur hier interessierenden Phase bieten. 84 Börm 2010: 172f. 85 In eine ähnliche Richtung gehen die Überlegungen bei Meier 2009: 76–78. 86 Zum spätantiken Kaiserhof vgl. Noethlichs 1997, McCormick 2000 und Kelly 2004: 186–231. 87 Vgl. zu Anastasius Haarer 2006 sowie (grundlegend) Meier 2009. 88 Meier spricht davon, «dass er mit der Sache der Chalcedonier durchaus ein ernstes und persönliches Anliegen verfolgte» (Meier 2009: 309). 89 Prisc. Pan. Anast. 63–65. 90 Prok. Gaz. Pan. 7–10. 80 Henning Börm Justin (518 bis 527), der Nachfolger des Anastasius, hatte zwar im Militär Karriere gemacht, doch 518 kontrollierte er letztlich nur die excubitores – zwar eine Eliteeinheit, aber eine, die nur 300 Mann umfasste; eindeutig zu wenig, um eine Kaisererhebung zu erzwingen. Zudem war die Garde zerstritten, denn einige excubitores präferierten einen anderen Kandidaten namens Iohannes. Der Heermeister Patricius konnte sich dennoch ebenso wenig durchsetzen wie die Neffen des toten Kaisers, die sich nicht in Konstantinopel aufhielten. Justin hingegen war erfolgreich, weil er offensichtlich in Absprache mit den cubicularii und dem Senat agierte;91 er war offenbar der Kandidat des Hofes, nicht der Armee.92 Ein unzufriedener Soldat soll ihm sogar einen Faustschlag ins Gesicht versetzt haben, aber das änderte in der Sache nichts. Immerhin betonte Justin aber durch einige Details während der anschließenden Krönungszeremonie93 symbolisch die Bedeutung der Armee, so etwa durch die Rückkehr zum Ritual der Schilderhebung.94 Vitalian wurde 520 im Palast ermordet, er erschien Justin wohl doch zu gefährlich.95 Dass Justinian dann 14 Jahre später Belisar, obwohl dieser nach den Ereignissen in Karthago nicht unverdächtig erscheinen konnte, nicht beseitigen ließ, sondern in einer völlig exzeptionellen Weise zugleich ehrte und erniedrigte, ist daher, wie gesagt, ein Zeichen von Stärke. Angesichts des Umstandes, dass Justinian zwar vor seiner Thronbesteigung selbst eine Weile formal magister militum praesentalis gewesen war, aber offenbar niemals Truppen im Kampf befehligt hatte und daher eher als Zivilist gelten kann, ist das bemerkenswert. Nicht weniger bezeichnend: Obwohl Justinian an praktisch allen Fronten permanent Krieg führen ließ, kam es auch unter ihm zu keinen Usurpationen aus den Reihen seiner Feldherren – der dilettantische Versuch des Iohannes Cottistis in Dara brach 537 binnen Tagen zusammen, ohne dass Justinian überhaupt einschreiten musste, und Iohannes war zudem lediglich ein rangniedriger Offizier gewesen, dem nur ein kleiner Teil der Truppen gefolgt war.96 Und als Belisar 540 in Ravenna das weströmische Kaisertum angetragen wurde, lehnte er, der das Angebot zunächst angenommen hatte, sogleich ab, als klar wurde, dass Justinian dies als Usurpation betrachten würde – der Heermeister wagte es also selbst in der Stunde des größten Erfolges, nach der Rückeroberung Italiens, nicht, sich gegen den fernen Augustus am Bosporus zu erheben.97 Gefährlicher war der versuchte coup d’état, der 549 91 Die Rolle des Senats betont auch der Zeitgenosse Marcellinus Comes: Iustinus a senatu electus imperator continuo ordinatus est (Marc. Com. ad ann. 519, 1). 92 Vgl. den ausführlichen Bericht bei Const. Porph. de Caer. 1, 93. 93 Vgl. zum Ritual der oströmischen Kaiserkrönungen eingehend Trampedach 2005. Die Rolle des populus scheint bei der Zeremonie 518 auffallend stark marginalisiert worden zu sein. 94 Grundlegend zu Justin I. ist noch immer Vasiliev 1950; vgl. zum Herrschaftsantritt zuletzt Leppin 2011: 43–46. 95 Vgl. Cameron 1982. 96 Prok. Hist. 1, 26, 5–12; Marc. Com. ad ann. 537, 4. 97 Vgl. Börm 2008: 56–59. Belisars Verhalten ist dabei kaum auf mangelnden Mut, sondern eher auf eine realistische Beurteilung der Lage zurückzuführen, denn gegen Justinians Wider- Justinians Triumph und Belisars Erniedrigung 81 aus einer Verschwörung am Hof hervorging, aber rechtzeitig verraten wurde.98 Ähnliches scheint sich 562 wiederholt zu haben.99 Die Fokussierung der Herrscher auf Konstantinopel hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine lange Tradition. Nicht nur Arcadius und Theodosius II., sondern auch militärisch erfahrene Ostkaiser wie Marcian, Leo oder Zeno hatten als Herrscher nicht selbst Truppen angeführt – Zeno soll dies allerdings 478 immerhin geplant haben.100 Forscher wie Doug Lee haben als Ursache hierfür die Angst der Kaiser vor einem Schlachtentod vermutet.101 Wahrscheinlicher ist aber, dass sie Konstantinopel schlicht nicht verlassen konnten, da dies am Hof, beim Senat und bei den Zirkusparteien102 auf Unverständnis und Widerstand gestoßen wäre. Die Gefahr einer Usurpation in der Hauptstadt war größer als die der Rebellion eines Feldherrn an den Grenzen, darum musste der Kaiser stets demonstrativ die Nähe des populus suchen. Dies galt auch noch einige Zeit nach Justinian. Auch nach ihm blieb der Primat der Hauptstadt gegenüber der Armee zunächst bestehen. Im November 565 setzte sich der völlig unmilitärische curopalatus Justin (II.) aufgrund seiner guten Beziehungen im Palast als neuer Kaiser durch. Sein gleichnamiger Cousin, ein äußerst erfolgreicher Feldherr, der offenbar auch in die gescheiterte Verschwörung von 549 verwickelt gewesen war, wurde allerdings kurz darauf seines Kommandos enthoben und ermordet.103 Dies war etwas, das Justinian nicht nötig gehabt hatte. Unter Justin II. (565 bis 578) verschlechterte sich die militärische Lage des Imperiums deutlich. Umso bemerkenswerter erscheint daher, was sich im Dezember 574 abspielte: Der Kaiser, nach schweren Niederlagen gegen die Perser dem Wahnsinn verfallen, wie es heißt, wurde faktisch entmachtet. Die Herrschaft übernahm stattdessen der Feldherr Tiberius Constantinus, der fortan als Caesar die Geschäfte führte, während der Augustus Justin laut Iohannes von Ephesus angeblich vor allem Tierlaute von sich gab.104 Falls hier in Wirklichkeit ein Staatsstreich erfolgt sein sollte, so fand dieser bezeichnenderweise in der Hauptstadt und unter Beteiligung des Hofes statt, auch wenn der Nutznießer ein hoher Militär war.105 Die Heere an den Grenzen hingegen stand hätte er sich als Westkaiser schwerlich behaupten können, zumal Konstantinopel inzwischen ja wieder Africa kontrollierte. 98 Vgl. Leppin 2011: 281f. 99 Theoph. AM 6055. 100 Malch. Frg. 18, 3 (Blockley). 101 Lee 2007: 35. 102 Die konkrete Rolle und Bedeutung der factiones für die spätrömische Monarchie ist schwer einzuschätzen; vgl. hierzu Cameron 1976 (grundlegend) und den aktuellen Überblick bei Meier 2009: 148–173. 103 Evagr. HE 5, 1f.; Ioh. Bicl. ad ann. 568. Vgl. zu diesem Justin PLRE III: 750–752. 104 Ioh. Eph. HE 3, 2–5. 105 Laut Evagrius sagte Justin II., als er den neuen Caesar erhob, mit Blick auf seinen Hof, dieser habe seinen Zustand verschuldet (Evagr. HE 5, 13). Fest steht, dass Tiberius Constantinus nicht mit der herrschenden Familie verwandt war und auch nicht in diese einheiratete. Ein Indiz für eine fragwürdige Legitimität seiner Erhebung mag sein, dass er sich sogleich ungeachtet lee- 82 Henning Börm stellten die Autorität des Kaisertums nach wie vor offenkundig nicht in Frage: Als die römischen Truppen an der Perserfront 588 meuterten, erhoben sie keinen Gegenkaiser.106 Und umgekehrt musste Kaiser Mauricius, als er 592 an der Spitze eines Heeres Konstantinopel verließ, wenig später auf Druck von Hof und Senat wieder heimkehren.107 Erst nachdem 602 mit dem erfolgreichen Militärputsch des Centurio Phocas klar geworden war, dass die Grenzarmeen wieder bereit waren, Usurpatoren zu unterstützen, fingen die Kaiser erneut an, selbst Heere zu kommandieren – es kam also zu einer Gewichtsverlagerung zwischen Konstantinopel und der Peripherie. Dabei ist allerdings zu beachten, dass Phocas nur deshalb Erfolg hatte, weil Mauricius offensichtlich die Unterstützung weiter Teile der hauptstädtischen Bevölkerung eingebüßt hatte; es waren Angehörige der Zirkusparteien, die den Angreifern die Tore öffneten und damit das Schicksal des bisherigen Kaisers besiegelten. Erst im Anschluss ließ sich Phocas selbst zum neuen Augustus ausrufen.108 Doch davon war man unter Justinian, wie gesagt, noch weit entfernt. Er konnte selbst nach der Krise von 540/41, als sich mit dem katastrophalen Einfall der Perser in Syrien und dem Ausbruch der Pest ein Schatten auf die bis dahin so erfolgreiche Herrschaft des Kaisers gelegt hatte, Belisar im Jahr 542 offenbar noch eine Siegesfeier in Antiochia erlauben, wie Avshalom Laniado unlängst zeigen konnte.109 Bereits am 31. Dezember 535 war Belisar unter dem Vorwand, er feiere lediglich den Ausklang seines Konsulats, als Sieger in Syrakus eingezogen.110 Und der Heermeister Iohannes Troglita durfte 548 eine «triumphale» Siegesfeier über die Mauren in Karthago abhalten (Coripp. Iohann. 6 [5], 58–63): Plausibus assiduis felix Carthago magistro Iustiniana favens geminis excepit in ulnis. Panduntur portae multo iam tempore clausae. Ingreditur victor populo gaudente triumphans rer Kassen sehr freigebig gab. Unabhängig davon, ob meine – letztlich nicht beweisbare – Vermutung zutrifft, ist bemerkenswert, dass man es nicht wagte, Justin II. auch formal zu entmachten. Dies wäre zu dieser Zeit, als man noch nicht (wie dann im 7. Jh.) zum Mittel der Verstümmelung griff (vgl. Börm 2008: 50), wohl nur durch die Tötung des Kaisers möglich gewesen. Vor diesem Schritt schreckte man 574 offensichtlich zurück. 106 Th. Sim. 3, 1, 3–15; Evagr. HE 6, 3f. Der dux Germanus, der gewählte Anführer der Meuterer, wurde von diesen nicht zum Kaiser ausgerufen, sondern fungierte nur als Verhandlungsführer. Er wurde später als Hochverräter verurteilt, aber begnadigt. 107 Th. Sim. 5, 16, 2–4. Vgl. McCormick 1986: 47. 108 Th. Sim. 8, 10, 1–8. Auch als sich Heraclius 608 seinerseits gegen Phocas erhob, ließ er sich in Karthago zunächst gemeinsam mit seinem Vater zum «Konsul» erklären und nahm erst 610 nach dem erfolgreichen Einzug in Konstantinopel die Akklamation als Augustus entgegen: Phocas war zuvor von einer Hofpartei um den curopalatus Photius gestürzt worden; Chron. Pasch ad ann. 610. Heraclius war dabei übrigens der erste Kaiser, der nicht im Hippodrom, sondern in einer Kirche erhoben wurde. 109 Laniado 2010. 110 Prok. Hist. 5, 5, 18f. Justinians Triumph und Belisars Erniedrigung 83 urbem per mediam. Palmas laurosque virentes Sidonii patres referunt. «Das glückliche Carthago Iustiniana zeigte dem Heermeister durch beständigen Applaus seinen Beifall, während es ihn mit offenen Armen empfing. Geöffnet wurden die Tore, die so lange Zeit geschlossen gewesen waren. Unter dem Jubel der Bevölkerung zog der triumphierende Sieger mitten durch die Stadt. Die Ratsherren (patres) der Sidonier überreichten ihm Palmzweige und frische Lorbeeren.» Aber Syrakus, Antiochia und Karthago waren nun einmal nicht Konstantinopel. Und von großen Siegesfeiern kaiserlicher Generäle hören wir überdies, soweit ich sehe, nach 548 nichts mehr. Das muss nicht zwingend heißen, dass es sie nicht gab, denn auch Belisars Parade in Antiochia hat kaum Spuren in der Überlieferung hinterlassen; wir wissen überhaupt nur dank eines juristischen Kommentars von ihr.111 Trotzdem scheint die Annahme erlaubt, dass sich eine der pompa von 534 vergleichbare Zeremonie nicht mehr wiederholt hat. Die Gründe sind unklar. Bereits 540 verzichtete man darauf, den gefangenen Ostgoten Vitigis im Hippodrom zu präsentieren.112 Der adventus,113 den Justinian am 11. August 559 prunkvoll und aus eher nichtigem Anlass abhielt, war ungeachtet zahlreicher «triumphaler» Elemente etwas anderes und zudem stark religiös aufgeladen.114 Offenbar gab es dann allerdings 575 oder 576 noch einmal eine Siegesfeier in Konstantinopel, als Tiberius Constantinus (574 bis 582) Kriegselefanten und weitere Beute präsentiert zu haben scheint, die den Römern in die Hände gefallen waren, nachdem einer großen persischen Armee die Überquerung des Euphrat katastrophal missglückt war.115 Theophylact berichtet davon, dass die kaiserlichen Feldherrn die reiche Beute dem Caesar zugesandt hätten,116 und der Chronist und mutmaßliche Augenzeuge Iohannes von Biclarum spricht in diesem Zusammenhang ausdrücklich von einem Triumph (pro triumpho Constantinopolim dirigit) und gibt knapp an, man habe der hauptstädtischen Bevölkerung 24 Elefanten vorgeführt sowie große Mengen an Beute versteigert.117 Gregor von Tours im fernen Gallien beschreibt eine Goldmünze des Tiberius,118 die eine Quadriga und die Legende gloria Romanorum gezeigt habe;119 111 Codex Coislianus 152 und Codex Parisinus Graecus 1352; vgl. dazu Laniado 2010. Prok. Hist. 7, 1, 3f. 113 Vgl. zum adventus zuletzt MacCormack 1972; Dufraigne 1994; Schneider 2001 und, anhand eines instruktiven Sonderfalls, Vitiello 2005. 114 Const. Porph. de Caer. 1 App. Vgl. Leppin 2011: 321f. 115 Ioh. Eph. HE 6, 8f.; Evagr. HE 5, 14. Vgl. Whitby 1988: 265f. 116 Th. Sim. 3, 14, 10. 117 Ioh. Bicl. ad ann. 575. Vgl. McCormick 1986: 68f. 118 Zu den Kontakten zwischen Ostrom und dem Westen im 6. Jh. vgl. Moorhead 2001: 248–256. 119 Aureus etiam singularum librarum pondere, quos imperatur misit, ostendit, habentes ab una parte iconicam imperatoris pictam et scriptum in circulo: TIBERII CONSTANTINI PERPETUI AUGUSTI; ab alia vero parte habentes quadrigam et ascensorem contenentesque scriptum: GLO112 84 Henning Börm aber von weiteren Details der pompa erfahren wir nichts. Offenkundig fand sie nicht unter Beteiligung des verantwortlichen Feldherrn, des magister militum per Orientem Justinian,120 statt. Von einer durchaus denkbaren Feier aus Anlass des für die Römer sehr vorteilhaften Friedensschlusses mit Persien 591 hören wir, soweit ich sehe, hingegen nichts.121 Da nicht ersichtlich ist, wieso Theophylact einen Triumph des Augustus Mauricius (582 bis 602), des Helden seiner Historien,122 verschwiegen haben sollte, ist wohl anzunehmen, dass nichts dergleichen stattfand. Die Gründe hierfür liegen allerdings im Dunkeln. 3. Ergebnisse Die Siegesfeier des Jahres 534 kann insofern als Triumph bezeichnet werden, als die spätantiken Quellen selbst, ähnlich wie bei den Festlichkeiten, die Kaiser Anastasius im Jahr 498 abhalten ließ, diese Bezeichnung verwenden. Dabei war gebildeten Zeitgenossen wie Prokop und Zosimus durchaus bekannt, wie sehr diese für die Zeit nach 400 typischen pompae von den früheren abwichen. Trotzdem waren sie ebenso wie Priscianus oder Corippus bereit, sie als Triumphe aufzufassen, und folgten damit zweifellos der offiziellen Sichtweise, die übrigens auch nicht mehr zwischen Siegen über externe und interne Feinde unterschieden zu haben scheint. Wenn die Quellen zum 5. und 6. Jh. von triumphus oder ùr›ambo« sprechen, so sollte man dies wohl am besten mit «Siegesfeier» übersetzen, um Missverständnisse zu vermeiden. Wichtiger aber als die Frage, ob die Zeremonie von 534 aus moderner Sicht die Bezeichnung «römischer Triumph» verdient, ist die nach der wirklichen Hauptperson. Mit anderen Worten: Trifft es zu, dass in Gestalt von Belisar erstmals seit Jahrhunder- RIA ROMANORUM; Greg. Tur. Hist. Franc. 6, 2. Es ist mir nicht gelungen, einen solchen Aureus ausfindig zu machen. Wahrscheinlich wurden nur wenige Stücke an ausgewählte Würdenträger ausgegeben. Daran, dass das von Gregor beschriebene Exemplar existiert hat, besteht ungeachtet der etwas ungewöhnlichen Legende kein Zweifel; vgl. ein entsprechendes Beispiel aus der Zeit des Mauricius (Moneta imperii Byzantini Nr. 1; Hendy 1985: Tafel 2.8). Bemerkenswert ist dies auch deshalb, weil man eigentlich um 400 aufgehört hatte, die Triumphquadriga auf Münzen abzubilden, mutmaßlich deshalb, weil die Kaiser nun nicht mehr an den pompae teilnahmen. Ob sich die von Gregor beschriebene Münze – aufgrund des enormen Gewichts muss man von einem Medaillon sprechen – konkret auf den «Triumph» bezieht, ist unklar; da Tiberius Constantinus in der Legende als Augustus bezeichnet wird, muss sie nach 578 gefertigt worden sein. Zu vermuten ist daher, dass nicht auf die Siegesfeier über die Perser, sondern auf das Konsulat des Kaisers 578 (und einen processus consularis?) angespielt wird – noch bis zur Zeit des Heraclius bekleideten die oströmischen Augusti bei Herrschaftsantritt dieses Amt. Ein Untertanenkonsulat gab es hingegen zuletzt 541, vgl. Meier 2002. 120 Dieser Justinian (PLRE III: 744–747) war der jüngere Bruder jenes Justin, den sein Vetter Justin II. bald nach der Thronbesteigung hatte töten lassen (siehe oben). 121 Vgl. zum Frieden von 591 Whitby 1988: 304–307; Greatrex – Lieu 2002: 174f. 122 Vgl. Whitby 1988. Justinians Triumph und Belisars Erniedrigung 85 ten ein Feldherr, der nicht selbst Kaiser war, dieser Ehre teilhaftig wurde, wie man in Anschluss an Prokop immer wieder liest? Zumindest große Zweifel sind angebracht. Der Blick auf die in ihrem Ablauf nicht unähnlichen Zeremonien von 498 und 530 weckt den Verdacht, dass Prokop hier – wie mehrfach in den Historien123 – die Rolle Belisars beschönigt124 und den tatsächlichen Charakter des Geschehens bewusst verschleiert.125 Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass er die Feiern von 530 und 532 ebenso mit Schweigen übergeht wie den Umstand, dass bei der Siegesfeier über die Vandalen nicht Belisar, sondern Justinian den lorus trug, hätte all dies seine Interpretation der Ereignisse von 534 doch allzu fragwürdig erscheinen lassen. Zum einen konnte der aufmerksame Leser der Historien hier Kritik am dominus Justinian entdecken, wie in der Forschung auch bereits gesehen worden ist.126 Zum anderen aber konnte und sollte der Text weniger misstrauische Leser offensichtlich von der Demütigung Belisars ablenken, indem er vorgibt, der Heermeister, nicht der Kaiser, sei der Triumphator über die Vandalen gewesen. Und dies scheint der Hauptzweck der Pas123 In der berühmten Historia Arcana wird Belisar von Prokop scharf angegriffen, doch sollte man sich hüten, diese Position einfach mit Prokops «wahrer Meinung» gleichzusetzen. Existenz und Inhalt des Werkes lassen sich meines Erachtens auch anders erklären; vgl. Börm (in Vorbereitung). Dass Prokop in den Historien – jedenfalls in den ersten Büchern – oft bemüht ist, seinen einstigen Vorgesetzten Belisar nach Kräften zu idealisieren (wenngleich dies keineswegs der einzige Faktor ist, der die Darstellung prägt), zeigt etwa seine Behauptung, der Heermeister sei 531 nicht etwa deshalb abgesetzt und nach Konstantinopel zitiert worden, weil er sich bei Callinicum wenig ruhmreich geschlagen hatte (so Zach. Rhet. HE 9, 17), sondern weil Justinian bereits den Feldzug gegen die Vandalen geplant habe und Belisar instruieren wollte (Prok. Hist. 1, 21, 2); eine sehr durchsichtige Schutzbehauptung. Vgl. allgemein zu Prokops Darstellung der Perserkriege Börm 2007 und Kaldellis 2010. 124 Damit soll nicht bestritten werden, dass sich daneben auch in den Historien immer wieder Elemente und Anspielungen finden, die man als Kritik am mangelnden Widerstand Belisars lesen kann; vgl. Kaldellis 2004: 145f. Man sollte die Vielschichtigkeit und innere Widersprüchlichkeit des Werkes nicht unterschätzen. 125 Einen aktuellen Versuch, Prokops Werk als Ausdruck einer pagan-konservativen Fundamentalopposition zu lesen, stellt Kaldellis 2004 dar (contra Whitby 2007). Kaldellis’ Interpretation ist in vielen Punkten zuzustimmen, doch scheint er mir zum einen teils zu monokausal zu argumentieren und zudem mitunter Verfasser und Erzähler zu verwechseln, zum anderen unterschätzt er meines Erachtens, dass Prokops Technik in den Historien oftmals gerade darin besteht, auf der «Faktenebene» durchaus zuverlässige Informationen zu liefern, die aber irreführend interpretiert werden – so auch im Falle der Siegesfeier von 534. 126 Pazdernik 2006: 200f. betont die Demütigung, die Belisar durch die Proskynese – die Pazdernik allerdings nicht als calcatio colli deutet – widerfuhr. Es sei Prokop darum gegangen, diese den Lesern zu verdeutlichen. Er verweist (wie bereits Rubin 1954: 144) im Zusammenhang der pompa von 534 auf den (sicherlich fiktiven) Brief, den Pharas, ein Anführer herulischer foederati, Prokop zufolge an den belagerten Gelimer sandte: Dieser werde nach der Kapitulation der j÷ndoylo« Belisars sein (Prok. Hist. 4, 6, 17–22). In der Tat ist die Parallele von Prokop sicherlich bewusst konstruiert worden. Wie in den Werken vieler anderer spätantiker Historiker lässt sich in seinen Historien vielfach Kaiserkritik nachweisen (Rubin 1953; Tinnefeld 1971; Signes Codoñer 2003; Börm 2007: 262–268), in seinem Fall aber oft indirekt, da sie sich gegen einen noch lebenden Herrscher richtete; vgl. Börm (in Vorbereitung). 86 Henning Börm sage zu sein: Wäre es Prokop an dieser Stelle nämlich primär darum gegangen, Justinians Despotie zu entlarven, so bliebe unverständlich, wieso er verschweigt, dass in Wahrheit der Kaiser triumphierte und dass allem Anschein nach zudem eine calcatio colli vollzogen wurde – dass Belisar also noch viel stärker gedemütigt wurde, als es Prokop einräumt. Zwar durfte Belisar tatsächlich und ungewöhnlicherweise prominent an der pompa teilnehmen; dies konnte als Ehre und Heraushebung interpretiert werden. Doch indem der Kaiser ihm anschließend zumutete, sich ebenso wie Gelimer als Schutzflehender demütig vor ihm in den Staub zu werfen, wies Justinian seinem Heermeister während der eigentlichen Zeremonie im Hippodrom einen Platz an der Seite des Besiegten zu oder rückte ihn zumindest sehr in dessen Nähe. Er ging damit deutlich über das hinaus, was Augustus einst seinem Adoptivsohn Tiberius zugemutet hatte. Der Mann, dem dieser Triumph gehörte, war nicht Belisar, sondern sein Kaiser, der triumphator omnium gentium. Die Feier diente also letztlich weniger der Erhöhung als vor allem der Erniedrigung Belisars und ist im Kontext der damals seit Jahrzehnten üblichen spätantiken Siegesrituale zu interpretieren. Mit der öffentlichen Demütigung des Heermeisters war die Balance wieder hergestellt, und zur Belohnung erhielt er die Gelegenheit, als Konsul des folgenden Jahres eine eigene «Siegesfeier» zweiter Ordnung abzuhalten. Der Kaiser, konfrontiert mit einem außergewöhnlich ruhmreichen Militär, hatte einen Weg gefunden, diesen in das System zu reintegrieren und seinen Vorrang zu wahren. Dass Justinian in dieser Weise mit einem so überaus erfolgreichen und bei den Truppen beliebten Heermeister umsprang (und umspringen konnte), wirft sodann ein bezeichnendes Licht auf die Machtverhältnisse im Oströmischen Reich. Zum einen war ein Augustus, der die Mehrheit der plebs in der stark befestigten Kaiserstadt am Bosporus hinter sich wusste, fast unangreifbar. Nachdem die Autorität des Kaisertums in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts eine Krisenphase durchgemacht hatte, hatte sich zum anderen spätestens mit Anastasius der Vorrang von Herrscher und Hof gegenüber der militia armata wieder fest etabliert. Nun wurden mitunter sogar zivile Würdenträger wie der magister officiorum als Truppenführer eingesetzt.127 Und obwohl an vielen Fronten gekämpft wurde, kam es bei den Grenzarmeen nicht zu ernsthaften Usurpationsversuchen, denn seit längerem hatte sich die Ansicht durchgesetzt, eine rechtmäßige Kaisererhebung sei nur in Konstantinopel möglich. Der unkriegeri127 So führte zum Beispiel in den Jahren 503 und 504 der magister officiorum Celer erfolgreiche Feldzüge gegen die Perser durch; vgl. Zach. Rhet. HE 7, 5; Theoph. AM 5998. Justinian setzte laut Malalas 528 «Senatoren» als Kommandeure ein, wobei nicht klar ist, ob es sich bei diesen um Männer mit militärischer Erfahrung handelte (Mal. 18, 26). Als eine ganz erhebliche Provokation muss schließlich die Entscheidung des Kaisers gelten, den Eunuchen Narses (PLRE III: 912–928) mit wichtigen Militäroperationen zu betrauen. Einerseits ist es bezeichnend, dass die Soldaten die Entscheidung Justinians augenscheinlich akzeptierten und dem Kastraten willig in die Schlacht folgten, andererseits hatte Narses in den Augen des Kaisers zweifellos den Vorteil, im Unterschied zu Belisar unmöglich selbst nach der Macht greifen zu können. Justinians Triumph und Belisars Erniedrigung 87 sche Palastkaiser Justinian, der sich Ende 534 in der Vorrede des Codex Iustinianus mit gleich acht Siegesbeinamen – Alamannicus, Gothicus, Francicus, Germanicus, Anticus, Alanicus, Vandalicus und Africanus – schmückte und sich zudem als victor und triumphator titulieren ließ,128 konnte daher offensichtlich sämtliche Erfolge seiner Heerführer für sich reklamieren, ohne Widerspruch oder gar Widerstand fürchten zu müssen. Prokop berichtet von einem angeblichen Gespräch zwischen dem Perserkönig Chusro und einem Berater, der diesen davor gewarnt habe, Belisar anzugreifen: Denn da der Heermeister nur ein doÜlo« des Kaisers sei, bringe es dem Großkönig keinen Ruhm, wenn er ihn besiege, aber große Schande, sollte er ihm unterliegen.129 Unabhängig davon, ob diese Geschichte stimmt und Prokop hier versteckte Kritik äußert,130 bleibt doch festzuhalten, dass an der Unterordnung der magistri militum unter Justinian nie ernsthaft gerüttelt wurde. Dass dies keine Selbstverständlichkeit war, lehrt der Blick auf die weströmischen Kaiser: Majorian zum Beispiel hatte 458 seinen Heermeister und patricius Ricimer gegenüber dem Senat sogar als nahezu gleichrangigen Oberbefehlshaber bezeichnen müssen,131 etwas, das Justinian sicher niemals eingefallen wäre. Kamen daher ernsthafte Zweifel an der zumindest äußerlichen Loyalität gegenüber dem oströmischen Herrscher auf, so wurde es gefährlich.132 Doch anders als noch im 5. Jh. wagte zwischen dem Nika-Aufstand und Phocas siebzig Jahre lang kein Militär den entscheidenden Schritt der offenen Usurpation. Und auch in diesen beiden Fällen erfolgte der offene Griff nach dem Purpur erst in dem Moment, als die Prätendenten die Hauptstadt kontrollierten oder dies, wie Hypatius, zumindest annahmen. Es war die von Justinian beanspruchte unbedingte Dominanz des Kaisers, deren Demonstration bei der Siegesfeier des Jahres 534 im Mittelpunkt stand. Justinian, der seine Macht niemals teilte und auch niemals einen Mitkaiser oder Caesar ernannte, 128 Cod. Iust. 1, 17, 2. Justinian stand damit allerdings nicht alleine: Einige Jahre zuvor hatte der weströmische Senator Caecina Mavortius Basilius Decius jene berühmte Inschrift (ILS 827) für Theoderich setzen lassen, in der dieser als victor ac triumfator und domitor gentium (sowie, eine Provokation, als Augustus) bezeichnet wird; vgl. McCormick 1986: 278–280; Haarer 2006: 86. Und auch nach Justinian blieb das Epitheton triumphator üblich, wie beispielsweise die Inschrift an der Basis der Phocas-Säule belegt (ILS 837). Vgl. allgemein zur Kaisertitulatur Rösch 1978. 129 Prok. Hist. 2, 21, 14. Selbstverständlich ist doÜlo« mit «Sklave» nur ungenau übersetzt; der griechische Terminus kann eine Vielzahl von auf unterschiedliche Art «unfreien», abhängigen Menschen bezeichnen. 130 Vgl. Kaldellis 2004: 131. 131 Nov. Maior. 1. Gegen die Annahme, hierin einen Ausdruck von Schwäche zu erkennen, argumentiert Anders 2010: 118f., mit dem Hinweis darauf, der Kaiser habe weiterhin die cura rei militaris innegehabt; die Erwähnung Ricimers sei daher nur eine besondere Ehrung des magister militum. Ich bezweifle allerdings, dass Majorian in einem derart heiklen Punkt ohne Not eine entsprechende Äußerung getan hätte. 132 Vgl. Börm 2010: 172. 88 Henning Börm zeigte der Hauptstadt, dass er alleine über Siegern und Besiegten stand. Dass er diese öffentliche Inszenierung seiner Überlegenheit für notwendig erachtete, belegt natürlich auch, dass er sich bei aller Stärke nicht unangreifbar fühlte und sich, wie letztlich jeder römische Kaiser seit Augustus, grundsätzlich vor allzu erfolgreichen Männern hüten musste. Aber erst während der Herrschaft seines glücklosen Neffen Justin II. scheinen Selbstbewusstsein und Macht der Militärs wieder soweit gewachsen zu sein, dass Feldherrn wie Tiberius Constantinus oder Mauricius es wagten, nach dem Purpur zu streben. Und erst nach 602 wurden wieder Versuche unternommen, gewaltsam, abseits von Konstantinopel und gestützt auf eigene Truppen nach der Macht zu greifen.133 534 aber lagen diese Entwicklungen noch in weiter Ferne. Fachgruppe Geschichte (Abt. Alte Geschichte) Universität Konstanz 78457 Konstanz Henning.Boerm@uni-konstanz.de Literatur Anders, F., 2010. Flavius Ricimer. Macht und Ohnmacht des weströmischen Heermeisters in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts. 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