Rumäniens Justiz im Belagerungszustand

Bukarests Machtelite, wegen Amtsmissbrauch und Korruption im Zwielicht, legt sich mit der Justiz an. Das Opfer ist Rumäniens fragiler Rechtsstaat.

Marco Kauffmann Bossart
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Demonstranten in Rumäniens Hauptstadt Bukarest halten Puppen der führenden Politiker in Gefängniskleidung hoch. (Bild: Stoyan Nenov / Reuters)

Demonstranten in Rumäniens Hauptstadt Bukarest halten Puppen der führenden Politiker in Gefängniskleidung hoch. (Bild: Stoyan Nenov / Reuters)

Der Chef der postsozialistischen Partei PSD, Liviu Dragnea, malte unlängst ein beängstigendes Bild über den Zustand Rumäniens. Ein Staat im Staat, der Mafia ähnlich, versuche auf illegitime Weise, die Macht an sich zu reissen. Er habe schon länger vor der Parallelstruktur gewarnt, doch jetzt träten immer mehr Beweise zutage, erklärte der wegen Wahlmanipulation vorbestrafte Strippenzieher der Regierungspartei.

Als Ausbund des «Deep State» betrachtet Dragnea die Antikorruptionsbehörde DNA. Die von der Europäischen Union hochgelobten Korruptionsjäger haben in den vergangenen fünf Jahren hochrangige Amtsträger angeklagt, unter ihnen ein Regierungschef, fünf Minister, 25 Parlamentarier und Hunderte von Bürgermeistern; viele, aber bei weitem nicht alle mit einem Parteibuch der linkspopulistischen PSD.

Aushebelung der Gewaltenteilung

Seit dem Wahlsieg im Dezember 2016 verfolgt die Koalition aus Postsozialisten und der liberalen Splitterpartei Alde zwei Prioritäten: die Unabhängigkeit der Justiz einzuschränken und die Kriterien für Korruptionsvergehen aufzuweichen. Kernstück ist ein Gesetzespaket, das die Regierung als weitsichtige Justizreform darstellt. Tatsächlich läuft diese aber darauf hinaus, den Strafverfolgern die Flügel zu stutzen.

Zudem würden sich Gewichte innerhalb der Exekutive verschieben. Bei der Ernennung des Generalstaatsanwalts und hoher Richter sollen die Kompetenzen des Justizministers erweitert und jene des Staatschefs beschnitten werden. Letzteres ist insofern von erheblicher Bedeutung, als das vom Volk direkt gewählte Staatsoberhaupt bei Personalfragen im Rechtswesen ein wichtiges Wort mitzureden hat. Gerade im jetzigen Kontext, wo die von den Linkspopulisten geführte Regierung die Justiz bedrängt, funktionierte der bürgerliche Staatschef als Gegengewicht. Klaus Iohannis, der hölzerne Rumäniendeutsche, suchte lange seine Rolle. Seit einem Jahr profiliert er sich als wackerer Verteidiger des Rechtsstaats.

Iohannis entwickelt Format

Am Donnerstag soll Justizminister Tudorel Toader einen kritischen Bericht über die Antikorruptionsbehörde und deren angeblich unhaltbare Ermittlungsmethoden vorstellen. Toader steht offenkundig unter Druck seiner Partei, die Absetzung von DNA-Chefin Laura Kövesi zu verlangen. Iohannis betonte vorweg, er sehe keinen Grund, die Amtsinhaberin zu entlassen. Es würde ihn erstaunen, wenn ihn der Justizminister vom Gegenteil überzeugen könnte. Trocken merkte Iohannis an, die Anschuldigungen gegen die Chefanklägerin stammten von Personen, die selber mit dem Gesetz in Konflikt ständen.

Der Seitenhieb galt dem Führungsduo der Koalition: Calin Popescu Tariceanu, in Personalunion Vorsitzender der liberalen Kleinpartei Alde und Senatspräsident, steht wegen Meineids vor Gericht. Liviu Dragnea, wegen seiner Vorstrafe vom Amt des Ministerpräsidenten ausgeschlossen, muss sich abermals vor Gericht verantworten, diesmal wegen Gründung einer kriminellen Organisation. Die DNA wirft ihm vor, als Vorsitzender des Regionalparlaments im Bezirk Teleorman zwischen 2002 und 2009 EU-Subventionen von über 20 Millionen Euro veruntreut zu haben. Dragneas Wehklagen, er sei das Opfer einer politisch motivierten Kampagne, wirken wenig plausibel. Die belastenden Indizien für die mutmasslichen Unregelmässigkeiten in Dragneas Fürstentum lieferte das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung.

Niemand behauptet derweil, die Antikorruptionsbehörde DNA arbeite fehlerfrei – nicht einmal die Oberstaatsanwältin Kövesi selber. An einer Medienkonferenz ging sie unlängst auf verschiedene Anwürfe ein und erläuterte, dass wiederholt Staatsanwälte wegen Unregelmässigkeiten ihres Amtes enthoben worden seien. Auch untersuche der Hohe Justizrat, das höchste unabhängige Gremium der rumänischen Judikative, die Behauptung, eine der 41 DNA-Zweigstellen habe Beweise konstruiert.

Das vom Präsidenten der Regierungspartei, Liviu Dragnea, skizzierte Zerrbild, wonach rechtschaffene Rumänen von einer ausser Rand und Band geratenen Justiz drangsaliert würden, verbreiten die beiden Fernsehsender Antena 3 und Romania TV. Wenig erstaunlich: Einige ihrer Eigentümer sitzen wegen Korruption selber im Gefängnis. Ohne auch nur den Anschein einer differenzierten Berichterstattung zu erwecken, tischen die von ihnen kontrollierten Medien krude Verschwörungstheorien auf. Oppositionsparteien und NGO, die sich hinter Kövesi stellen, werden von den Kampagnensendern als Geldempfänger des amerikanischen Financiers George Soros diffamiert. Beweise legen sie keine vor, doch Soros' ungarisch-jüdische Herkunft machen den streitbaren Demokratieaktivisten wie in anderen osteuropäischen Staaten zum idealen Angriffsziel.

Unter der Wahrnehmungsschwelle

Der bürgerliche Staatspräsident Iohannis hat allerdings wenig Handhabe und kann den umstrittenen Umbau der Justiz, gegen den Hunderttausende in ganz Rumänien demonstrierten, bloss verzögern. Mit ihrer Mehrheit im Parlament brachten die Koalitionäre die Vorlage problemlos durch die Legislative. Das PSD-nahe Verfassungsgericht hält die wesentlichen Modifikationen zudem allem Anschein nach für verfassungskonform.

Die Bürgerbewegung «Initiativa Romania», der Juristen und Vertreter anderer Berufsgruppen angehören, warnt derweil vor einem Rückfall des rumänischen Justizsystems in die Zeit vor dem EU-Beitritt im Jahr 2007. Wie in Bulgarien steht der Rechtsstaat in Rumänien unter besonderer Beobachtung der EU-Kommission. Damit soll sichergestellt werden, dass beim Beitritt bestehende Unzulänglichkeiten tatsächlich behoben werden. Kövesis schlagkräftige Truppe kam schneller voran als von vielen Beobachtern erwartet.

Der nun von Dragnea angeführte Angriff auf die Gewaltenteilung brachte Bukarest bis anhin bloss Ermahnungen aus der EU-Zentrale ein. Von seinem Weg liess sich der Schattenregierungschef, der das Kabinett über ihm ergebene Parteileute leitet, nicht abbringen. Anders als Polen und Ungarn, wo eine lärmige Machtelite offen gegen Brüssel aufbegehrt und mit xenophoben Tönen erschreckt, fällt Dragneas Wirken weniger auf. Das macht die Entwicklung in Rumänien aber nicht weniger beunruhigend.