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Ingenieure des Todes

In mehr als 20 Ländern jagen Ermittler jene Männer, die auch skrupellose Diktatoren mit Atomtechnik beliefern. Zu den Hauptverdächtigen gehören deutsche Experten.
Von Jürgen Dahlkamp, Georg Mascolo und Holger Stark
aus DER SPIEGEL 7/2005

Den Ort gab es früher gar nicht, offiziell zumindest, er ist bis heute auch auf keiner Straßenkarte verzeichnet. Der Ort heißt Pelindaba, was in der Sprache der Zulus »Schweig!« bedeutet. Es ist jener Ort, an dem das Apartheid-Regime von Südafrika lange versucht hat, seine eigene Atombombe zu bauen. Sperrbezirk, immer noch.

Es geht mit dem Auto einen Berg hinauf, bis zu einer Schranke, an der bewaffnete Wächter stehen; dann weiter, hinein in ein riesiges Areal. Die Straße schlängelt sich durch die Hügel, vorbei an Schornsteinen, vorbei an Fabrikhallen. Es geht bis zu einem schmutzig-braunen Klotz, 20 Meter hoch, 200 Meter breit. Der Klotz heißt »Area 26« - der Name für den derzeit geheimsten Komplex in Pelindaba.

Area 26 ist so etwas wie das Herz der Finsternis, der Ort, an dem internationale Experten nachvollziehen können, wozu der pakistanische Wissenschaftler Dr. Abdul Qadir Khan fähig war. Als Vater der pakistanischen Atombombe war er zum Nationalhelden geworden. Dann begann er, einen Schwarzmarkt für Diktaturen in aller Welt aufzuziehen, mit einem Netzwerk von Zulieferern. Jahrzehntelang hat er produzieren lassen.

Im Dezember 2003 aber ist etwas passiert, was in diesem Geschäft noch nie passiert ist: Ein Kunde hat geplaudert, in Panik. Libyen deckte sein Atomwaffenprogramm auf, aus Angst vor den Amerikanern, nachdem im italienischen Taranto im Oktober 2003 das deutsche Frachtschiff »BBC China« mit einer Ladung Atombombenbedarf für den Wüstenstaat an die Kette gelegt worden war. Kurz danach gestand auch

Khan, seitdem scheint der Supermarkt des Schreckens geschlossen - und seitdem versuchen Ermittler aus mehr als 20 Ländern festzustellen, wer mitgemacht hat. Wer verdienen wollte, selbst wenn es das Leben der halben Menschheit gekostet hätte. Und einer der Plätze, an dem die Fahnder das Puzzle zusammensetzen, ist Area 26.

Draußen, auf einem Platz vor der Halle, liegen zwei Berge mit merkwürdigen Rohren, jedes so glänzend, als wäre es mit Stahlfix poliert worden. Und in der Halle, hinter einer Tür mit einem gelben Atomwarnschild, liegt das, was eine südafrikanische Spezialeinheit der Polizei im vergangenen September auf einem Fabrikgelände südlich von Johannesburg beschlagnahmt hat. Der Inhalt von elf Containern, Bestimmungsort: Libyen, Bestimmungszweck: eine Atombombe für Muammar al-Gaddafi.

In Area 26 arbeitet derzeit eine internationale Gruppe von Ermittlern - Südafrikaner, Amerikaner, kürzlich waren auch Deutsche da. Die Frage, die sie sich stellen, ist, wie knapp die Welt noch mal davongekommen ist. Und dass am Komplex Pelindaba auch deutsche Fachleute arbeiten, liegt daran, dass Deutsche mal wieder beteiligt waren am illegalen Aufrüsten in aller Welt: Die Bundesrepublik, so viel steht fest, spielt bei der Aufklärung des Netzes der Atomschmuggler eine bedeutende Rolle; in Deutschland sitzt einer der Hauptverdächtigen, ein Schweizer, in Haft. Und

zwei Deutsche stehen unter Verdacht, in dem Netz an wichtigen Knotenstellen gesessen zu haben.

Die Amerikaner, die Briten, vor allem aber die Internationale Atomenergiebehörde IAEA in Wien, sie alle hoffen darauf, dass die deutschen Ermittler von Generalbundesanwalt Kay Nehm tiefer in die Verflechtungen hineinleuchten können als sie selbst. Sowohl Khan als auch sein Chefeinkäufer, der Sri-Lanker Buhary Seyed Abu Tahir, haben zwar umfassend ausgepackt - was genau, wissen westliche Ermittler aber nicht. Denn Khan steht unter dem persönlichen Schutz von Pakistans Staatspräsident Pervez Musharraf; es gilt als ausgeschlossen, dass der Mann in einem Militärstaat wie Pakistan die Technologie ohne Wissen der Staatsführung exportieren konnte.

Nicht besser sieht es in Malaysia aus: Das Rechtshilfeersuchen des Generalbundesanwaltes beispielsweise haben die Malaysier bis heute nicht mal beantwortet.

So bleibt noch sehr viel offen, und dazu gehört zum einen die Frage, was Khan getan hat, damit auch Diktator Kim Jong Il eine Bombe für sein Hungerland Nordkorea bauen konnte. Dass Khan half, soll er jedenfalls eingestanden haben. Noch dringender aber suchen die Fahnder die Antwort auf die Frage, ob noch ein anderes Regime längst das Zeug zur Weltvernichtung hat, ohne dass es einer ahnt. Was hat es etwa mit Khans Reisen in Länder wie Ägypten oder Saudi-Arabien auf sich? Gab es weitere Kunden? Die Antwort auf diese Frage suchen Fahnder nun bei zwei Deutschen, die schon seit Jahrzehnten als Zulieferer für geheime Atomprogramme unterwegs gewesen sein sollen, ohne dass deutsche Strafverfolger sie je wirksam daran gehindert hätten.

GOTTHARD LERCH

Grabs, das ist einer dieser Schweizer Alpen-Orte, die so aussehen, als hätte der liebe Gott eine Sonderbriefmarke in die Landschaft geklebt. Außen liegt der Zackenrand der Alvier-Gipfel, in der Mitte ein kleiner Flecken, wie gemalt.

Und in dieser Idylle wohnt Gotthard Lerch, 62, deutscher Ingenieur, verheiratet, zwei Kinder - für die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ein Mann, der die »atomare Katastrophe in Kauf nimmt«. Lerch, so steht es jedenfalls im Haftbefehl des Bundesgerichtshofs vom 11. November vergangenen Jahres, habe Libyen mutmaßlich beim Bau von Gasultrazentrifugen (GUZ) geholfen, also bei der Schlüsseltechnik auf dem Weg vom Klumpen Uran zum spaltbaren Uranisotop 235: U 235 - der Stoff, aus dem die Bombe ist.

Es geht für die Ermittler jetzt erst mal um dieses Geschäft, um Treffpunkte, Zeiträume, Namen - vier Computer mit 51 000 Dokumenten haben sie bei Lerch beschlagnahmt. In Wahrheit aber geht es um mehr: um die eigene Vergangenheit, um erfolglose Jagden auf den Herrn aus Grabs, der Fahndern schon seit Jahrzehnten als Händler des Todes gilt.

Lerchs Haus in Grabs wirkt wie der Versuch, Wohlstand und Anstand gleichermaßen zu zeigen: Groß ist dieses Haus, und es liegt am teuersten Hang, aber der Eingang ist dekoriert mit kleinbürgerlichem Nippes, einer Igelfamilie aus Ton, einem Kranz mit weinroter Schleife.

Auf der Fußmatte mit zwei Enten putzte sich auch Gotthard Lerch bis vor kurzem die Schuhe ab, wenn er nach Hause kam, von seinen Reisen nach Dubai oder Südafrika, und teilt man den Verdacht der deutschen Bundesanwaltschaft, dann hatte er nach solchen Reisen immer besonders viel Dreck am Stecken. So viel, dass er seit dem 16. November in Auslieferungshaft sitzt, auf Antrag der Deutschen.

Lerch soll zum Old-Boys-Network gehören, jenem Geflecht des Dr. Khan, das nun ans Licht gekommen ist - ein Netzwerk aus alten Freunden und Vertrauten, aus Vätern und Söhnen, aus Männern, die sich schweigend verstanden und aufs Schweigen verstanden. Seit Jahrzehnten.

Lerchs Spuren in deutschen Ermittlungsakten führen zurück bis in die späten Siebziger. Damals ist er gerade Mitte dreißig, hat Maschinenbau studiert und seinen ersten Stellenwechsel hinter sich: Bei Dornier, dem Flugzeugbauer, hat er 1967 und 1968 auch an der Entwicklung von Gasultrazentrifugen gearbeitet. Es ist jene Technik, die ihn so interessant macht - später für Khan, erst mal aber, 1971, für die Hanauer Firma Leybold-Heräus.

LH, so das Firmenkürzel, dominiert zu dieser Zeit in Europa den Markt für Vakuumapparate. Zu denen gehören auch die Zentrifugen, mit denen sich die Bestandteile von Gasen aller Art trennen lassen. Zum Beispiel von Uranhexafluorid, das beim Schleudern in schwere und leichte Uranteilchen zerfällt.

Deshalb verbieten internationale Abkommen die Weitergabe von GUZ-Technik zum Bombenbau. In Deutschland kann der illegale Export sogar als Landesverrat gelten. Etwas anderes schützt die Welt besser vor skrupellosen Bombenbastlern: Das Verfahren ist unglaublich kompliziert. Die Technik beherrschen nur wenige Unternehmen, und in den Unternehmen nur wenige Experten. Lerch gehört dazu.

Bei Leybold steigt er bald zum Bereichsleiter auf, Spezialgebiet: kerntechnische Anlagen. Schon 1979, als sich Beamte des Wirtschaftsministeriums besorgt nach Leybold-Geschäften erkundigen, erklärt Lerch, dass seine Firma Ventile, Vakuumpumpen, und eine Gasreinigungsanlage für 1,3 Millionen Mark nach Pakistan geliefert habe. Darunter das eine oder andere, was »für die Verwendung in einer Anreicherungsanlage umgebaut werden könnte«, wie die Ausfuhrkontrolleure notierten. Und nach 1983 füllen schließlich Ermittlungsakten über Lerch ganze Regale.

Der Vorwurf: Lerch soll hochgeheime Konstruktionspläne des europäischen Urananreicherungs-Programms in die Schweiz geschmuggelt haben. Zwei Jahre später später wird tonnenweise Gerät Richtung Pakistan geliefert, das aussieht, wie nach den Blaupausen gebaut. Lediglich drei große Hochdruckbehälter, sogenannte Autoklaven, kann der Schweizer Zoll damals noch abfangen.

Mehr als ein Jahr dauert es, bis die Kölner Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Lerch aufnimmt, doch 1992 geben die Fahnder wieder auf: Einige Vorwürfe sind verjährt, bei anderen scheitern die Ermittler auch deshalb, weil die Schweizer keine Informationen liefern.

DIE TINNERS

Netzwerk? Welches Netzwerk? Es gibt kein Netzwerk, sagt Lerchs Zürcher Anwalt Adrian Bachmann. Sein Mandant sei ein »unbescholtener Bürger«.

Netzwerk? Hat es nie gegeben, behaupten auch die anderen, die nun irgendwo auf der Welt im Gefängnis sitzen, unter Hausarrest stehen oder frei sind auf Kaution.

Ob er vielleicht die Tinners kenne?, fragte der Schweizer Staatsanwalt Andreas Keller den Beschuldigten Lerch etwa, als er ihn im September für die deutschen Fahnder vernahm. Familie Tinner? »Nein, kenne ich nicht«, sagte Lerch, zumindest nicht persönlich.

Kein Mitglied der Familie Tinner will er gesehen, getroffen, gekannt haben. Obwohl die Tinners nur sieben Kilometer entfernt im Dorf Haag wohnen. Und obwohl der Sohn Urs Tinner seit dem 7. Oktober 2004 in Rheinbach bei Bonn in Haft sitzt, weil er - wie Lerch - für Khans Atommafia gearbeitet haben soll, in einer Fabrik in Malaysia. Und obwohl der Vater Friedrich Tinner seit Jahrzehnten im Geschäft mit Vakuumtechnologie ist, anfangs als Exportleiter der Schweizer Firma »Vakuum-Apparate-Technik« (VAT), bei der Khans Beschaffer in den Siebzigern Ventile einkauften, angeblich mit Lerchs Hilfe.

Tinner senior spricht nicht mit dem SPIEGEL, sicher ist nur, dass er 1981, nach seinem überstürzten Abschied von VAT, selbst eine Firma gründete, die Cetec AG, spezialisiert auf Ventile. Ein Schweizer Unternehmen, das nicht genannt werden möchte, aber ebenfalls Ventile herstellt, will die Cetec allerdings nie als Konkurrenten wahrgenommen haben: »Die haben wir auf dem Heimatmarkt nie gespürt; möglicherweise gab es da andere Geschäftsfelder.«

Vor allem ferne. Besuch bei der Firma PhiTec, ehemals Cetec: Der Sohn Marco Tinner ist nicht zu sprechen - angeblich in Amerika. Der Bruder Urs - unabkömmlich in Deutschland, Haftanstalt Rheinbach.

Die Tinners halten sich sehr bedeckt, nicht mal der Chef der Fensterbaufirma gleich nebenan weiß, was bei der PhiTec so gebaut wird: »Wir hatten schon vorher so wenig Kontakt zu ihnen, dass man sich jetzt nicht mal distanzieren kann.«

Früher, da war das mal anders, da gehörten die Tinners in Haag zur Honoratiorenschaft. Bis Ende 1996 war Friedrich Tinner Korporationspräsident von Haag, zuständig für Strom- und Wasserversorgung. Und seine Frau Hedwig führte jahrelang den Kirchenvorstand. Seit aber Sohn Urs festgenommen wurde, geht sie angeblich nicht mal mehr zu den Proben des Kirchenchors.

Dabei hat Urs Tinner in Malaysia, bei jener Firma, die einen guten Teil der Gerätschaften für Libyen herstellte, eigentlich nur mit Zahlen und Formeln gearbeitet, so sagt er. Einen Businessplan habe er aufgestellt, eine Werkstatt ausgerüstet, die Produktion überwacht, kleine Dreh- und Frästeile, ein gutes Dutzend Typen, bis 200 Millimeter Durchmesser. Und nun wundert er sich, dass den anderen das Verständnis fehlt - »die anderen«, das ist in diesem Fall die Weltöffentlichkeit.

Im Jahr 2001 beginnt er seine Arbeit in Südostasien, produziert wird für die libysche Bombe. Die Methode ist offenbar die übliche: Das Atomkartell sucht sich eine Firma, bringt ihr einen Auftrag und schickt gleich einen Aufpasser mit, der die Produktion überwacht. Hier in Malaysia heißt die Firma Scomi Precision Engineering, kurz Scope.

Urs Tinner sagt, er habe keine Ahnung gehabt, wofür die Ware denn gedacht gewesen sei, so etwas könne man ja für alles verwenden, vom »Briefbeschwerer bis zum Automobilbau«.

Die Version der Fahnder ist dagegen nachzulesen in einem Ermittlungsbericht der malaysischen Polizei, im Wesentlichen die Kurzfassung eines Geständnisses, das der Chefeinkäufer Khans, der Sri-Lanker Tahir abgelegt hat. Und dieser Tahir sagt: Tinner sei sein Mann bei Scope gewesen. Verantwortlich für die Drehbänke, die eigens

importiert und eingerichtet werden mussten.

Als Urs Tinner im November 2003 das Land verließ, soll anschließend auch die Festplatte des Firmencomputers gefehlt haben, ebenso seine Personalakte. Für die malaysischen Behörden ein klarer Fall: Tinner wollte verschwinden, spurlos, und das kurz nachdem im italienischen Taranto im Herbst 2003 die Schiffsladung für Libyen aufgeflogen war: sechs Container Zentrifugentechnik, die meisten verpackt in Holzkisten mit dem Aufdruck »Scope«.

Tahir hat gestanden, in den Scope-Kisten sei ein Teil der Werkstücke gewesen, die Tinner für ihn in Malaysia habe bauen lassen. Angeblich sollen sie in vier Fuhren Richtung Libyen gegangen sein.

GERHARD WISSER

Lerch, die Tinners - der Nächste im Bund der Atomschmuggler soll der Deutsche Gerhard Wisser sein. Deshalb nahmen ihn Fahnder am 25. August vergangenen Jahres in Aachen fest - und nach seiner Freilassung, gegen 100 000 Euro auf Kaution, die Südafrikaner gleich noch einmal (SPIEGEL 39/2004). Jetzt steht Wisser unter Hausarrest, in seiner Luxusvilla in Bryanston bei Johannesburg, und sagt, was auch Tinner sagt: Er habe nichts gewusst.

Dieser Gerhard Wisser, 65, deutscher Ingenieur mit Wohnsitz in Südafrika, erzählte früher gern aus seinem aufregenden Leben, und seine Angestellten bei Krisch Engineering in Randburg, Südafrika, dachten dann oft: »Ach, der Chef redet wieder groß.«

Heute aber wissen sie es besser - die beste Geschichte hat ihnen Wisser noch nicht einmal erzählt: Wisser soll dafür verantwortlich sein, dass sich das weltweite Netz bis nach Südafrika spannte. So wie Urs Tinner in Malaysia die Produktion überwachte, so Wisser angeblich bei einer Firma am Kap, die nach Ansicht der Fahnder ebenfalls für die libysche Bombe fertigte. 850 000 Euro hat er bei dem Geschäft von Khans rechter Hand Tahir bekommen, so viel steht fest. Und der Mann, der ihn ins Geschäft brachte, soll einer seiner ältesten Freunde gewesen sein: Gotthard Lerch, der Ingenieur mit der getöpferten Igel-Familie vor der Tür im fernen Grabs.

Nähe wird bei diesen Verbindungen offenbar nicht in Kilometern gemessen, sondern in gemeinsamen Jahren im Atomgeschäft. Wisser und Lerch haben mehr als 20 davon.

Für 100 Millionen Rand, heute umgerechnet 12,7 Millionen Euro, so wollen es südafrikanische Zeitungen wissen, habe das Apartheid-Regime in den siebziger Jahren Atomtechnik bei der Wisser-Firma Krisch eingekauft, die damals schon die Generalvertretung für Leybold in dem Land hatte. »Das kann schon sein«, sagt Wisser, so genau kenne er die Zahl nicht mehr, eines aber habe er garantiert nicht getan: für das Atomwaffenprogramm geliefert. Es sei damals immer nur um Kernkraftwerke gegangen.

Merkwürdig: Am 22. Oktober 1984 stellte er bei der südafrikanischen Polizei den Antrag, neben einer Walther-PPK-Pistole 7,65 mm noch eine halbautomatische Herstal 9 mm besitzen zu dürfen. Die Begründung: »Ich trage oft höchstvertrauliche und als geheim eingestufte Dokumente mit mir herum, seit wir eine sehr intensive Zusammenarbeit sowohl mit der Atomindustrie als auch mit der Waffenindustrie in diesem Land haben.«

Dann aber stoppte Südafrika alle Arbeiten an der Supermacht-Munition, zerstörte kurz vorm Ende des Apartheid-Regimes sechs Bomben, die schon fertig produziert waren. Was nun? Die Ermittler glauben, dass Wisser sein Wissen über die Vakuumtechnik weiter vergolden wollte, dass er weitermachte, als freier Händler auf dem Schwarzmarkt des Dr. Khan.

Dafür spricht zumindest der Luxus, mit dem er auch weiterhin sein Leben garnieren konnte. Zurzeit fährt er einen Toyota Land Cruiser und einen BMW 540, in der Krisch-Firmengarage steht ein Mercedes SL 600 V12; in Deutschland, nun allerdings von der Polizei beschlagnahmt, lenkte er einen Mercedes 500 und einen Neun-Elfer Porsche - eine Aufzählung ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Als die Polizei Wisser festnehmen wollte, traf sie ihn nicht zu Hause in der Luxusvilla in Bryanston an, sondern in Durban, im 34. Stock des Maluti-Komplexes, den die Hausverwaltung als »prestigeträchtiges Gebäude mit luxuriösen Privatappartements« anpreist. Die 34. Etage ist das Penthouse, mit Blick auf eine Bucht, die aus gutem Grund »Bay of Plenty« heißt: ein 100 Meter breiter Sandstrand mit Palmen am Indischen Ozean. Die 34. Etage in dieser Traumlage schätzen Kenner auf fünf bis sechs Millionen Rand, mindestens. Das gehöre ihm ja gar nicht, argumentiert Wisser, er habe dort nur lebenslanges Wohnrecht. Der wahre Eigentümer, das sei vielmehr Gotthard Lerch.

Ein Indiz für die Atomconnection? Unsinn, sagt Wisser. Atomschmuggel, das sei nun wirklich nicht seine Art von Geschäft, »das schwöre ich bei Gott«.

Es soll denn auch ein Arthroseleiden gewesen sein, das Wisser, vermutlich im Jahr 2001, ins warme Dubai führte, der Hüftknochen zuliebe. Wo er dann von einem reichen Kaufmann zum Dinner eingeladen worden sei, genauso wie Lerch, aber ohne dass sie vorher gewusst hätten, dass der andere ebenfalls kommen würde. Und bei dem Essen habe auch der Chefeinkäufer Khans mit am Tisch gesessen. Alles Zufall.

An jenem Abend, so Wisser, habe ihn Tahir gefragt, ob die Firma Krisch für ihn

ein Rohrsystem bauen könne - das also war der Beginn jenes Auftrags, der in Pelindaba endete, auf Area 26. Weil er dringend Geld brauchte, habe er sich breitschlagen lassen.

Nach dem Dubai-Trip fiel ihm auch gleich ein Unternehmen ein: die Tradefin, unten im südafrikanischen Vanderbijlpark, ein Metallbauer, spezialisiert auf Vakuumtechnik. Dessen Chef Johan Meyer hatte gelegentlich nachgefragt, ob die Krisch Engineering nicht ein paar Aufträge für ihn habe. Und dann, sagt Wisser, habe er Tahir eben diese Tradefin genannt. Danach habe Tahir dem Krisch-Ingenieur Daniel Geiges auch irgendwelche Pläne geschickt, in die Wisser selbst aber gar nicht hineingeschaut haben will, und damit habe die Tradefin schließlich gearbeitet. Das sei es im Grunde auch schon gewesen: eine Kontaktvermittlung, mehr nicht. Für eine Million Euro, von denen am Ende 850 000 bei Wisser hängen blieben.

Die ermittelnden Bundesanwälte hielten nach einem Verhör fest, Wissers Darstellung sei in mehreren Punkten »unplausibel«. Mit seiner langjährigen Erfahrung habe Wisser sicher gewusst, dass die Anlage für die Urananreicherung gebaut werde. Außerdem: eine Million Euro, da müsse doch auch Wisser klar gewesen sein, dass man niemals so viel Geld für eine Kontaktanbahnung bekomme, wenn an der Sache nicht etwas krumm sei.

Seitdem hat sich in Deutschland, der Schweiz und in Malaysia, wo Tahir festsitzt, ein Spiel über Bande entwickelt, wie es die Ermittler lieben: Die mutmaßlichen Händler des Todes, nach Jahren der Gewöhnung an Chateauneuf und Chateaubriand den Entbehrungen einer Haft nicht gewachsen, beginnen, sich gegenseitig zu beschuldigen.

So wie Tahir, der Lerch als ständigen Khan-Zulieferer anschwärzte - und Urs Tinner als Aufpasser bei Scope in Malaysia. Auch Tradefin-Chef Meyer kennt keine Hemmungen mehr: Gegen Wisser hat er so schonungslos ausgepackt, dass er in Südafrika als Zeuge der Anklage jetzt Amnestie bekommen soll.

Und die Familie Tinner, so heißt es in einem Aktenvermerk der Bundesanwaltschaft vom 2. Juli 2004, sei die Quelle für eine Information, die nun auch im deutschen Haftbefehl gegen Lerch auftaucht: Lerch habe Trainingskurse für libysche Bombenbauer organisiert, in Dubai, Spanien, der Türkei und Südafrika.

»Beweismittel vom Hörensagen, über sieben Ecken zusammengeklaubt«, nennt Lerchs Zürcher Anwalt Adrian Bachmann so etwas. Mit einem rechtsstaatlichen Verfahren habe das nichts mehr zu tun. Offenbar wollten die Ermittler nur eines: dass auch Lerch auspacke. Der aber könne nicht, weil es nichts auszupacken gebe. Bei dem angeblich so entscheidenden Diner in Dubai zum Beispiel, da sei Lerch nicht mal dabei gewesen.

Die Fahnder sammeln alles; am Ende könnte dann eine Anklage stehen, wonach alle schuldig sind: Lerch als Einfädler, Wisser als Überwacher, Meyer als Ausführender.

Der Erste, der seine Haut retten wollte, war Meyer, der Tradefin-Chef. Am 2. September hatte die südafrikanische Polizei ihn festgenommen. In der mittleren Halle seiner Firma, hinten an der Wand, standen elf Seecontainer mit 200 Tonnen Gerät, fertig zum Verschiffen. Die Akten, die den Ermittlern dazu in die Hände fielen, enthielten Daten für eine Anlage mit 1000 Gasultrazentrifugen, Konstruktionszeichnungen für Autoklaven, ziemlich genau jenen, die auch in den Containern lagen. Und dann fand die Polizei auch noch Ein- und Ausfuhrpapiere für eine Drehbank des Typs »Denn RL 400/2«. Die Papiere elektrisierten die Fahnder, weil sie überzeugt sind, genau diese Drehbank sehr gut zu kennen: Eine »Denn« fanden die Amerikaner auch in Libyen, nachdem Gaddafi ihnen Zutritt zu seinen Anlagen gewährt hatte.

Meyer gab im Verhör gleich alles zu: dass er genau wusste, worum es ging, sowie angeblich auch Wisser. Der sei immer dann vorbeigekommen, wenn es größere Probleme gegeben habe. Und die Drehbank, die habe Wisser auch importiert, natürlich sei die für den Bau der Zentrifugenteile gedacht gewesen.

»Ich habe nichts Illegales gemacht, ich wusste von nichts«, sagt Wisser hingegen. Meyer, der wolle sich doch nur freikaufen, mit einem Haufen Lügen über ihn.

Im April oder Mai 2003, die Produktion war fast abgeschlossen, schickte ihnen Tahir zwei Inspekteure, die sich die Ware ansehen sollten. Und dann sei plötzlich eine große Überweisung bei Meyer eingegangen, aus Libyen. Aus Libyen! Danach habe Tahir sich bei Meyer gemeldet und angekündigt, die ganze Fabrik solle in ein Lager nach Mosambik verschifft werden. Schnellstens!

Da endlich will es Wisser mit der Angst zu tun bekommen und Meyer bedrängt haben, die ganze Anlage einzuschmelzen, die Pläne »auf ein großes Osterfeuer zu werfen«. Auch Meyer habe eingesehen, dass man die Ware besser nicht exportieren solle, aber zerstören? Schließlich habe ja einer dafür bezahlt. So blieb es laut Wisser dabei, dass Pläne vernichtet wurden, die Anlage aber bei Tradefin stehen blieb.

Die Ermittler glauben dagegen, dass die Frachtboxen nur deshalb nicht mehr vom Hof gingen, weil nach der Entdeckung der »BBC China« allen klar gewesen sei, dass sie nicht mehr heimlich nach Libyen liefern könnten.

Soll man Wissers Beteuerungen, so sei es nicht gewesen, wirklich glauben? Er selbst ohne Ahnung, worum es ging; Lerch dagegen

der Mann, der »garantiert in das Projekt involviert war«, wie Wisser behauptet?

So unbeteiligt, wie der Mann in Südafrika jetzt tut, kann er kaum gewesen sein. Aus beschlagnahmten Papieren geht zum Beispiel hervor, dass Wisser-Mitarbeiter Geiges im Dezember 2000 den Import der Drehbank organisiert hat, die später wieder in Libyen aufgetaucht sein soll. Und als die Maschine außer Landes ging, bekam Wisser von Tradefin die Daten der Transaktion zugeschickt ("Betreff: Kosten der Drehbank"). Warum, wenn Wisser doch angeblich »von der Drehbank nichts weiß«?

Dazu kommt noch eine Aussage, die Wisser wohl am schwersten belastet. Sie stammt von André S., Chef einer Ingenieurfirma, der die Armaturen für die Anlage bauen sollte. Zweimal habe er Wisser getroffen: zum ersten Mal, als Wisser in sein Büro gekommen sei, um sich die geplanten Anzeigegeräte erklären zu lassen. Wisser selbst habe dann entschieden, es so zu machen, wie S. es vorgeschlagen habe. Anschließend noch einmal bei Krisch; da sei es um ein technisches Problem gegangen, und Wisser habe die Sitzung geleitet.

OLD BOYS

Lerch, Wisser, Tinner: Es gab Zeiten, da kam es den Ermittlern so vor, als spielten die drei mit dem Staat und den Behörden. Sie spielten hart am Rande der Legalität, und weil sie ausgekocht waren, gewannen sie ihre Spiele.

Heute sitzt Lerch in seiner Zelle in Altstätten, sein Anwalt Bachmann beklagt sich, wie die deutschen Ermittlungsbehörden vorgingen, das sei doch nicht fair. Die wollten einem alten Mann die Handschellen anlegen, und dazu sei ihnen jedes Mittel recht: Wie solle man sich schließlich wehren gegen Vorwürfe, so unbestimmt, dass es nicht mal einen genauen Tatort, eine genaue Tatzeit gebe, für die man ein Alibi finden könne.

Tatsächlich ist der Haftbefehl, was konkrete Angaben zu Treffpunkten oder Absprachen angeht, so dünn, dass das Schweizer Bundesamt für Justiz das deutsche Bundesjustizministerium mit Schreiben vom 11. Januar »dringend« aufforderte, eine »detaillierte Sachverhaltsdarstellung« und die »Tatzeit betreffend Vorwurf der Ausbildung libyscher Techniker« nachzuliefern.

Die deutsche Bundesanwaltschaft nannte neue Daten: Treffen von Wisser und Lerch im August 2001 und Dezember 2002 in Südafrika, angebliche Ausbildung von Libyern durch Lerch in Spanien im Oktober 2000, im Juli 2001 und im »April/Mai und Mai/Juni 2002«. Bei diesen Gelegenheiten soll er sieben Gruppen libyscher Techniker in »Gebrauch und Wartung spezieller Form-, Fräs-, Säge-, Schweiß-, Bohr-, Dreh- und Schleifmaschinen« unterwiesen haben. Alles aus der Luft gegriffen, sagt Lerchs Anwalt.

So wird es also wieder schwer für die deutschen Ermittler. Und dass die Schweizer Lerch ausliefern werden, erscheint ihnen mittlerweile selbst als ziemlich zweifelhaft. Ganz ausschließen lässt sich auch eines nicht: dass die Deutschen vor allem darauf hoffen, Lerch zu piesacken mit der Auslieferungshaft, bis er es vielleicht doch mal leid ist und irgendetwas einräumt. Wenn nicht oder wenn ihn die Schweizer nicht ausliefern, kann es ebenso gut sein, dass all die Ermittlungen mal wieder im Nichts enden.

Schwierig auch der Fall Wisser: Beweisunterlagen vom Kap bekommt die Bundesanwaltschaft nicht, und das Verfahren zieht sich. Im Sommer, heißt es jetzt vage, werde in Südafrika verhandelt. Auch Wisser jammert, er sei leidend. Die Arthrose in den Hüften, die Herzrhythmusstörungen, die Nieren. Er klagt, dass er nach dem »ganzen Dreck, der über mich ausgekübelt wurde«, nur »irgendwann mal wieder ein normales Leben führen will«.

Vielleicht denken sie wirklich, sie hätten jetzt ein Recht darauf, in Ruhe gelassen zu werden. Ein Recht auf die gleiche Ruhe, die sie die vergangenen 20, 30 Jahre doch auch immer hatten. JÜRGEN DAHLKAMP,

GEORG MASCOLO, HOLGER STARK

* Bei Kautionsverhandlungen im September 2004 imsüdafrikanischen Vanderbijlpark.

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