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Meinung Merkel-Nachfolge

Kanzlerin Kramp-Karrenbauer? Eine Gespensterdebatte

„Ich will, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibt“

Übergibt Angela Merkel nach dem CDU-Vorsitz bald auch die Kanzlerschaft an Annegret Kramp-Karrenbauer? Merkel selbst hatte angekündigt, bis 2021 im Amt bleiben zu wollen. Nun äußert sich auch AKK zu den Spekulationen.

Quelle: Reuters

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Zurzeit wird viel darüber debattiert, ob CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer vorzeitig das Kanzleramt von Merkel übernimmt. Doch eine neue Regierung braucht eine starke stabile Mehrheit. Wo aber soll die herkommen? Von Schwarz-Grün oder Jamaika wohl kaum.

Eines ist sonnenklar: Neuwahlen strebt man nicht nur aufgrund von Gefühlen an. Einfach nur zu fühlen, dass die derzeitige Koalition irgendwie nicht stabil wäre, und deshalb beim Bundespräsidenten um die Auflösung des Bundestages bitten – das ist im Grundgesetz nicht vorgesehen.

Insofern ist die Diskussion darüber, wie Annegret Kramp-Karrenbauer vielleicht bereits dieses Jahr Bundeskanzlerin werden könnte, schon aus diesem Grund in hohem Grad eine Gespensterdebatte. Nur in der Sehnsucht sind Deutsche fähig, wirklich tief zu empfinden, schrieb vor bald 100 Jahren eine deutsche Schriftstellerin. Sehnsucht allein ist keine politische, keine verfassungsrechtliche Kategorie.

Die Diskussion ist auch deshalb eine Gespensterdebatte, weil es bei einer etwaigen Neuwahl wahrlich nicht nur auf Friedrich Merz oder die WerteUnion oder sonst jemanden in der CDU/CSU ankommt, die oder der eine neue Bundesregierung gerne etwas mehr rechts von Angela Merkel wirken sähe.

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Eine neue Bundesregierung braucht, wenn die heutige Koalition denn so schrecklich instabil wäre, eine neue starke stabile Mehrheit Und wo soll die herkommen? Von Schwarz-Grün, oder Jamaika? Wie denn, bitte schön?

Die Grünen haben bei potenziell großen Themen des Jahres 2019, zum Beispiel dem Schicksal des INF-Vertrags über die Abrüstung der Mittelstreckenraketen, eine klare Haltung. Keinen Fußbreit möchten sie Donald Trump entgegenkommen, im Gegensatz zur Union, die sich das zumindest vorsichtig offenhält.

Kramp-Karrenbauer findet für Putins Russland härtere Worte als Merkel. Beim Thema Migration stehen die Grünen nach wie vor fest auf dem Standpunkt, neue sichere Herkunftsländer abzusegnen sei gleichbedeutend mit dem Verkauf der grünen Seele.

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Winfried Kretschmann und einige weitere Grüne sehen dort zwar Redebedarf. Aber vor den Landtagswahlen von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz im Frühjahr 2021 gibt es für die Grünen keinen machtpolitischen Anlass für Verlustängste.

Kramp-Karrenbauers CDU experimentiert hingegen mit dem Versuch, gegensätzliche Auffassungen zur Zuwanderung miteinander in Deckung zu bringen. Nach außen wirkt das so, als komme hier in der CDU etwas ins Rutschen. Was ja auch kein Wunder ist.

Bei der Zuwanderung besteht nach Meinung der CDU-Mitglieder rechts von Merkel der größte Korrekturbedarf. Und den sollen die Grünen in einer Koalition mit Kramp-Karrenbauer auch noch stützen? Das ist im Moment ein frommer Wunsch.

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Sollten die Grünen im rot-grün regierten Bremen am 26. Mai aus dem Senat fliegen und so die grüne Vetomehrheit im Bundesrat verlieren, wäre das zwar schade. Aber dann wären für die Erweiterung der Herkunftsländerliste eben andere zuständig. Die grüne Seele wäre gerettet.

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Der bundesweite Aufschwung in den Umfragen für die Grünen kommt doch nicht daher, dass sie sich als die rechtere SPD präsentieren. Er kommt unter anderem daher, dass die Grünen als die bessere linke SPD gelten.

Natürlich mobilisieren die Klimadebatte und Kretschmanns stetige Stuttgarter Hand auch Mittewähler für die Grünen. Aber ohne die von der SPD enttäuschten linksgerichteten Wähler stünde die Partei dann nur bei höchstens knapp zehn Prozent.

Für einen Machtwechsel in Berlin an der Seite einer konservativer gewordenen Union müssten schon ganz andere Bedrohungen und Fakten her, damit die Grünen als Gesamtpartei ihr staatspolitisches Verantwortungsbewusstsein über die Reinheit der Gefühle stellen.

Das gilt genauso, wenn nicht sogar noch stärker, für die CDU. In einer schwarz-grünen Regierung könnte die CDU gezwungen sein, ihre Neuausrichtung der Migrationspolitik aus staatspolitischen Gründen zu stoppen. Dann würde die CDU, nicht die grüne Partei, in der Regierung zum unsicheren Kantonisten.

Die WerteUnion würde ständig mit einer Koalitionskrise drohen, weil sie die Seele der wahren CDU verraten zu sehen glaubte. Als Andockschleuse für enttäuschte AfD-Wähler ist dieser neue Zusammenschluss nützlich, und so scheint AKK ihn auch einsetzen zu wollen.

In einer unausgereiften, überhastet zustande gekommenen schwarz-grünen Koalition kann die WerteUnion sich aber zu einem Unruheherd entwickeln, der die Autorität der Bundeskanzlerin und Parteivorsitzenden ständig auf die Probe stellt.

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Bisher definieren die Landesverbände und der Bundesparteitag, was die wahre CDU ist. Wenn eine Minderheit diese Rolle beansprucht, wenn in der CDU eine Tea Party entsteht, wird Regierungshandeln so schwierig wie bei der SPD.

Überhaupt, die SPD. Das stete Gerede ihres linken Flügels darüber, dass die große Koalition eine Zumutung sei, könnte doch noch eine Tür für Neuwahlen öffnen. Nämlich dann, wenn die Halbzeitklausel des Koalitionsvertrags, die Überprüfung des Erreichten und Neugewichtung der Restziele, zum Erpressungs- oder Austrittsinstrument umgedeutet wird.

Dann nämlich könnte die Argumentation Helmut Kohls und Hans-Dietrich Genschers für vorzeitige Neuwahlen von 1982 greifen. Kohl und Genscher hatten damals gesagt: Das konstruktive Misstrauensvotum zum Sturz Helmut Schmidts hat uns nur das Mandat gegeben, den Bundeshaushalt 1983 zu verabschieden. Angesichts der außenpolitischen Lage um die Nato-Nachrüstung mit Mittelstreckenraketen brauchen wir aber ein starkes stabiles Wählermandat.

Das kann heute wieder so kommen, sollte die außenpolitische Lage sich zuspitzen. Der Streit über den INF-Vertrag und über das Atomabkommen mit dem Iran, eine mögliche Krise um Nordkorea, eine denkbare drastische Verschlechterung des Verhältnisses zwischen den USA und der Türkei, der Brexit – das alles kann sich zusammen mit wirtschaftlichen Abschwungsängsten zu einer Gesamtlage verdichten, die eine stabilere Bundesregierung notwendig zu machen scheint.

Halblautes Gerede in der SPD über die Halbzeitbilanz als Ausstiegschance aus der Koalition kann diesen Eindruck so sehr verstärken, dass ein Rücktritt Angela Merkels mitsamt Neuwahlen das kleinere Risiko zu sein verspräche. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ab Juli 2020 braucht ein solides Fundament.

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Annegret Kramp-Karrenbauer
Annegret Kramp-Karrenbauer

Ohne grüne Einkehr, ohne die Einsicht konservativer CDU-Aufbruchsbeseligter in die Notwendigkeit von Kompromissen aber münden Neuwahlen nur in eine neue Wackelkoalition.

Politik braucht Mut, und Annegret Kramp-Karrenbauer hat ihn. Politik braucht aber auch Fortüne, und sie braucht den Willen, vor Übermut zurückzuschrecken. Im Augenblick geht es für AKK darum, die Europawahl und die Landtagswahlen im Herbst zu gewinnen. Eine Bundestagsneuwahl wäre der pure Übermut.

„An dem Tag, an dem Frau Merkel zurücktritt, wird es Neuwahlen geben“

Seit drei Monaten ist Annegret Kramp-Karrenbauer Vorsitzende der CDU. Aber AKK als Kanzlerin? Nicht mit der SPD. Sollte Angela Merkel früher als 2021 den Kanzlerinnen-Stuhl räumen, wäre das womöglich das Ende der GroKo.

Quelle: WELT / Katharina Puche

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