WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Politik
  3. Deutschland
  4. DDR: Birthler-Behörde ließ Stasi-Spitzel einladen

Deutschland DDR

Birthler-Behörde ließ Stasi-Spitzel einladen

Reporter Investigative Recherche
Marianne Birthler Marianne Birthler
Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen der Staatssicherheit: Marianne Bithler
Quelle: DPA
Darf ein ehemaliger Stasi-Spitzel an einer Diskussionsrunde der Birthler-Behörde teilnehmen? Diese Frage ist auch in der Behörde höchst umstritten. Aus diesem Grund wurde jetzt eine Podiumsdiskussion zum Rechtsextremismus gesagt.

„Juden raus aus deutschen Kirchen“, brüllten wild um sich schlagende Glatzköpfe und „Sieg Heil!“. Ost-Berlin im Oktober 1987: Nach einem Konzert der westdeutschen Band Element of Crime stürmten Skinheads die Zionskirche im Stadtteil Prenzlauer Berg. Spätestens dieser Übergriff zeigte, dass es auch in der DDR eine Neonazi-Szene gab.

Mit dem Phänomen sollte sich an diesem Donnerstag die Veranstaltung der Birthler-Behörde mit dem Thema „Staatssicherheit und Rechtsextremismus in der DDR“ beschäftigen. Doch nach Krisengesprächen des Leitungsstabes wurde die Diskussion am Montag dieser Woche aus heiterem Himmel abgesetzt. „Wir holen das im vierten Quartal nach“, sagt der Behördensprecher.

Offiziell heißt es, für die Verschiebung sei die kurzfristige Absage der Podiumsteilnehmerin Anetta Kahane verantwortlich. Die Einladung der Sozialwissenschaftlerin war intern wie extern umstritten. Zwar genießt Kahane bundesweit hohes Ansehen für ihr Engagement gegen Rassismus und Rechtsradikalismus. Doch sie arbeitete von 1974 bis 1982 unter dem Decknamen IM „Victoria“ mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zusammen.

Der ebenfalls geladene Ex-DDR-Kripomann Bernd Wagner, heute Leiter des Zentrums für Demokratische Kultur und vor 1990 für die Verfolgung Rechtsradikaler zuständig, gilt ebenso wenig als systemfern wie der Historiker Patrice G. Poutrus.

Soll ausgerechnet die Behörde solchen Zeitzeugen ein Podium geben? Die IM-Vergangenheit von Frau Kahane sei im Vorfeld diskutiert worden, beteuert der Behördensprecher. Die Tochter jüdisch-kommunistischer Emigranten leitet seit vielen Jahren als Vorsitzende die von ihr gegründete Amadeu-Antonio-Stiftung, benannt nach einem 1990 im brandenburgischen Eberswalde von Skinheads zu Tode geprügelten Angolaner.

Stasi-Vergangenheit bei Podiumsgast


Für ihr verdienstvolles Wirken wurde Kahane im Sommer 2002 mit dem Moses-Mendelssohn-Preis ausgezeichnet. Zum Zeitpunkt der Ehrung war ihre Stasi-Tätigkeit noch nicht publik. Erst als die PDS kurz darauf die heute 53-Jährige für den Posten des Ausländerbeauftragten des Berliner Senats vorschlug, wurde diese Verstrickung im Zuge der obligatorischen Überprüfung öffentlich.

Fast 800 Seiten umfasst die IM-Akte „Victoria“, von denen die Birthler-Behörde gut 400 Seiten freigegeben hat. Enthalten sind mehr als 70 Informationen, die ausweislich der Akte von der Stasi-Zuträgerin stammen. IM „Victoria“ berichtete ihrem Führungsoffizier über Bekannte, die sie im privaten Rahmen aushorchte – während einer Faschingsfeier, einer Hochzeit, eines Konzerts oder eines Stadtbummels.

Veranstaltung soll im Herbst stattfinden

Mit ihren Angaben belastete Kahane Dutzende Personen aus ihrem unmittelbaren Umfeld, darunter viele Künstler. Sie berichtete über einen ZDF-Reporter, mehrere Studenten von West-Berliner Universitäten und vor allem über in der DDR

lebende Ausländer. Kahane führte Aufträge aus und erhielt von der Stasi kleinere Geschenke und Geld. In einem von IM „Victoria“ stammenden Bericht heißt es 1976 über einen Kreis von Schriftstellern und Schauspielern: „Zu den Feinden der DDR gehören in erster Linie Klaus Brasch und Thomas Brasch.“

Anzeige

Keine Frage, das alles liegt lange zurück. Als unermüdliche Kämpferin gegen fremdenfeindliche Gewalt in Ostdeutschland ist Kahane mittlerweile eine geschätzte Gesprächspartnerin der Medien. Nach den ausländerfeindlichen Ausschreitungen im sächsischen Mügeln etwa baten Deutschlandradio, „taz“ und ZDF um ihre Meinung.

Soll aber eine ehemalige Mitarbeiterin der DDR-Staatsicherheit im Rahmen einer Birthler-Veranstaltung über „Staatssicherheit und Rechtsextremismus“ Auskunft geben? Der Behördensprecher sagt, für die in den Herbst verlegte Veranstaltung werde man sich bemühen, das gleiche Podium zusammenzubekommen. „Das sind alles ziemlich kompetente Gesprächspartner.“

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema