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Der gefährliche Mr. Degrowth

Von Harald Oberhofer

Gastkommentare
Harald Oberhofer ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien und forscht am Wifo.
© Roman Reiter / WU

"Ideologen machen die Welt nicht besser - ganz im Gegenteil"


"Don’t mess with a missionary man", predigten schon die Eurythmics, denn er habe eine "message for you that you better believe."

Jason Hickel ist ein Missionar mit zwei Botschaften für die Welt. Erstens nehme die globale Armut zu und zweitens könne nur Degrowth also das geplante Schrumpfen der Wirtschaft den Planeten und die Menschheit noch retten. Wer diese Botschaften anhand von empirischen Daten und Fakten in Zweifel zieht, der stört und wird diskreditiert.

So erging es etwa Max Roser, Gründer und Leiter von "Our World in Data", einem in der Wissenschaft hoch angesehenen Projekt, das Daten zu den Lebensverhältnissen der Menschheit sammelt und visualisiert und Forschungsergebnisse zusammenfasst - etwa zur historischen Entwicklung der Armut.

Neben anderen Angriffen wirft Jason Hickel ihm im "The Guardian" vor, "seine" Daten, die einen globalen Rückgang der Armut zeigen, wären falsch, die weltweite Armut sei in den letzten beiden Jahrhunderten gestiegen. Anderslautende Evidenz sei ein statistisches Artefakt der Kolonialisierung und legitimiere die zügellose kapitalistische Ausbeutung der Entwicklungsländer.

Allerdings zeigen alle verfügbaren Datenquellen zur Entwicklung der Armut ein gemeinsames Bild: Sie ist global betrachtet in den letzten 200 Jahren und vor allem seit dem Ende der Kolonialisierung deutlich gesunken. Dies weisen etwa Jesus Crespo Cuaresma und sein Team in ihrer Arbeit zur gegenwärtigen Armutsdynamik überzeugend nach. Anekdotisch finden sich Belege, dass die Verbesserung der Lebenssituation vieler Menschen nicht durch unregulierten Kapitalismus, sondern durch eine Kombination wirtschaftlicher Öffnungsschritte mit strategischer Industrie-, Sozial- und Bildungspolitik erreicht werden konnte. China ist hier nur ein Beispiel von vielen. Die Evidenz zeigt also das genaue Gegenteil von dem, was Jason Hickel behauptet.

Warum dann diese Vorwürfe? Als Missionar wähnt sich Jason Hickel unfehlbar, alle Andersdenkenden irren sich, oder sind sogar korrumpiert. Daher kann nur er die Welt retten. Hier unterscheidet er sich nicht von anderen Ideologen - allerdings agiert er unter dem Deckmantel der Wissenschaft. Die wirtschaftspolitische Debatte ist anfällig für solche Manipulationen. Wirtschaftspolitische "Querdenker" werden medial hofiert und ihre esoterischen Positionen zu "wissenschaftlichen" Erkenntnissen stilisiert. Je krasser und scheinbar revolutionärer ihre Schlussfolgerungen sind, desto interessanter erscheinen diese für den Laien, auch wenn Fachleute sie als offenkundig faktenwidrig und nicht evidenzbasiert zurückweisen.

Die gilt auch für Jason Hickel und die "Degrowth"-Bewegung. Sie erhebt revolutionäre wirtschaftspolitische Forderungen, Belege für deren Wirkungsweise und vor allem für die Auswirkungen der geplanten wirtschaftlichen Schrumpfung auf die Einkommens- und Vermögensverteilung bleibt sie schuldig. Solche "Querdenker" sind die wirtschaftspolitischen Homöopathen und wie echte Homöopathen sind sie gefährlich: Globuli heilen keinen Krebs und Ideologen machen die Welt nicht besser - ganz im Gegenteil.