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Frauenhass auf allen Kanälen

Von Ingrid Brodnig

Gastkommentare
Ingrid Brodnig ist Journalistin und Autorin ("Hass im Netz"). Die Befragung finden Sie auch auf www.momentum-institut.at.
© privat

Selbst in der Spitzenpolitik können Hassnachrichten eine toxische, verdrängende Wirkung haben.


Politikerinnen bekommen mehr Hassnachrichten, als für Außenstehende sichtbar ist. Es kommen E-Mails oder Facebook-Nachrichten mit Sätzen wie: "ist ihr Hirn schon in ihrer Muschi steckengeblieben?" Eine Abgeordnete erzählt: Ihr hat jemand per Brief eine Fotocollage mit Szenen aus einem Pornoheft geschickt und dazu Anmerkungen, dass Derartiges mit ihr gemacht gehöre.

Dies sind ein paar der Rückmeldungen, die wir im Rahmen einer Befragung gesammelt haben: Alle 73 weiblichen Nationalratsabgeordneten wurden kontaktiert, 30 Prozent der Abgeordneten nahmen an der Befragung teil, darunter Vertreterinnen aller Parlamentsparteien. 73 Prozent gaben an, dass sie sexualisierten/frauenfeindlichen Hass als Abgeordnete erleben und derartige Nachrichten via Internet bekommen. 36 Prozent der Befragten meinen, dass sie solche Nachrichten ebenfalls analog bekommen - zum Beispiel als Brief. "Mein Eindruck ist auch, dass manche gezielt E-Mails verschicken, weil da sehe solche Nachrichten nur ich, andere kriegen das gar nicht mit, und somit ist dieser Hass im Netz für Dritte unsichtbar", erzählte mir die ÖVP-Abgeordnete Gabriela Schwarz.

Das Ziel unserer Befragung: Frauenhass und Sexismus gegen Politikerinnen sollen sichtbar sein. Die Abgeordneten berichten von typisch geschlechtsbezogenen Herabwürdigungen: "Hure", "Schlampe", "hysterisch", oder die Frage, ob sich eine Abgeordnete hochgeschlafen habe.

Man muss solche Kommentare als das sehen, was sie sind: eine Gefahr für die politische Debatte. In den vergangenen Jahrzehnten setzten sich Feministinnen dafür ein, Frauen sichtbar zu machen. Die Wissenschaft bezeichnet es als Chilling-Effekt, wenn Menschen mittels aggressiver Kommentare aus Debatten weggeekelt werden. 2017 befragte Amnesty International Frauen in acht Ländern, ob sie Beleidigungen oder Belästigungen erlebten: Eine von drei Frauen, die solche Kommentare erlebt hatten, wollte zu gewissen Themen nicht mehr posten.

Selbst in einem hochprofessionellen Feld wie der Spitzenpolitik können Chilling-Effekte auftreten. Wir fragten die Abgeordneten, ob sie "bestimmte Äußerungen schon einmal nicht öffentlich getätigt" haben, "weil sie ahnten, dass entsprechende Reaktionen/
Drohungen kommen" - eine von vier Befragten sagte: Ja. Dies sei etwa bei Themen wie Integration und Migration, antimuslimischer Rassismus, Kindererziehung oder Genderthemen der Fall gewesen.

Machen wir gerade als Gesellschaft Rückschritte? Und was können wir dagegen tun? Ein erster Schritt: Das Phänomen soll nicht länger unsichtbar sein. So gibt es die Idee, dass Sicherheitsbehörden sämtliche Formen von misogyner Gewalt und Frauenhass als eigene Kategorie statistisch erfassen sollen - das reicht von Vergewaltigungsdrohungen bis hin zu häuslicher Gewalt und Femiziden. 77 Prozent der befragten Abgeordneten stimmen der Idee zu. Frauenfeindliche Straftaten transparent zu machen, ist wichtig: Denn Sexismus und Frauenhass lassen sich nur so lange kleinreden und ausblenden, solange man die Tragweite dieses Phänomens nicht wirklich kennt.