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Fachleute und andere Experten

Von Arno Tausch

Gastkommentare
Geht es darum, möglichst oft in Fachbüchern zitiert zu werden?
© stock.adobe.com / Stephen Coburn

Mit den Debatten über die Pensionskommission rückt die Frage der Experten erneut ins Rampenlicht - der Versuch einer wissenschaftlichen Einordnung.


Tag für Tag hört das interessierte Publikum Begriffe wie "ein österreichischer Promi-Ökonom" und Ähnliches; und die "Wiener Zeitung" nannte vor einiger Zeit in ihrer interessanten Aufstellung explizit Monika Köppl-Turyna, Robert Holzmann, Gabriel Felbermayr, Christian Helmenstein, Margit Schratzenstaller-Altzinger, Markus Marterbauer und Stephan Schulmeister als "die einflussreichsten Ökonominnen und Ökonomen Österreichs". Ihre Verdienste sind tatsächlich allesamt unbestritten. Aber in Zeiten der Covid-19-Pandemie ist allerorts auch von "Top-Medizinern" zu lesen, die womöglich die Impfskepsis befeuern, und Interessierte werden auf "Google News" eine erdrückende Fülle von Meldungen bloß für das Suchprofilwort "Experten kritisieren" angezeigt erhalten. Und auch zur Frage der Pensionen melden sich immer wieder echte oder selbsternannte Fachleute zu Wort.

Wie gut, durchschnittlich oder doch schlecht sind Expertinnen und Experten aber international präsent? Dieser Text soll der Öffentlichkeit und auch den öffentlichen Verwaltungen ein einfaches und valides Instrument in die Hand geben. Angesichts der wahren Überflutung der Öffentlichkeit mit Expertinnen und Experten einerseits sowie der wachsenden, irrationalen Skepsis gegenüber der Wissenschaft im Allgemeinen und der Medizin im Besonderen andererseits ist ja ein solches Unterfangen mehr als angebracht.

Instrumente zur Bewertung

In der heutigen Bibliometrie und Szientometrie werden insgesamt die folgenden drei Säulen des Vergleichs des Echos akademischer Leistungen auf internationaler Ebene debattiert und verglichen. Alle drei Indikatoren liefern völlig eindeutige Kennziffern und dienen dazu, dem allgemeinen, heute durch die Covid-19-Krise so strapazierten Publikum und natürlich auch der öffentlichen Verwaltung als Leitstern zu dienen. Die hierfür frei zugänglichen Informationsportale sind:

Der mehr als 7.300 Unis und andere höhere Bildungseinrichtungen in 96 Staaten der Erde umfassende "Open Syllabus" (opensyllabus.org), der auf mehr als 7,2 Millionen Syllabi basiert und die Werke von mehr als 3,6 Millionen Autorinnen und Autoren umfasst. Er speichert 4,8 Millionen Titel von Unterrichtsmaterialien und zeigt, wie oft die Werke von mehr als 89.000 Verlagen in den Hörsälen der Welt genutzt werden. Geografischer Schwerpunkt dieses Informationssystems sind die angloamerikanischen Staaten mit den führenden Universitäten der Welt. Indikator ist hier, wie viele Kurse um den Erdball Materialien einzelner Wissenschafterinnen und Wissenschafter jeweils in einer Lehrveranstaltung verwendeten haben ("Classroom Citation").

Die globale Verbreitung akademischer Werke in Bibliotheken: "OCLC Classify" (classify.oclc.org/classify2). Der "OCLC Worldcat" ist der größte Verbundkatalog der Welt und umfasst heute 103 Länder; darunter mehr als 5.000 akademische Bibliotheken, 111 Staats- und Nationalbibliotheken, mehr als 5.000 öffentliche Bibliotheken, mehr als 1.600 Bibliotheken auf Bundesländer- und Gemeindeebene und mehr als 1.000 Firmen und Geschäftsbibliotheken. Im "OCLC Worldcat", der die Bibliotheken von Alaska bis Südchile, von Nordnorwegen bis Südafrika und ebenso jene in Ostasien, Australien, und Neuseeland umfasst, sind nicht weniger als 2,9 Milliarden Bücher gespeichert. Indikator hierbei ist die größte Anzahl globaler Bibliotheken, an denen eine Monografie eines oder einer Autors oder Autorin vorhanden ist ("Libcitation").

Die Zitierung akademischer Werke in akademischen Fachzeitschriften: "Scopus Author Profiles" (www.scopus.com/freelookup/form/author.uri) - das größte und geografisch weitreichendste wissenschaftliche Archiv der Welt für ausgewählte Quellen umfasst 34.000 Titel von 5.000 internationalen Verlagshäusern in 239 Ländern und Territorien. Der Indikator hierbei ist der sogenannte H-Index der Zitierungen. "Scopus Author Profiles" informiert zum Beispiel darüber, dass der große, kürzlich verstorbene US-Soziologe Ronald F. Inglehart (1934 bis 2021), der Schöpfer des "World Values Survey", im System "Scopus" nicht weniger als 145 Artikel indiziert hat, 51 davon wurden laut der Metrik des H-Index 51 Mal oder öfter im Schrifttum zitiert. Es mag noch bessere Indices geben als diesen H-Index; aber eines ist sicher: Keine Maßzahl fasst die Rezeption eines wissenschaftlichen Gesamtwerks in den Naturwissenschaften und den Sozialwissenschaften besser zusammen als dieser Index.

An der Frage, wie hoch die Latte zu legen ist, um von internationaler akademischer Exzellenz - also Expertentum - in den Sozialwissenschaften zu sprechen, scheiden sich sicherlich die Geister. Eine lapidare Antwort könnte zunächst etwa sein, welche Performance denn der oberste Chef des Wissenschaftssystems in Österreich, der derzeitige Herr Wissenschaftsminister, der ja vor seinem Einstieg in die Politik vom Beruf her ein angesehener Forscher war, aufzuweisen hat. Nun, Universitätsprofessor Heinz Faßmann hat im System "Scopus" einen H-Index von 5. Im "Open Syllabus" gibt es 34 Syllabi, die auf die Arbeiten von ihm Bezug nehmen. Und in "OCLC Classify" hat er seine global am weitesten verbreitete Monografie (gemeinsam mit Rainer Münz) in 337 Bibliotheken der Welt platzieren können; Beiträge zu Sammelwerken und Herausgabe-Bände zählen ja hier nicht.

Zitierungen sind nicht alles

Im Vergleich dazu kommt Inglehart mit seinem gemeinsam mit Pippa Norris verfassten Buch "Sacred and Secular: Religion and Politics Worldwide" (Cambridge University Press) auf 3.103 globale Bibliotheken. Im "Open Syllabus" gibt es 3.921 Syllabi (zwei Schreibweisen und ohne Namensvetter), die auf ihn Bezug nehmen. An dieser Stelle ist es absolut wichtig zu betonen, dass in weiten Bereichen der Geisteswissenschaften im deutschsprachigen Europa, wo die Publikation von deutschsprachigen Monografien noch als wissenschaftliches Endprodukt dominant ist, lediglich dem Kriterium der globalen Bibliothekspräsenz ("Libcitation") eine hohe praktische Bedeutung zukommen sollte, da die zumeist anglophonen Universitäten und Bildungseinrichtungen im "Open Syllabus" kaum deutschsprachige Unterrichtsmittel verwenden und auch die meist anglophonen Fachzeitschriften das monografische Schrifttum auf Deutsch wenig wahrnehmen.

Eine Bibliothekspräsenz von über 50 ist deshalb in dieser Disziplin im deutschsprachigen Europa bereits recht beachtlich, selbst dann, wenn gleichzeitig eine Null-Präsenz in der "Classroom Citation" und zum Beispiel der H-Index bei 1 liegt und fünf oder mehr publizierte Artikel im System "Scopus" aufscheinen. Eine Bibliothekspräsenz von mehr als 200 ist in der deutschsprachigen europäischen Geisteswissenschaft ein wirklich herausragender Erfolg. In der Geschichte unserer Sozialwissenschaften bis weit in die 1980er Jahre hinein gilt ebenso diese Interpretation.

Zitierungen sind schön, aber sie sind einfach nicht alles im akademischen Leben. In gewisser Weise glauben wir sogar, dass die Zitatomanie, die ja von den Universitätsrankings (Shanghai Ranking etc.) in den vergangenen Dekaden ihren verhängnisvollen Ausgang nahm, gerade die Geisteswissenschaften abzuwürgen droht.

Arno Tausch ist Universitätsdozent für Politikwissenschaft und schrieb im "Journal of Scholarly Publishing", "Journal of Globalization Studies", "Bibliotheksdienst" und anderen Journalen zahlreiche Artikel zum Thema wissenschaftliche Exzellenz. Er verfasste auch mehrere Artikel zum Thema "Public Health".