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Die Meinungsfreiheit ist tot

Von Alexander von der Decken

Gastkommentare
Alexander von der Decken hat Philosophie und Romanistik studiert und in Barcelona gelebt. Er war außenpolitischer Redakteur beim "Weser Kurier" und lebt heute als freier Journalist und Autor in Bremen.
© Alex Kurze

In den neuen Kommunikationsforen werden Mehrheiten von Minderheiten dominiert.


Instagram, Facebook, TikTok, YouTube, Twitter und wie sie alle heißen mögen, die Social-Media-Plattformen machen die Welt transparenter, engen die Kommunikationsbandbreite aber ein. Klingt wie ein Widerspruch, ist aber keiner. Denn Reichweite und Inhalt stehen immer stärker in einem Widerstreit, der der Meinungsfreiheit die Luft abwürgt. Öffentliche Dialoge werden im Namen des vermeintlich Guten und Richtigen verbal gesteinigt und damit wird gleichzeitig eine Debattenkultur, auf der die Freiheit eines jeden offenen Gesellschaftssystems ruht, zerstört.

Corona-, Migrations- und Genderdebatten sind nur die aktuellsten Belege für eine Heckenschützen-Mentalität, bei der es nicht um den Disput geht, sondern um das Aus-dem-Wege-Räumen einer anderen Meinung - einer Meinung, die nicht sein kann, weil sie nicht sein darf.

Alexis de Tocqueville, der später Außenminister von Frankreich wurde, hat in seinem Werk "Über die Demokratie in Amerika " die junge US-Demokratie sehr luzide analysiert. Als Dreißigjähriger bereiste er 1831 für ein Jahr die USA und wies auf die Gefahren hin, die einer Demokratie innewohnen können. Tocqueville sah sie nicht in den Ideen des freiheitlichen Denkens, sondern in den Strukturen der demokratischen Gesellschaft, die sie praktiziert. Auf den Punkt gebracht ist es der Ausschlusscharakter einer Mehrheitsentscheidung, also der Geist einer von der Demokratie geprägten Gesellschaft, die Minderheiten erzeugt und somit der Missachtung preisgibt. Dieses gesellschaftsmoralische Moment auszutarieren ist von existenzieller Bedeutung für jede offene Gesellschaft.

Durch die neuen Kommunikationsforen mit ihren Möglichkeiten der Meinungs-Camouflage eröffnet sich Minderheiten ein weites Feld, um das Mehrheitsprinzip auf den Kopf zu stellen, sprich: Mehrheiten zu dominieren. Nicht getragen durch das bessere Argument oder das wissenschaftliche Wahrheitsprinzip, sondern getragen von der Imagination, das "Richtige" durchzudrücken, werden die Spielregeln des freiheitlichen Diskurses konterkariert und wird das Ende der offenen Gesellschaft zur Disposition gestellt. Das kommt allerdings einer Exekution der Freiheitsidee gleich.