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Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper

Von Christian Mayr

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Der Fall Simone Biles zeigt sehr deutlich die Grenzen der Belastbarkeit auf.


WZ  Christian Mayr
WZ  Christian Mayr
© Wiener Zeitung

Vielleicht sollte das IOC das soeben erweiterte, neue olympische Motto noch einmal abändern: Statt "Schneller, höher, stärker - gemeinsam" (Latein: "citius, altius, fortius - communis") böte sich aufgrund der jüngsten Ereignisse ein anderer Spruch aus dem alten Rom an: "Mens sana in corpore sano", was so viel bedeutet wie "ein gesunder Geist in einem gesunden Körper". Jetzt wollen wir einmal gnädig drüber hinwegsehen, was der römische Dichter Juvenal in dieser Satire wirklich gemeint haben könnte, und auch darüber, dass Spitzensport prinzipiell eher nicht so gesund für einen Körper ist. Die Redewendung kommt einem aber beim aktuell heiß diskutierten Fall des programmierten olympischen Superstars Simone Biles in den Sinn. Zunächst stieg die US-Turnerin im Mannschaftsbewerb aus, um dann auch ihren Start im Einzel-Mehrkampf abzusagen. Der vierfachen Olympiasiegerin von Rio und 19-maligen Weltmeisterin war schlicht und ergreifend alles zu viel geworden - und sie führte auch ganz offenherzig "psychische Probleme" für den temporären (?) Olympia-Ausstieg an. Die 24-Jährige sprach von der "Last der Welt auf meinen Schultern" sowie dem "Kampf gegen Dämonen" - und wurde in ihrer Abrechnung besonders emotional, als sie über das Gefühl sprach, nicht mehr selbst über sich und ihren Sport bestimmen zu können. "Diese Olympischen Spiele wollte ich für mich haben, und ich kam hierher und dachte, dass ich es weiter für andere Leute mache. Das schmerzt mein Herz sehr. Das zu tun, was ich liebe, ist mir irgendwie genommen worden, um anderen Menschen zu gefallen." Man kann zwar nur spekulieren, was konkret dahinterstecken mag (in den USA lastet auf Olympioniken stets der allergrößte Druck), Faktum aber ist, dass Biles für diesen Schritt enormen Zuspruch aus der Sportwelt erfahren hat.

Wenig Beachtung fand dabei freilich die Tatsache, dass Biles einst als Teenager im US-Turnverband Opfer von sexuellem Missbrauch geworden war - also just in ihrem so geliebten Sport. Dass Biles danach zur Größten ihres Fachs werden konnte, gleicht einem Wunder - ein noch größeres wäre es aber, hätte dieser Missbrauch so gar keine Spuren hinterlassen. Was sie denn zuletzt auch in einem Interview andeutete: "Oh, es ist noch lange nicht vorbei!"

Ganz sicher noch lange nicht vorbei sind auch derartige Mental-Outings von Sportlern, die dem Dauerdruck einfach nicht mehr standhalten wollen und können. In Erinnerung ist noch Ex-Skifahrerin Lindsey Vonn, die einst offen über ihre Depressionen sprach, sowie Japans Tennis-Ass Naomi Osaka, die aufgrund mentaler Probleme die French Open passieren lassen musste. Und offenbar "ohne einen gesunden Geist" bei Heim-Olympia soeben chancenlos war.

Dass man mit einem gesunden Geist, aber lädierten Körper ungleich besser dran ist, bewiesen indes zwei andere Tokio-Olympioniken: Österreichs Tischtennis-Ass Liu Jia biss sich trotz Bandscheibenvorfalls bis ins und dann im Achtelfinale durch, obwohl der Trainer zur Aufgabe riet: "Ich wollte aber nichts herschenken", gestand sie. Und die russische Judoka Madina Taimasowa wurde am Mittwoch sogar mit Bronze belohnt - trotz vorherigem Marathon-Semifinale, das sie, bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt, verlor. Weil sie nicht und nicht aufgeben wollte. Und konnte.