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Ampel setzt auf freiwillige Aufnahme von Asylwerbern

Von Alexander Dworzak

Politik

Sozialdemokraten, Grüne und Liberale wollen Straftäter und Gefährder schneller abschieben.


Migration als Waffe: Darin übt sich der weißrussische Diktator Alexander Lukaschenko, damit die EU-Sanktionen gegen sein Regime zurückgenommen werden. Der Staatsapparat betätigt sich als gewalttätiger Schlepper, damit in Belarus gelandete Migranten die EU-Außengrenze nach Polen und Litauen passieren. Ziel der Personen ist zumeist Deutschland, knapp 10.000 Asylsuchende sind in den vergangenen drei Monaten aus Belarus in die Bundesrepublik gekommen.

"Die EU und Deutschland dürfen nicht erpressbar sein", schreiben die neuen Regierungspartner SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag fest - ohne einen Staat beim Namen zu nennen. Denn Lukaschenko ist nicht alleine: Im vergangenen Jahr kündigte die Türkei ihren Flüchtlingspakt mit der EU auf und setzte Migranten kurz vor der griechischen Grenze ab, um Druck auf die Union auszuüben. Die Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Ankara als auch Alexander Lukaschenko in Minsk legen den Finger in eine Wunde, die seit Jahren in der Europäischen Union klafft: Noch immer gibt es kein einheitliches Asyl- und Migrationssystem.

Nicht weniger als eine "grundlegende Reform des europäischen Asylsystems" strebt daher die neue deutsche Regierung an; sie soll übernächste Woche angelobt werden. Darunter verstehen Rot, Grün und Gelb eine "faire Verteilung von Verantwortung und Zuständigkeit bei der Aufnahme zwischen den EU-Staaten". Doch genau daran scheitern die Unionsländer bisher. Die Mittelmeeranrainer tragen weiterhin die Hauptlast, über sie verlaufen die Flüchtlingsrouten. Das Dublin-Verfahren, wonach jener Staat für das Asylverfahren zuständig ist, in dem der Antragsteller erstmals EU-Boden betritt, erklärte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bereits 2015 für obsolet. Seitdem misslingt jede Reform aufgrund des Streits über die Verteilung. Die lautesten Gegner eines fixen Schlüssels sind die mittelosteuropäischen Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei. Hierzulande ist die ÖVP strikt gegen verpflichtende Quoten, der grüne Regierungspartner hat keine Handhabe.

Mit einer baldigen Einigung rechnet nicht einmal die neue deutsche Regierung. Sie will "auf dem Weg zu einem gemeinsamen funktionierenden EU-Asylsystem" einen Zwischenschritt einlegen und in einer "Koalition der aufnahmebereiten Mitgliedstaaten vorangehen". Ihr schwebt auch eine staatlich kontrollierte Seenotrettung und die Weiterentwicklung von Frontex zu einer "echten EU-Grenzschutzagentur" vor.

Punktuelle Kooperationen wären nicht neu. Nach dem gelegten Brand im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos im vergangenen Jahr nahmen neun EU-Länder und die Schweiz unbegleitete Kinder und Jugendliche auf. Deutschland kooperierte dabei unter anderem mit Frankreich, den Niederlanden und Kroatien.

Das südosteuropäische Land steht in der Kritik, weil dort Asylsuchende mit Gewalt zurückgedrängt werden. Diese sogenannten Pushbacks sind illegal, werden aber hingenommen - so auch in Polen gegen die Migranten, die von Lukaschenkos Schergen an die Grenze begleitet werden. Die neue deutsche Regierung will, dass niemand zurückgewiesen wird, der einen Asylantrag stellt.

Legalisierung der Geduldeten

Das ruft die konservative Opposition auf den Plan. Sie sieht darin eine Einladung zum illegalen Betreten der EU. Und in Deutschland selbst drohe laut CDU/CSU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus die "Legalisierung illegaler Migration". Denn für abgelehnte Asylwerber will die Ampelkoalition zwei Optionen schaffen: "Gut integrierte" Jugendliche sollen nach drei Jahren Aufenthalt ein Bleiberecht bis zum 27. Lebensjahr erhalten. Und Personen erhalten eine einjährige Probe-Aufenthaltserlaubnis, sofern sie seit fünf Jahren in Deutschland leben, nicht straffällig geworden sind und sich "zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen". Es läut somit darauf hinaus, dass mehr Asylwerber als in den vergangenen Jahren offiziell im Land bleiben; dieses Jahr wurden bis Ende Oktober 132.000 Anträge gestellt.

Rot, Grün und Gelb verweisen darauf, dass die medizinische Versorgung und die Leistungen für Asylwerber entscheidend für die Anziehungskraft eines Staates seien. Hier würde die Ampelkoalition keine neuen Anreize setzen. Auch verkünden die drei Parteien eine "Rückführungsoffensive". Vor allem Straftäter und - islamistische - Gefährder sollen schneller abgeschoben werden. Doch selbst unter der bisherigen Bundesregierung, die sich das Thema auf ihre Fahnen geheftet hat, wurden im vergangenen Jahr keine 11.000 Personen abgeschoben.