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Corona als Stresstest für den Rechtsstaat

Von Petra Tempfer

Recht
Die Höchstrichter des Verfassungsgerichtshofs entscheiden im Durchschnitt innerhalb von vier Monaten.
© VfGH / Maximilian Rosenberger

Eilverfahren vor dem VfGH stehen angesichts der geplanten Impfpflicht zunehmend in Diskussion.


Schnell soll es gehen, am besten immer schneller, aber die Entscheidung darf dann bloß nicht unüberlegt sein - vor allem nicht, wenn sie vom Höchstgericht kommt: Die Einführung von Eilverfahren vor dem österreichischen Verfassungsgerichtshof (VfGH) steht aktuell angesichts der zahlreichen Covid-19-Maßnahmen, die diesen beschäftigen, zunehmend in Diskussion.

Zuletzt hat die oberösterreichische FPÖ diese gefordert, und zwar, um die für 1. Februar 2022 geplante Impfpflicht auf ihre Verfassungskonformität zu überprüfen. Bereits im Vorjahr, zu Beginn der Pandemie in Österreich, brachten die Neos einen diesbezüglichen Antrag im Nationalrat ein. Und auch der Präsident des Rechtsanwaltskammertages Rupert Wolff plädierte nach Erlass der ersten Covid-19-Maßnahmengesetze dafür.

Die Corona-Krise habe gezeigt, so der Tenor der Befürworter der Eilverfahren, dass Gesetze mit verkürzter Begutachtung in Kraft treten, die vielfältig in Grundrechte eingreifen: vom Hausrecht, Besuche zu empfangen, über die Freizügigkeit bis hin zur Religionsausübung, was sich zum Beispiel auf den verbotenen Besuch von Messen bezog. Zahlreiche Regelungen seien bei der Prüfung durch den VfGH gar nicht mehr in Kraft, kritisierte Wolff und meinte: "Es wäre durchaus riskant, wenn der Gesetzgeber Verfassungsrecht bricht, denn er riskiert, einem betroffenen Bürger gegenüber ersatzpflichtig zu werden."

In Deutschland sind Eilverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, dort auch einstweiliger Rechtsschutz genannt, schon lange Usus. Das Bundesverfassungsgericht kann eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn das "zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist". Das Höchstgericht trifft dann im Schnellverfahren eine vorläufige Entscheidung, in einem anschließenden Hauptverfahren kann endgültig über die Sache geurteilt werden. Die Wirkung einer einstweiligen Anordnung ist laut Bundesverfassungsgericht auf maximal sechs Monate befristet, sie kann aber wiederholt werden.

Mehr Fälle in kürzerer Zeit entschieden

Das Interessante daran: Das ist länger als die durchschnittliche Verfahrensdauer eines Normprüfungsverfahrens am österreichischen VfGH. Diese - vom Eingang der Rechtssache bis zur Abfertigung der Entscheidung -lag hier zuletzt bei vier Monaten. Fast alle Fälle werden innerhalb eines Jahres entschieden. Der Statistik des VfGH zufolge wurde die durchschnittliche Dauer in den vergangenen 20 Jahren immer kürzer. Im Jahr 2000 lag sie noch bei neun Monaten. Und das, obwohl sich die Anzahl entschiedener Fälle in den vergangenen 15 Jahren verdoppelt habe, wie VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter in einem Gastkommentar der "Wiener Zeitung" schreibt. Das lasse auch die Forderung nach einem Eilverfahren weniger drängend erscheinen, so Grabenwarter dazu.

Gerade, was die Corona-Maßnahmen betrifft, wurde deutlich: Auch ohne Eilverfahren entscheidet der VfGH schnell. Von den insgesamt 400 Fällen hat dieser bereits 330 erledigt. So war zum Beispiel das Take-away-Verbot auf Skihütten in Oberösterreich, Tirol und Vorarlberg gesetzeswidrig. Eine Beschwerde von Künstlern gegen das Betretungsverbot von Kultureinrichtungen wies der VfGH hingegen ab, wie auch jene gegen die zwischenzeitlich geltende Maskenpflicht an Schulen.

Was konkret würde ein Eilverfahren also bringen? Um wie viel schneller müsste der VfGH entscheiden? "Damit das Eilverfahren den Anspruch hat, ein Eilverfahren zu sein, müsste es deutlich schneller als das Hauptverfahren sein", sagt dazu Gerhard Baumgartner vom Institut für Rechtswissenschaften an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. "Da reden wir somit von Wochen und nicht von Monaten." Letztendlich werde aber auch diese Dauer vom Fall abhängen, und dass der VfGH ähnlich dem deutschen Bundesverfassungsgericht eine Frist festsetzt, wäre ebenfalls möglich.

Der Weg dorthin wäre jedenfalls kein schneller. Denn um ein Eilverfahren einzuführen, müsste man laut Baumgartner das Verfassungsgerichtshofgesetz von 1953 ändern. "Darüber hinaus ist an eine Änderung des Bundes-Verfassungsgesetzes zu denken, zumal die Kompetenzen des VfGH verfassungsrechtlich abschließend geregelt sind", so Baumgartner im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Auch Verfassungsrechtler Theo Öhlinger kann der Idee eines Eilverfahrens einiges abgewinnen, mahnt aber zur Differenzierung. "Bei der Gesetzesprüfung halte ich das für sehr problematisch: Das Gesetz als Mehrheitsbeschluss eines frei gewählten Parlamentes ist das zentrale Element einer Demokratie", sagt er. Bei Verordnungen sei ein vorläufiger Rechtsschutz hingegen denkbar - denn diese führen Gesetze nur näher aus. Ob sie das korrekt machen, könne in einem Schnellverfahren eher entschieden werden.

Corona-Fälle auch in der Dezember-Session

Aktuell ist der VfGH im Zuge seiner gewohnten Normenkontrolle jedenfalls mit weiteren Corona-Fällen beschäftigt. In der Dezember-Session, die am Montag gestartet ist, stehen die FFP2-Maskenpflicht in Bergbahnen im vergangenen Winter, das Betretungsverbot im Handel im Februar sowie die nächtlichen Ausgangssperren vor rund einem Jahr auf der Tagesordnung.

Zudem berät das Höchstgericht über die Verfassungskonformität des Ausschlusses der Amtshaftung gegenüber geschädigten Kunden der Commerzialbank Mattersburg. Auch das Gesetzesprüfungsverfahren zur Erteilung von Beschäftigungsbewilligungen für Ausländer wird fortgesetzt.