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"Der amerikanische Präsident hat sich im Nahost-Konflikt praktisch abgemeldet"

Von Ines Scholz

Politik

Nahost-Experte Udo Steinbach fordert mehr Druck der EU auf Israel. | Ein Scheitern von Abbas würde die Hamas stärken.


"Wiener Zeitung":

Warum läuft Israel derart Sturm gegen die Anerkennung eines Palästinenserstaates durch die UNO, wo doch die Regierung von Benjamin Netanyahu selbst betont hat, dass sich real nichts ändern wird?Udo Steinbach: Die Ankerkennung des Palästinenserstaates läuft natürlich Prinzipien entgegen, auf denen die israelische Besatzungspolitik seit vielen Jahren beruht. Sie würde die Anerkennung in den Grenzen von 1967 bedeuten, mit Ostjerusalem als Hauptstadt, und sie würde die jüdischen Siedlungen für rechtswidrig erklären. All das sind Tatbestände, die der israelischen Politik entgegenlaufen. Ganz abgesehen davon, dass diese immer gesagt hat, dass Verhandlungen Israels Sicherheitsbedürftnisse in Betracht ziehen müssen - und dazu gehören weite Teile des Westjordanlandes. Vor diesem Hintergrund besteht also Israel auf Verhandlungen, die letztlich von Vorbedingungen ausgehen würden, die Israel immer schon stellt.

Schon wegen der Sicherheit Israels müsste die EU ja Interesse an einer gerechten Nahost-Friedenslösung haben - vor allem angesichts der Stimmung in den arabischen Ländern. In Ägypten gibt es massiven Druck der Bevölkerung, das Friedensabkommen mit Israel in Frage zu stellen, die Türkei ging zuletzt deutlich auf Distanz zu Israel. Warum unterstützt die EU dennoch Israels Bunkerhaltung?Die EU ist gespalten in der Angelegenheit. Es gibt Staaten, die (im UN-Sicherheitsrat; Anm.) möglicherweise für den palästinensischen Staat stimmen werden, andere, die dagegen sind, zum Beispiel Deutschland. Aber das eigentliche Problem ist, dass Israel nicht begriffen hat, dass es angesichts der Umbrüche in der arabischen Welt seine Positionen verändern muss. Dass es einen Friedensprozess geben muss, um zu vermeiden, dass es in der Region, aber auch im internationalen System in wachsendem Maße isoliert wird. Umso bedauernswerter ist die Tatsache, dass Israel im Vorfeld der palästinensischen Bemühungen um Ankennung keinerlei Initiativen gesetzt hat. Die EU hat sich nicht ausreichend um Fortschritte bemüht. Insofern steht die israelische Politik, wenn es denn zu dem Antrag kommt, weithin isoliert da.

Was müsste die EU konkret tun? Sollte sie von den Israelis vehementer Kompromissbereitschaft einfordern - etwa beim Siedlungstopp oder im Ostjerusalem-Streit?

Die EU hätte viel früher handeln müssen. Wir sind in einer Situation, in der die USA als Vermittler, als Ordnungsmacht im Nahen Osten ausfallen. Der amerikanische Präsident hat sich in dem Nahost-Konflikt praktisch abgemeldet. Also kommt hier eine gestalterische Verantwortung auf die EU zu; und in der Tat gibt es ja mittlerweile genug Dossiers und Stellungnahmen, die besagen, dass die EU gegebenenfalls auch Druck auf Israel ausüben sollte.

Die EU hat ja Hebel in der Hand, um Druck zu erzeugen; das reicht von der wirtschaftlichen Kooperation bis zur Zusammenarbeit im Bereich der Technologie. Das ist unterblieben. Die Europäische Union hat es nicht geschafft, zu einer gemeinsamen Linie zu gelangen. Mit dem Ergebnis, dass die Staatengemeinschaft in der Nahost-Frage noch mehr gespalten ist.

Sehen Sie die Chance, dass sich die EU doch noch auf eine gemeinsame Position einigen wird, oder wird jeder stimmen, wie er will? Etwa Großbritannien und Frankreich im UN-Sicherheitsrat dafür und Deutschland dagegen?

Also ich fürchte, dass sich die EU nicht zu einer einheitlichen Position durchringen wird. Die Frage ist dann nur: Wird es, wenn die Abstimmung im Sicherheitsrat stattfindet, eine Mehrheit für den Palästinenserstaat geben, die dann durch das amerikanische Veto konterkariert würde. Oder wird es den Amerikanern gelingen, mit Brachialgewalt eine Reihe von Staaten davon zu überzeugen, nicht für den Palästinenserstaat zu stimmen.

Sie sprechen Nigeria und Gabun an?

Ja, aber nicht nur. Deutschland etwa hat sich ja zumindest offiziell noch nicht festgelegt. Die Amerikaner tun jedenfalls alles, um eine Mehrheit für Palästina im Sicherheitsrat zu verhindern. Denn wenn ihnen das nicht gelingt, müssen sie von ihrem Vetorecht Gebrauch machen - darauf haben sie sich bereits festgelegt. Das würde aber bedeuten, dass sich die Position der USA im Nahen und Mittleren Osten vor dem Hintergrund einer derart sensiblen Situation, wie sie durch die Umbrüche in der arabischen Welt in den letzten Monaten entstanden ist, deutlich verschlechtern würde.

Die Türkei, einst ein enger Verbündeter Israels, hat sich ja zuletzt demonstrativ auf die Seite der Palästinenser gestellt. Hat Ankara genügend Einfluss, um im palästinenisch-israelischen Konflikt etwas zu bewegen?

Ich bin nicht davon überzeugt, dass der Türkei eine größere Rolle zufallen wird. Schon gar keine Schlüsselrolle. Die türkische Politik war in den letzten zwei Jahren sehr widerspruchsvoll. Ankaras Israel-Kritik ist allzu durchsichtig darauf gerichtet, den Beifall der arabischen Staaten und der arabischen Straße zu erhalten. Das ist keine Politik, die wirklich glaubhaft ist. Dies wäre sie erst dann, wenn sie mit einer der großen Mächte abgestimmt wäre. Also mit den USA oder der Europäischen Union. Derzeit driften die Türkei und die EU eher auseinander, sodass auch die Türkei sich in gewisser Weise isoliert. Das tut sie auch gegenüber Israel - damit beraubt sie sich der Möglichkeiten, eine wirkliche Vermittlerrolle zu spielen.

Israel ist im Dilemma. Das sagen ja auch viele israelische Politiker: Letztlich werde es eine Zwei-Staaten-Lösung geben müssen, um zu verhindern, dass die Palästinenser die Bevölkerungsmehrheit in Israel einschließlich der besetzten Gebiete stellen werden. Dennoch macht Israel keine Konzessionen. Ist Israel so davon überzeugt, dass es mit Militärgewalt den Status quo auf Dauer aufrechterhalten kann, oder schieben die Politiker das Problem aus innenpolitischem Kalkül einfach vor sich her? Wie derzeit Netanyahu?

Jeder Kompromiss von Netanyahu würde vermutlich das Ende der Koalition bedeuten. Wichtiger ist aber das enge Verhältnis zu den USA. Als Netanyahu vor wenigen Wochen im US-Kongress auftrat, sagte ihm dieser die bedingungslose Unterstützung in der Auseinandersetzung mit den Palästinensern zu. Das heißt, dass die israelische Politik auf Washington setzt. Nicht auf den amerikanischen Präsidenten, der eine lahme Ente geworden ist, aber auf den Kongress. Und auch Barack Obama hat ja gesagt, man werde in Übereinstimmung mit dem Kongress den Palästinensern möglicherweise alle Subventionen streichen, auch die Hilfsgelder an die Unterorganisationen der Vereinten Nationen, in denen die Palästinenser dann Mitglied werden würden, wenn ihr UN-Antrag angenommen wird. Das kommt Israel entgegen.

Israel war in den vergangenen Monaten in keiner Weise bereit, sich auch nur einen einzigen Schritt auf die Palästinenser zuzubewegen.



Es gibt in Israel aber auch Stimmen, die vor einer wachsenden Isolation des Landes warnen und die in einer Vogel-Strauß-Politik eine Gefahr für die Zukunft sehen.

Im Grunde ist das Land in drei Lager gespalten. In jenes, das tatsächlich zutiefst besorgt ist über die Zukunft Israels, wenn es nicht in absehbarer Zeit zu einer Zwei-Staaten-Lösung kommt. Wir haben zweitens Netanyahu, der möglicherweise zu kosmetischen Konzessionen in dem einen oder anderen Punkt bereit wäre. Und wir haben drittens die absoluten Nein-Sager, die Radikalen, die keinerlei Zugeständnisse machen; die auf Machtpolitik setzen und sich dabei voll auf die Unterstützung des US-Kongresses verlassen. Das sind diejenigen, die derzeit die Politik Israels bestimmen und die auch dafür verantwortlich sind, dass der Friedensprozess nicht in Gang kommt.

Das heißt aber auch, dass die Hoffnungslosigkeit in den Palästinensergebieten weiter wächst. Wird es zu einer dritten Intifada kommen?

Das kann man nicht ausschließen. Militante Reaktionen könnten aber auch von israelischer Seite kommen. Die Israelis haben ja angekündigt, dass sie überlegen, alle Verträge zu kündigen, die seit 1993 (der Unterzeichnung des ersten Osloer Abkommens) geschlossen wurden. Das wäre eine maximalistische Maßnahme, sozusagen eine Herausforderung an die palästinensische Seite, denn damit würde Israel der Autonomiebehörde das Existenzrecht absprechen. Denkbar ist deshalb, dass, wenn es zu einer Ablehnung Palästinas in den Vereinten Nationen kommt, die radikalen palästinensischen Elemente in den besetzten Gebieten Oberwasser bekommen - mit ihrem Argument, Israel sei Verhandlungen nicht zugänglich und verstünde nur die Sprache der Gewalt. Das heißt: Extremistische Reaktionen sind nach der Palästinenser-Initiative in den Vereinten Nationen von beiden Seiten möglich.

Ein Scheitern von Präsident Mahmoud Abbas vor der UNO würde demnach politisch der Hamas in die Hände spielen?

Das ist ganz gewiss der Fall. Die Hamas hat den UNO-Schritt nur deshalb öffentlich verurteilt, um einen Fuß in der Tür zu haben. Aber ein Mainstream in der Hamas geht davon aus, dass es zu keinen Verhandlungen mit Israel kommen kann und dass à la longue nur einzig Fortführung des bewaffneten Kampfes die Möglichkeit bietet, die palästinensische Sache irgendwann in der Zukunft auf die politische Agenda zu bringen.

Zur Person: Der Islamwissenschafter Udo Steinbach (68) lehrt am Centrum für Nah- und Mittelost-Studien an der Philipps-Universität in Marburg. Er leitete früher das Nahost-Referat der Stiftung Wissenschaft und Politik und danach das Giga-Institut für Nahost-Studien.