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"Fängt man nichts an, geht nie was weiter"

Von Christian Rösner

Politik

Der Raumplaner Reinhard Seiß im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" über die "autofreie" (Innen-)Stadt.


"Wiener Zeitung": Was sagen Sie als Raumplaner zu der Debatte über die "autofreie" Innenstadt - wobei sie mit 16 Ausnahmen ja eigentlich gar nicht autofrei ist?Reinhard Seiß: Als Verfechter einer möglichst autofreien Stadt bin ich auch über kleine Schritte froh, die in die richtige Richtung gehen. Es ist schon klar, dass die vielen Ausnahmen aus dem 1. Bezirk keine Fußgängerzone machen werden, aber es ist ein wichtiges Signal. Und die Ausnahmen können mit der Zeit ja weniger werden. Man hat auch bei der Mariahilfer Straße gesehen, dass oft Kompromisse nötig sind, bis etwas einmal in der Wiege oder zumindest im Brutkasten liegt. Es kann dann ja noch wachsen. Und wie man sieht, gibt es ein paar Jahre später kaum noch Gegner der verkehrsberuhigten Mariahilfer Straße. Sie ist eine sehr urbane und vitale - zugegeben auch sehr konsumorientierte - Zone geworden, die sowohl die Wiener als auch die Touristen schätzen. Das Potenzial ist damit aber weit nicht ausgeschöpft - der erste Bezirk würde sich dafür genauso anbieten.

Aber sind nicht Kärntner Straße und Graben ausreichend?

Da war ja damals das Geschrei genauso laut, als der Vorschlag kam, keine Autos mehr fahren zu lassen. Die lokale Geschäftswelt ist in ihrer Imagination schon vor dem Konkurs gestanden, und jetzt ist es eine Premiumzone. Warum soll es nicht noch mehr davon geben?

Ist es glaubwürdig, kurz vor der Wahl dieses Thema anzustoßen, wo doch die Grünen eigentlich zehn Jahre dazu Zeit gehabt hätten?

Der Verkehr ist der einzige CO2-Emittent, der in den vergangenen 20 Jahren weiter enorme Zuwächse hingelegt hat, während Industrie, Landwirtschaft und alle anderen Bereiche stagnieren oder rückläufig sind. Insofern ist mir jede Maßnahme, die den Autoverkehr eindämmt, zu jeder Zeit hoch willkommen. Ein plakatives Wahlkampfprojekt, das umgesetzt wird und vielleicht noch mehr solche Projekte nach sich zieht, ist mir lieber, als wenn gar nichts geschieht.

Ob dieses Projekt mit dem roten
Koalitionspartner umsetzbar ist, scheint fragwürdig.

Wir wissen, dass wir mit der SPÖ eine von drei autofreundlichen Parteien in Österreich haben. Allein das Festhalten an der Lobauautobahn und an dem ganzen Außenring-Schnellstraßenprojekt zeigt, wie maßgebliche Teile der SPÖ auch in Wien verkehrspolitisch gestrickt sind. Das ist ein Problem, weil die Wirkung punktueller verkehrsreduzierender Maßnahmen immer auch davon abhängt, wie das große Ganze gehandhabt wird.

Was meinen Sie damit genau?

Ich meine, dass es ein Widerspruch in sich ist, der hier die rot-grünen Differenzen zum Ausdruck bringt: Nämlich dass man draußen in den Stadtrandbezirken munter weiter Straßen baut - auch durchaus hochrangige - und im Inneren die Autos raushaben will. Das ist nicht konsistent und zeigt den mangelnden Schulterschluss in der Politik, wenn es um wirkliche Zukunftsthemen geht. Es gibt andere Städte im deutschsprachigen Raum, wo es mit Ausnahme klassischer Autofahrer-Lobbys politischer Common Sense ist, die Stadt sukzessive vom Auto zu befreien, und da geht dann natürlich um einiges mehr weiter.

Was sagen Sie zu dem Argument, dass man für Stadterweiterung Straßen braucht, um die Menschen hinbringen zu können, aber auch für den Lieferverkehr - Beispiel Stadtstraße in der Donaustadt?

Also, für den Lieferverkehr braucht man keine vierspurige Straße. Wien traut sich offenbar nicht, in den Neubaugebieten einschneidende Kapazitätsgrenzen fürs Auto zu setzen, um die Bewohner von vornherein auf den öffentlichen Verkehr zu lenken. Mit der Einstellung: "Wir wollen die Menschen nicht bevormunden und ihnen vorschreiben, wie sie ihren Berufs- oder Einkaufsweg zurücklegen", zeigt die Politik hier einen Liberalismus, den ich nicht teilen kann. Solange die Autofahrer nicht für das bezahlen, was sie verursachen - und da reden wir von Umweltkosten, von Entwertung der Immobilien entlang stark befahrener Straßen, von Gesundheitsfolgen usw. -, geht es nicht um Wahlfreiheit, sondern es geht um Verantwortungslosigkeit.

Die Wiener Wirtschaft hat sich mehr über den Zeitpunkt des grünen Vorschlags aufgeregt als über den Willen zur Verkehrsberuhigung im 1. Bezirk. Wie sehen Sie das?

Was ist der beste Zeitpunkt für Veränderungen? Ist es die Krise? Ist es die Zeit, wo es uns allen gut geht? Der Aufschrei der Wirtschaft kommt sowieso immer wie das Amen im Gebet - oft unreflektiert und egal zu welchem Zeitpunkt. In Österreich sind Veränderungen per se schlecht. Ich sage nur noch einmal: siehe Mariahilfer Straße.

Die Wirtschaft befürchtet auch, dass die Kaufkraft aus der Innenstadt in die angrenzenden Bezirke abwandert.

Natürlich führen punktuelle Einschränkungen oft auch dazu, dass die Konkurrenz im Umfeld kurzfristig profitiert. Andererseits: Fängt man nichts an, geht nie was weiter. Klar, wäre es gescheiter, in ganz Wien das Auto zurückzudrängen, aber das ist bei unseren politischen Voraussetzungen nicht realistisch.

Zurück zum Thema Wahlkampf: Wie groß ist die Chance auf Umsetzung des autofreien ersten Bezirks, wenn die Grünen als Partei alleine dastehen?

Natürlich sind die Grünen vom Koalitionspartner abhängig. Die SPÖ, die eigentlich auf der Suche nach einer neuen Identität sein müsste, könnte den einen oder anderen grünen Impuls durchaus aufnehmen und sich mit einer dem Zeitgeist entsprechenden Verkehrspolitik ein moderneres Gesicht geben. Die Ergebnisse bei den Bezirkswahlen zeigen ja seit langem schon, wo die Wählerströme zumindest innerhalb des Gürtels hingehen. Und den Donaustädtern wird es wurscht sein, ob die Innenstadt autofrei ist oder nicht. Die SPÖ sollte ihre Hoffnung aufgeben, dass die Geschichte ihr irgendwann recht gibt.

Haben Sie ein Auto?

Ich bin 50 Jahre alt, habe mit 18, wie es üblich war, den Führerschein gemacht und noch nie ein Auto besessen. Ich habe zwei Kinder, fahre mit ihnen auch aufs Land, gehe natürlich einkaufen, aber das geht alles mit der Bahn, den Öffis und dem Fahrrad. In ganz seltenen Fällen - vielleicht zwei, drei Mal im Jahr - nutze ich ein Carsharing-Fahrzeug.

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