Als der Bikini 1946 das erste Mal der Öffentlichkeit gezeigt wird, sind die Leute empört. So wenig Stoff am Körper zu tragen, empfinden sie als schamlos und unsittlich. Keine große Überraschung, wenn man bedenkt, dass Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts beim Baden noch Schuhe, Wollstrümpfe und Beinkleider tragen müssen, um nicht zu viel Haut zu zeigen. Mitunter ist die Kleidung an Badeorten sogar gesetzlich geregelt, samt zentimetergenauen Vorgaben, welche Körperstelle bedeckt sein muss. Im Jahr 1922 werden Berichten zufolge in Chicago noch Frauen am Strand verhaftet, wenn der Abstand zwischen Badeanzug und Knie größer als 15 Zentimeter ist. Auch in Deutschland ist die Bademode Regeln unterworfen: Der Berliner Beamte Franz Bracht versucht 1932, mittels des sogenannten Zwickelerlass die Freizügigkeit an den Stränden Preußens per Gesetz zu verbieten.

Trotz der anfänglichen Empörung lässt sich in den kommenden Jahren die Entwicklung des Bikini zur normalen Strand- und Freibadbekleidung nicht aufhalten. Der "kleinste Zweiteiler der Welt" gilt heute als Zäsur in der Geschichte der Mode. Sein Name ist in fast alle Sprachen ohne Übersetzung übernommen worden und ist heute Sammelbegriff aller Zweiteiler. Die Geschichte des Bikinis ist eine Geschichte der Emanzipation, verbunden mit viel Aufregung und Furor.

Was Bikinis und Atombomben gemeinsam haben

Die Geschichte des Bikinis beginnt im Jahr 1946, in einer Zeit, die nicht gerade von einer joie de vivre geprägt ist. Die Nationen erholen sich von den grauenhaften Folgen des Zweiten Weltkriegs. Wenige Monate zuvor töten die ersten und bisher einzigen Atombombenabwürfe in einem Krieg Hunderttausende Menschen und zwingen Japan zur Kapitulation. Der Krieg ist zu Ende – und trotzdem noch allgegenwärtig. Die unfassbare Zerstörungswut der Atombombe verändert die Welt. US-Präsident Harry S. Truman ordnet an, weitere Kernwaffentests durchzuführen. Auf kleinen Atollen im Pazifischen Ozean sollen sie stattfinden, ihr volles Zerstörungspotenzial soll untersucht werden. Als Testgebiete suchen die Verantwortlichen das Eniwetok-Atoll und das benachbarte Bikini-Atoll aus. Ihre Bewohner*innen lässt Truman umsiedeln.

Die USA ziehen die Tests als internationales Medienspektakel auf, die Öffentlichkeit soll bei den Experimenten zuschauen. Atomtests bedeuten Fortschritt, Überlegenheit und Sensation, so die Propaganda. Der bis dahin weitgehend unbekannte Name Bikini taucht nun weltweit in den Schlagzeilen der Tageszeitungen auf, als am 1. Juli 1946 die vierte Atombombe der Weltgeschichte auf dem Atoll zündet.

Vier Tage vergehen. Das Wort Bikini bleibt in den Schlagzeilen – und ein französischer Bademodendesigner beschließt, es für eine Provokation zu nutzen. Louis Réard lädt zum 5. Juli zu einer Misswahl im öffentlichen Freibad Molitor in Paris ein. Dort stellt er ein Kleidungsstück vor, das für die damalige Zeit dermaßen skandalös ist, dass sich die Erfindung binnen weniger Tagen über die ganze Welt verbreitet: der Bikini, benannt nach dem Ort, an dem Truman insgesamt 67 Atombombentests durchführen lässt. Réards Überlegung: Eine Atomwaffen-Inszenierung ist skandalös und provokant, warum kann es nicht auch ein Kleidungsstück sein? Und sei es alleine für Marketingzwecke.

Réards Bikini feiert seine Uraufführung

Der Aufdruck des ersten Bikinis ist eine Collage aus verschiedenen Zeitungsausschnitten. Vorgeführt von Micheline Bernardini, hauptberuflich Nackttänzerin im Casino de Paris. Réard wählt sie zur Präsentation seines neuen Kleidungsstücks, weil sich professionelle Models weigern, eine derartig entblößende Klamotte zu tragen. Die Zuschauer*innen im Freibad Molitor sind entrüstet. Aus dem Badeanzug sind zwei Teile geworden, die nur noch die intimsten Körperstellen bedecken. Réard bestärkt die Aufregung, etwas Großes geschaffen zu haben. Zwei Wochen später lässt er sich den Bikini patentieren.

Der Bikini hat Startschwierigkeiten im Verkauf, weil er die gesetzten Moralvorstellungen sprengt. In Badeorten in Italien, Spanien und Portugal wird der Zweiteiler verboten, in den USA zusätzlich bei Schönheitswettbewerben und in Hollywoodfilmen. 1949 ist sich sogar sein Herkunftsland uneins darüber, ob Bikini-Tragen in Ordnung ist. Die französische Polizeipräfektur erlaubt ihn am Mittelmeer, verbietet ihn aber weiterhin an der französischen Atlantikküste.

Von der sexuellen Befreiung zum Tan-Timer

Der Bikini bleibt tabu – bis er Gegenstand einer Emanzipationsbewegung wird. Der Bikini etabliert sich, wie auch der Minirock, als weiterer Baustein beim Kampf der Frauen um ihr Recht auf Selbstbestimmung. In den 1960er Jahren, in der Zeit der sexuellen Befreiung, tragen Frauen ihn als Kampfmittel. Er wird zum Symbol der Freiheit.

Die Verbote fallen, die Akzeptanz steigt. Nach und nach entdeckt der Mainstream den Bikini für sich, er verliert seine emotionale Aufgeregtheit. Die Modeindustrie schafft freizügige und ausgefallene Modelle, die symbolisch die Selbstverwirklichung unterstützen sollten. Die Szene aus dem ersten James-Bond-Film, 007 jagt Dr. No aus dem Jahr 1962, bei der Ursula Andress als Bond-Girl aus dem Wasser auftaucht, gilt nach wie vor als legendäre Bikini-Inszenierung. Andress' beigefarbener Zweiteiler wird 2011 sogar für umgerechnet 60.000 Euro versteigert und gilt seitdem als das teuerste Stück Badebekleidung. Marilyn Monroe trägt ihn, Brigitte Bardot trägt ihn, Romy Schneider genauso. Der Bikini ist nach all der Zeit der Aufregung en vogue.

Jetzt bekommt der Bikini schließlich ein eigenes Museum. Anfang 2020 wird in Bad Rappenau in Baden-Württemberg das weltweit erste Bademodenmuseum, das BikiniARTMuseum, öffnen. Der Bikini hat trotz der großen Aufregung überlebt und ist Ergebnis einer emanzipatorischen Bademodenentwicklung. Und so entstehen nach wie vor neue Modelle. Die Säume werden höher, Shorts werden von Höschen und Riemen durch Schnüre ersetzt. Neue Stoffe ersetzen die alten. Viskose, Baumwolle, Nylon, Elasthan, es folgen Tanga- und String-Bikinis, dann Mono-, Mini- und Mikrokinis, teils mit sonnendurchlässigen Stoffen. Mittlerweile gibt es sogar ein außergewöhnliches Hightech-Modell, bei dem ein sogenannter Tan-Timer mithilfe eines Piepstons signalisiert, dass sich die Trägerin doch nach 15 Minuten bitte umdrehen sollte, damit sie gleichmäßig gebräunt wird. Mit Blick auf das vergangene Jahrhundert, als Frauen noch mit Beinkleidern oder Wollstrümpfen ins Wasser mussten, ist das jedenfalls ein Fortschritt.

Außerdem auf ze.tt: Der Bikini – Vom Kleidungsstück zum Kampfmittel